Macht. Niklas Luhmann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Macht - Niklas Luhmann страница 6

Автор:
Серия:
Издательство:
Macht - Niklas  Luhmann

Скачать книгу

vielen Fällen Dissens bestehen. Es besteht aber zugleich ein gesellschaftliches Interesse, diese Frage zumindest für Problemsituationen zu klären. Von der Umwelt- bzw. Systemzurechnung hängt nämlich ab, ob den übrigen Systemen in der Gesellschaft [28]gleiche Selektion zugemutet oder andersartige Selektion freigegeben wird. Erleben muß man gleich, handeln kann man auch anders. Diese Unterscheidung geht der Frage voraus, ob die Freigabe andersartigen Handelns dann wieder beschränkt wird – etwa durch Gebote der Moral oder des Rechts oder durch Macht. In bezug auf Erleben hätten diese Formen der Einschränkung von Kontingenz keinen Sinn. Fehlgriffe des Erlebens werden als Irrtümer behandelt und, wenn überhaupt, anders sanktioniert39. Handeln unterliegt dagegen besonderen sozialen Kontrollen, die mit seiner Ermöglichung zugleich ausgebildet werden. Das hohe Risiko der Ermöglichung von Handeln liegt auf der Hand. Es zeigt sich unter anderem an der erleichterten Negierbarkeit der Handlungsintention im Vergleich zum Erleben und, abhängig davon, an den Komplikationen der Behandlung des Negationsproblems in einer normativen Handlungstheorie oder gar -logik.

      Die Kategorisierung von Selektion als Handeln muß deshalb gewürdigt werden als ein Mechanismus, der Systeme aus der Gleichheitszumutung entläßt und Differenzierungen möglich macht. Da dies nicht uneingeschränkt geschehen kann, muß das Handeln gleichsam wieder eingefangen und domestiziert werden. Die soziale Konstitution der Möglichkeit zu handeln und die Spezialisierung von darauf bezogenen Kontrollmechanismen haben ihre primäre Funktion in einem Produktionsumweg für höhere gesellschaftliche Komplexität, nämlich in der Erzeugung und Beschränkung der Möglichkeit ungleichartiger Selektionen in einer intersubjektiv konstituierten SinnWelt.

      Dem Zurechnungs- und Etikettierungsinteresse folgen Kategorisierungen, die den Tatbestand des Handelns voraussetzen und erklären – also das Erleben eigenen bzw. fremden Handelns ordnen. Dazu zählt der Begriff des Willens (im Unterschied zu Vernunft), die Auffassung der Kontingenz des Selektionsaktes als Freiheit (im Unterschied zu Zufall) und in der neueren Zeit vor allem die Zuschreibung von Motiven40 und Absichten41. Freier Wille ist ein alteuropäisches, Motiviertheit ein neuzeitliches Attribut des Handelns – in jedem Falle kein primäres Faktum, etwa [29]gar eine »Ursache« des Handelns42, sondern eine Zuschreibung, die das sozial einhellige Erleben von Handeln ermöglicht. Motive sind kein Erfordernis des Handelns, wohl aber ein Erfordernis des verständlichen Erlebens von Handlungen. Auf der Ebene der Motivzuschreibungen wird eine Sozialordnung daher sehr viel stärker integriert sein als auf der Ebene des Handelns selbst. Verständnis von Motiven hilft dann rückläufig zur Erkenntnis darüber, ob überhaupt eine Handlung vorliegt43.

      Die Funktion des Kommunikationsmediums Macht ist daher nicht ausreichend beschrieben, wenn man meint, es gehe nur darum, den Machtunterworfenen zur Annahme der Weisungen zu bewegen. Auch der Machthaber selbst muß zur Ausübung seiner Macht bewegt werden, und darin liegt in vielen Fällen die größere Schwierigkeit. Liegt es nicht gerade für ihn, der im Zweifel unabhängiger ist, näher, sich zurückzuziehen und die Dinge laufen zu lassen? Auch die Motivation dessen, der Selektionsleistungen überträgt, wird erst im Kommunikationsprozeß aufgebaut und zugeschrieben. Gerade dem Machthaber werden, ob er will oder nicht, auf Grund seiner Macht Erfolge und Mißerfolge zugerechnet und dazu passende Motive oktroyiert. Macht instrumentiert also nicht einen schon vorhandenen Willen, sie erzeugt diesen Willen erst und sie kann ihn verpflichten, kann ihn binden, kann ihn zur Absorption von Risiken und Unsicherheiten bringen, kann ihn sogar in Versuchung führen und scheitern lassen. Die generalisierten Symbole des Code, die Aufgaben und Insignien des Amtes, die Ideologien und Legitimationsbedingungen dienen der Artikulationshilfe; aber erst der Kommunikationsprozeß selbst legt mit der Machtausübung zugleich die Motive fest.

      2. Vor diesem Hintergrund muß man die Spezialisierung eines Mediums begreifen, das die Übertragung von Handlungsselektionen auf Handlungsselektionen leistet, also beide Partner voraussetzt als Systeme, denen ihre Selektion als Handlung zugerechnet wird. Der Machtunterworfene wird erwartet als jemand, der sein eigenes Handeln wählt und darin die Möglichkeit der Selbstbestimmung [30]hat; nur deshalb werden Machtmittel, etwa Drohungen, gegen ihn eingesetzt, um ihn in dieser selbstvollzogenen Wahl zu steuern. Und auch der Machthaber nimmt in Anspruch, nicht einfach die Wahrheit zu sein, sondern seinem Willen gemäß zu handeln. Damit ist in der Beziehung beider die Möglichkeit zurechenbarer, »lokalisierbarer« Divergenz postuliert. Eine Übertragung reduzierter Komplexität kommt zustande, wenn und soweit Alters Handeln die Selektion von Egos Handeln mitbestimmt. Der Erfolg einer Machtordnung besteht in der Steigerung noch überbrückbarer Situations- und Selektionsdifferenzierungen.

      Dazu ist ein Umweg über Negationen erforderlich, der gewisse Anforderungen an den Code der Macht stellt. Wenn Macht eine Kombination von gewählten Alternativen leisten soll und andere Möglichkeiten im Spiel sind, kann die Wahrscheinlichkeit dieser Kombination nur durch eine parallellaufende Koordination des Ausscheidens von Alternativen gewährleistet werden. Macht setzt voraus, daß beide Partner Alternativen sehen, deren Realisierung sie vermeiden möchten. Auf beiden Seiten muß es mithin über die bloße Mehrheit von Möglichkeiten hinaus eine Ordnung von Präferenzen geben, die unter dem Gesichtspunkt von eher positiver und eher negativer Bewertung schematisiert und für die andere Seite einsichtig sein muß44. Unter dieser Voraussetzung kann eine hypothetische Kombination von Vermeidungsalternativen beider Seiten hergestellt werden – am einfachsten durch Drohung mit Sanktionen, die der Machthaber selbst lieber vermieden sähe: »Wenn Du dies nicht tust, schlage ich Dich!«. Auch das allein genügt noch nicht. Zur Machtausübung kommt es erst, wenn die Beziehung der Beteiligten zu ihren jeweiligen Vermeidungsalternativen unterschiedlich strukturiert ist derart, daß der Machtunterworfene seine Alternative – in unserem Beispiel: die des physischen Kampfes – vergleichsweise eher vermeiden möchte als der Machthaber, und auch diese Relation zwischen den Relationen der Beteiligten zu ihren Vermeidungsalternativen für die Beteiligten erkennbar ist. Kurz gesagt: Der Macht-Code muß eine Relationierbarkeit von Relationen gewährleisten. Bei dieser Voraussetzung [31]entsteht die Möglichkeit einer konditionalen Verknüpfung der Kombination von Vermeidungsalternativen mit einer weniger negativ bewerteten Kombination von anderen Alternativen. Diese Verknüpfung motiviert die Übertragung von Handlungsselektionen vom Machthaber auf den Machtunterworfenen.

      Sie gibt dem Macht, der darüber entscheiden kann, ob eine solche konditionale Verknüpfung von Möglichkeitskombinationen hergestellt wird oder nicht45. Macht beruht mithin darauf, daß Möglichkeiten gegeben sind, deren Verwirklichung vermieden wird. Das Vermeiden von (möglichen und möglich bleibenden) Sanktionen ist für die Funktion von Macht unabdingbar46. Jeder faktische Rückgriff auf Vermeidungsalternativen, jede Ausübung von Gewalt zum Beispiel, verändert die Kommunikationsstruktur in kaum reversibler Weise. Es liegt im Interesse der Macht, eine solche Wendung zu vermeiden. Macht ist damit schon strukturell (und nicht erst: rechtlich!) aufgebaut auf Kontrolle des Ausnahmefalles. Sie bricht zusammen, wenn es zur Verwirklichung der Vermeidungsalternativen kommt47. Daraus folgt unter anderem, daß hochkomplexe Gesellschaften, die weit mehr Macht benötigen als einfachere Gesellschaften, die Proportion von Machtausübung und Sanktionsanwendung ändern und mit einem verschwindend geringen Anteil an faktischer Realisierung von Vermeidungsalternativen auskommen müssen48.

      Diese Angaben bedürfen im Hinblick auf das Verhältnis von negativen und positiven Sanktionen einer weiteren Klärung. Negative und positive Sanktionen unterscheiden sich – trotz logischer Symmetrisierbarkeit – in den Voraussetzungen, an die sie anknüpfen, und in ihren Folgen so wesentlich49, daß die Ausdifferenzierung und Spezifikation von Kommunikationsmedien diesen Unterschied nicht übergehen kann. Liebe, Geld und Überredung zu Wertkonsens lassen sich nicht als Fälle von Macht spezifizieren. Wir beschränken deshalb den Machtbegriff auf den Fall, der mit dem (allerdings erläuterungsbedürftigen) Begriff der negativen Sanktion gemeint war50. Macht wird nur dann angewandt, wenn gegenüber einer gegebenen Erwartungslage eine [32]ungünstigere Alternativenkombination konstruiert wird. Die Unterscheidung ungünstiger/günstiger ist erwartungsabhängig und damit auch zeitpunktabhängig51. Die Ausgangslage kann sehr wohl auf positiven Leistungen

Скачать книгу