Internationale Migrationspolitik. Stefan Rother

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Internationale Migrationspolitik - Stefan Rother

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       Der Bericht der Internationalen Organisation für Migration der UN bietet noch differenziertere Daten zum weltweiten Migrationsgeschehen. Er wird wie der UN-Bericht jedes Jahr neu aufgelegt.

      Jochen Oltmer (2016): Globale Migration. Geschichte und Gegenwart. München: C.H. Beck.

       Kompakte Darstellung der globalen Migration in Geschichte und Gegenwart.

       Online-Quellen:

      https://migrationdataportal.org.

       Hier finden sich alle Daten aus den Berichten zum Download und zur weiteren Vertiefung. Es gibt auch Analysen zu einzelnen Aspekten von Migration und Migrationsarten.

      2 Migrationstheorien1

      Warum migrieren Menschen und wie versucht die Politik Migration zu steuern? Während andere sozialwissenschaftliche Disziplinen, wie Soziologie, Geographie und Ethnologie, sich bereits früh mit diesen Fragen beschäftigt haben, kam die Politikwissenschat relativ spät zu diesem Themenfeld. Wie wir sehen werden, bedarf es für eine tiefergehende Analyse von Migration interdisziplinärer Zugänge. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über das weite Feld der Migrationstheorien mit Schwerpunkt auf der politischen Dimension.

      2.1 Sozialwissenschaftliche Migrationstheorie

      Die Anfänge der Migrationstheorien gehen auf den Geografen Ravenstein zurück, der im 19.Jahrhundert erste statistische Untersuchungen zur Binnenmigration in Großbritannien durchführte. Er wertete dafür Daten zu Binnenwanderungen auf Basis der Zensuserhebungen zwischen 1871 und 1881 aus. Dabei kam er zu verschiedenen Ergebnissen, die er in allgemeinen ‚Migrationsgesetzen‘ formulierte. So kam er zu dem Ergebnis, dass Wanderungen zumeist über kürzere Distanzen und in Etappen erfolgten, wobei Frauen kürzere Distanzen zurücklegten als Männer. Weiterhin erkannte er, dass das Wachstum in den Städten primär auf Zuwanderung zurückzuführen sei (und nicht auf natürliches Bevölkerungswachstum). Zudem war Migration damals schon auf wirtschaftliche Zentren ausgerichtet (Ravenstein 1885/89). Ravensteins veröffentlichte ‚Migrationsgesetze‘ sahen also schon damals eine starke ökonomische Bedingtheit von Migration, scheinen aus heutiger Sicht aber viel zu eindimensional und deterministisch.

      Dennoch können viele von ihm untersuchte Prozesse und Verhaltensmuster auch in der heutigen Migration beobachtet werden. Insbesondere die Beobachtungen, dass Arbeitsmigration (immer noch) zu den wesentlichen internationalen Migrationsformen zählt und sich Migrationen zunächst regional vollziehen, zeigen eine verblüffende Parallele zu den damaligen Erkenntnissen (Samers 2010, S.54ff.). Auch in der späteren Migrationsforschung werden Ideen von Ravensteins Forschung aufgegriffen und weitergeführt. So unterschied Ravenstein bereits verschiedene Arten der Migration, die in der heutigen Migrationsforschung verwendet werden. Die ‚stage migration‘ wird zum Beispiel von späteren Theorien aufgegriffen. Auch seine Thesen zu Wanderungsbewegungen finden sich in der gegenwärtigen Migrationsforschung wieder, so zum Beispiel die große Bedeutung urbaner Zentren für internationale Migrant*innen, die von Frey (1998) mit dem Begriff „Immigrant gateway cities“ und von Sassen (1991) mit der „Global City-Hypothese“ → 1 Grundbegriffe und aktuelle Trends) aufgegriffen wurden.

      Die gleich noch zu diskutierenden Push- und Pull-Faktoren gehen ebenfalls auf Ravensteins Analyse zurück und sind seitdem durch mehrere ökonomisch geprägte Migrationstheorien weiterentwickelt worden (insbesondere durch Lee 1966). Der Grundgedanke dabei ist, dass bestimmte Faktoren, wie ein hohes Bevölkerungswachstum, Armut oder bewaffnete Konflikte Migrant*innen aus einem Land ‚wegdrücken‘, während sie von Jobmöglichkeiten, höherem Lebensstandard oder Schutz vor politischer Verfolgung in einem anderen Land ‚angezogen‘ werden (Samers 2010, S.56ff.). Bei aller Kritik an Ravensteins wissenschaftlicher Methode bilden seine Forschungsergebnisse daher die Basis der modernen Migrationstheorien und beeinflussen die Migrationsforschung nachhaltig. Gerade auch der von Ravenstein geprägte methodologische Individualismus in der Migrationsforschung, mit dem das Individuum als zentrale Untersuchungseinheit etabliert wurde, beeinflusst moderne Ansätze, auf die wir als nächstes eingehen, noch heute.

      2.1.1 Theorien auf der Mikroebene

      Nach der Geografie haben sich vor allem Ökonom*innen der Erforschung von Migrationsprozessen angenommen. Dies geschah sowohl auf Makro- als auch auf der Mikro-Ebene. Auf der Mikro-Ebene wurde das Individuum vor allem als ökonomisch nutzenmaximierend betrachtet, das sich für die Migration entscheidet, wenn es im Aufnahmeland bessere Beschäftigungschancen und höhere Löhne (Lohndifferentialhypothese) erwarten kann (Todaro 1976). Entscheidend sind hierbei sog. ökonomische Push- und Pull-Faktoren: Die schlechte Wirtschaftslage im Heimatland gibt den Anstoß zur Migration (push), während die Auswahl des Ziellandes aufgrund der als am günstigsten wahrgenommenen Bedingungen (pull) erfolgt.

      Everest Lee unterscheidet vier Kategorien von Wirkungsfaktoren, die eine individuelle Migrationsentscheidung hervorrufen bzw. die Ursache von Migration erklären sollen: Faktoren in Verbindung mit dem Herkunftsgebiet, Faktoren in Verbindung mit dem Zielgebiet, sogenannte intervenierende Hindernisse („intervening obstacles“) sowie persönliche Faktoren (Lee 1966). Die maßgebliche Hypothese des neoklassischen Push/Pull-Modells lässt sich darin nach Haug (2000) zusammenfassen, als „[…] dass je mehr offene Stellen an einem Zielort im Vergleich zum Herkunftsort sind, je größer die Einkommensdifferenz ist und je mehr Migranten bereits an diesen Zielort gewandert sind, desto stärker wird die Tendenz zur Migration sein“ (Haug 2000, S.3). Unter den Push-Faktoren werden alle Faktoren des Herkunftsortes verstanden, die Migrant*innen ‚wegdrücken‘. Beispiele hierfür liegen in der Arbeitsmarktlage des Herkunftslandes, aber auch in der Diskriminierung oder Verfolgung ethnischer Minderheiten, in Naturkatastrophen oder kriegerischen Konflikten. Die (Migrant*innen ‚anziehenden‘) Pull-Faktoren werden nach Lee in den Merkmalen des Zielortes gesehen, die zur Immigration in ein Land bzw. eine Region motivieren. Klassische Beispiele hierfür liegen in besseren Arbeitsbedingungen, der Achtung von Menschen- und Bürgerrechten (u.a. Glaubensfreiheit) und politischer Stabilität (Lee 1966).

      In der soziologisch gewendeten Theorie der rationalen Entscheidung (rational choice) werden die ökonomischen Anreize um soziale und psychologische Aspekte erweitert. Der Behaviorismus legte dabei ein spezielles Augenmerk auf Kognitionsprozesse in der Entscheidungsfindung. Forschende wie Mueller (1981) und Clark (1986) haben die psychologischen Hintergründe von Migrationsentscheidungen untersucht, um herauszufinden, warum Migrant*innen an bestimmte Orte auswandern bzw. warum sie überhaupt emigrieren. Im Gegensatz zu neo-klassischen Vertreter*innen sind Behaviorist*innen, wie Wolpert (1965), auch an ‚irrationalen‘ Aspekten im Entscheidungsprozess interessiert, die Migrant*innen beeinflussen. Soziale und emotionale Faktoren, etwa im Zielland lebende Verwandte, können sich ebenso auf die Auswahl des Migrationsziels auswirken wie ökonomische Faktoren (Samers 2010, S.62f.). Entscheidend für die Migration ist demnach die Produktsumme aus ökonomischem, sozialem und psychischem Nutzen für den homo oeconomicus (Massey et al. 1993; Faist 1995).

      Wie schon bei Ravenstein liegt der Fokus dieser Ansätze auf dem Individuum. Die Neue Ökonomie der Arbeitsmigration weist diesen engen Begründungszusammenhänge als zu einseitig und lückenhaft zurück und betont vielmehr, dass die Agierenden in der Migration nicht allein entscheidend seien, sondern auch Beziehungsnetzwerke eine Rolle spielen. Dabei werden Familien als wesentliche, kollektive Akteure der Migration betrachtet, weshalb der maßgebliche Bestimmungsgrund der Arbeitsmigration sich vor allem in der Diversifizierung des Familieneinkommens finden lässt (Stark 1984). Während klassische Theoreme wie das Push/Pull und andere neoklassische Theorien (u.a. Stadt-Land-Migration nach: Todaro 1969; Borjas 1989) stets die Lohndisparitäten und die individuelle Nutzenmaximierung als zentrale Motivatoren einer Migrationsentscheidung herausstellten, findet hier eine Einbindung der

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