Macht. Niklas Luhmann

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Macht - Niklas  Luhmann

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Entwicklung und Fortschreibung komplexerer Wahrheitszusammenhänge12. Die Sortierfunktion eines logisch schematisierten Wahrheits-Codes wird erst benötigt, wenn schriftlich formuliertes Gedankengut vorliegt. Aber auch die moralische Generalisierung eines Sonder-Codes für Freundschaft/ Liebe (philía, amicitia) in der griechischen Polis ist eine Reaktion auf städtische Schriftkultur, eine Kompensation für eine nicht mehr vorauszusetzende Interaktionsdichte der Nahestehenden (philói). Erst recht ist diese Schriftabhängigkeit beim Geld-Code evident. Erst die Zweit-Codierung der Sprache durch Schrift löst den gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß so stark aus den Bindungen an soziale Situationen und an Selbstverständlichkeiten heraus, daß für Motivation zur Annahme von Kommunikationen derartige Spezial-Codes geschaffen werden müssen, die zugleich auch konditionieren, was erfolgreich behauptet und beansprucht werden kann.

      2. Unter Kommunikationsmedien soll nach all dem verstanden werden eine Zusatzeinrichtung zur Sprache, nämlich ein Code generalisierter Symbole, der die Übertragung von Selektionsleistungen steuert. Zusätzlich zur Sprache, die im Normalfall die intersubjektive Verständlichkeit, das heißt das Erkennen der Selektion des je anderen als Selektion gewährleistet, haben Kommunikationsmedien mithin auch eine Motivationsfunktion, indem sie die Annahme fremder Selektionsleistungen nahelegen und für den Normalfall erwartbar machen. Kommunikationsmedien können sich demnach immer dann bilden, wenn die Selektionsweise des einen Partners zugleich als Motivationsstruktur des anderen dient. Die Symbole dieses Zusammenhangs von Selektion und Motivation übernehmen dann die Funktion einer Vermittlung [15]und machen den Zusammenhang beider Seiten deutlich, so daß er als antizipierbarer Zusammenhang die Selektivität verstärken und zusätzlich motivieren kann.

      Dieses Konzept hat eine Reihe von Voraussetzungen und Implikationen, die auch für die Machttheorie gelten und sie in eine bestimmte Richtung lenken.

      Die erste und wichtigste Voraussetzung ist, daß mediengesteuerte Kommunikationsprozesse Partner verbinden, die beide eigene Selektionsleistungen vollziehen und dies vom jeweils anderen wissen13. Wir werden von Alter und Ego sprechen. Alle Kommunikationsmedien setzen soziale Situationen mit Wahlmöglichkeiten auf beiden Seiten, also Situationen mit doppelkontingenter Selektivität voraus. Genau das gibt ihnen ihre Funktion, Prozesse der Übertragung von Selektionen in ihrer Selektivität von Alter auf Ego zu steuern. Insofern ist das Ausgangsproblem bei allen symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien identisch; für Macht gilt insofern nichts anderes als für Liebe oder für Wahrheit. In jedem Falle bezieht sich die einflußnehmende Kommunikation auf einen Partner, der in seinen Selektionen dirigiert werden soll14.

      Übertragung von Selektionsleistungen heißt demnach genau genommen: Reproduktion von Selektionsleistungen unter vereinfachten, von Ausgangskonstellationen abstrahierenden Bedingungen. Für diese Vereinfachung und Abstraktion braucht man Symbole, die den konkreten Anfang, den Ausgangskontext der Selektionskette, ersetzen. Dafür entwickeln Kommunikationsmedien symbolisch generalisierte Codes für gemeinsame Orientierung. Jede weitere Phase des Prozesses bleibt gleichwohl selbst Selektion. Kommunikationsmedien kombinieren mithin Gemeinsamkeit der Orientierungen und Nichtidentität der Selektionen. Auch Macht fungiert als Kommunikationsmedium nur unter dieser Grundbedingung15. Sie ordnet soziale Situationen mit doppelter Selektivität. Also muß die Selektivität von Alter und die von Ego unterschieden werden, denn in bezug auf sie stellen sich gerade im Falle der Macht ganz verschiedene Probleme.

      [16]Eine fundamentale Voraussetzung aller Macht ist demnach, daß in bezug auf die Selektion des Machthabers Alter Unsicherheit besteht16. Alter verfügt, aus welchen Gründen immer, über mehr als eine Alternative. Er kann bei seinem Partner in bezug auf die Ausübung seiner Wahl Unsicherheit erzeugen und beseitigen. Diese Umleitung über Produktion und Reduktion von Unsicherheit ist Machtvoraussetzung schlechthin, ist Bedingung eines Spielraums für Generalisierung und Spezifikation eines besonderen Kommunikationsmediums – und nicht etwa eine besondere Machtquelle unter anderen.

      Auch auf Seiten des machtbetroffenen Ego setzt Macht Offenheit für andere Möglichkeiten des Handelns voraus. Macht erbringt ihre Übertragungsleistung dadurch, daß sie die Selektion von Handlungen (oder Unterlassungen) angesichts anderer Möglichkeiten zu beeinflussen vermag. Sie ist größere Macht, wenn sie sich auch gegenüber attraktiven Alternativen des Handelns oder Unterlassens durchzusetzen vermag. Und sie ist steigerbar nur zusammen mit einer Steigerung der Freiheiten auf Seiten Machtunterworfener.

      Macht ist daher zu unterscheiden von dem Zwang, etwas konkret genau Bestimmtes zu tun. Die Wahlmöglichkeiten des Gezwungenen werden auf Null reduziert. Im Grenzfall läuft Zwang auf Anwendung physischer Gewalt hinaus und damit auf Substitution eigenen Handelns für unerreichbares Handeln anderer17. Macht verliert ihre Funktion, doppelte Kontingenz zu überbrükken, in dem Maße, als sie sich dem Charakter von Zwang annähert. Zwang bedeutet Verzicht auf die Vorteile symbolischer Generalisierung und Verzicht darauf, die Selektivität des Partners zu steuern. In dem Maße, als Zwang ausgeübt wird – wir können für viele Fälle auch sagen: mangels Macht Zwang ausgeübt werden muß –, muß derjenige, der den Zwang ausübt, die Selektions- und Entscheidungslast selbst übernehmen; die Reduktion der Komplexität wird nicht verteilt, sondern geht auf ihn über. Ob dies sinnvoll ist, hängt davon ab, wie komplex und veränderlich die Situationen sind, in denen über Handeln entschieden werden muß.

      [17]Nur in sehr einfachen Systemen ist die Anwendung von Zwang selbst zentralisierbar. Komplexere Systeme können nur die Entscheidungen (oder gar nur Entscheidungen über Entscheidungsprämissen von Entscheidungen) über die Anwendung von Zwang zentralisieren. Das bedeutet, daß sie Macht bilden müssen, um Zwang zu ermöglichen. Der von Max Weber eingeführte Begriff des »Erzwingungsstabes« bezeichnet diesen Sachverhalt.

      Schon diese einfachen Ausgangsüberlegungen zeigen, daß eine genauere Bestimmung, Operationalisierung und Messung konkreter Machtbeziehungen ein außerordentlich kompliziertes Unterfangen wird. Es müßte auf beiden Seiten (bei Kettenbildung: für alle Beteiligte) ein mehrdimensionales Maß für die Komplexität der Möglichkeiten zu Grunde gelegt werden, aus denen sie ein Handeln auswählen können18. Die Macht des Machthabers ist größer, wenn er mehr und verschiedenartigere Entscheidungen zu machtmäßiger Durchsetzung auswählen kann; und sie ist außerdem größer, wenn er dies gegenüber einem Partner tun kann, der seinerseits mehr und verschiedenartigere Alternativen besitzt. Macht steigt mit Freiheiten auf beiden Seiten, steigt zum Beispiel in einer Gesellschaft in dem Maße, als sie Alternativen erzeugt.

      Damit sind nicht nur wissenschaftliche und methodische Probleme bezeichnet19. Vielmehr folgt aus dieser Komplikation für die Gesellschaft selbst, daß sie Substitute für einen genauen Vergleich von Machtlagen entwickeln muß, und daß diese Substitute selbst zum Machtfaktor werden. Als Substitute dienen einmal Hierarchien, die eine asymmetrische Machtverteilung postulieren. Man nimmt an, daß ein Vorgesetzter mehr Macht hat als ein Untergebener (obwohl in bürokratischen Organisationen das Gegenteil normal sein dürfte)20. Ein anderes Substitut liegt in der Systemgeschichte: in Fällen erfolgreicher Durchsetzung in Konfliktslagen, die erinnert, normalisiert, als Erwartungen generalisiert werden. Mit dieser Funktion als Vergleichsgrundlage hängt die symbolische Brisanz von Statusfragen und von Einzelereignissen zusammen, die die wirkliche Machtlage zu deutlich beleuchten. Drittens liegen wichtige Substitutionsmöglichkeiten in vertragsartigen [18]Regelungen, mit denen ein übermächtiger Partner sich mit denen arrangiert, die sich zurückziehen oder illoyal sein könnten21. In all diesen Fällen wird der direkte kommunikative Rekurs auf Macht ersetzt durch Bezugnahme auf Symbole, die beide Seiten normativ verpflichten und zugleich dem unterstellten Machtgefälle Rechnung tragen.

      Dies alles sind funktionale Äquivalente für Machtmessung und für Machttests als Entscheidungsvoraussetzungen in der gesellschaftlichen Realität. Die institutionelle Verankerung und Gebrauchsfähigkeit solcher Substitute macht exakte Feststellungen unnötig, ja sogar jeden Ansatz dazu problematisch. Dies hat zur Folge, daß die Wissenschaft, gelänge ihr eine Messung von Macht,

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