Internationale Migrationspolitik. Stefan Rother

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Internationale Migrationspolitik - Stefan Rother страница 8

Автор:
Серия:
Издательство:
Internationale Migrationspolitik - Stefan Rother

Скачать книгу

lassen, argumentiert Keohane, dass Veränderungen in der Institutionalisierung der Weltpolitik signifikanten Einfluss auf das Verhalten von Regierungen haben (Keohane 1989) und diese ihr Handeln zu einem beachtlichen Grad von bestehenden institutionellen Einrichtungen abhängig machen. So führte beispielsweise die Aussicht auf Gewährung von Einreisevergünstigungen oder Zugang zum EU-Binnenmarkt zu Veränderungen im staatlichen Verhalten. Abweichendes staatliches Verhalten wird dadurch nicht unmöglich, aber die Kosten-Nutzen-Rechnung verschiebt sich zugunsten regelgeleiteten Verhaltens.

       Relative oder absolute Gewinne?

      Umgangssprachlich ist oft von einer „Win-win“-Situation die Rede, im Bereich der Internationalen Beziehungen gestaltet sich die Sache aber etwas komplexer: Dass Staaten bei internationalen Verhandlungen und Abkommen an ihren eigenen Vorteil denken, ist weitgehend unumstritten. Eine Kontroverse gibt es aber darüber, wieweit dabei auch der Vorteil der anderen Partei(en) eine Rolle spielt: Realist*innen glauben, dass hier relative Gewinne entscheidend sind, Staaten also nur zur Kooperation bereit sind, wenn sie daraus mehr Vorteile ziehen als der oder die anderen Beteiligten. Institutionalist*innen gehen dagegen davon aus, dass Staaten bereits kooperieren, solange sie selber davon einen Nutzen haben, selbst wenn dieser für die anderen Beteiligten größer ist. In beiden Fällen folgen die Akteur*innen der Theorie der rationalen Entscheidung (rational choice theory), treffen dabei aber eine andere Kosten-Nutzen-Abwägung.

      Die Kosten-Nutzen-Abwägung kann auch dann zugunsten einer Kooperation ausfallen, wenn diese für einen Staat nicht nur Vor-, sondern auch Nachteile mit sich bringt, und zwar dann, wenn dieser Staat die Vorteile höher einschätzt als die Nachteile.

      Am weitesten ist der Gedanke der internationalen Kooperation in der sog. Regimetheorie entwickelt worden. Unter Regimen versteht man ein Geflecht von Normen, Regeln und Entscheidungsverfahren auf internationaler Ebene, an denen sich Nationalstaaten und andere Akteure orientieren und anpassen. Beispiele für internationale Regime finden sich etwa in Bereichen wie Handel, Umwelt, Menschenrechte und Abrüstung. Auch im Bereich Migration spielen sie eine wichtige Rolle, besonders im Schutz von Geflüchteten, wie wir weiter unten noch sehen werden. Regime können Bausteine einer Global Migration Governance werden; hier spielen Staaten nicht mehr die alleinige – oder sogar nur eine sehr geringe – Rolle und die Bedeutung von privatwirtschaftlichen und (zivil)gesellschaftlichen Akteur*innen nimmt zu (→ 13 Global Migration Governance).

       Regime

      Die weitgehend anerkannte Definition von Regimen stammt vom Stephen D. Krasner (1982, S.186): „Implicit or explicit principles, norms, rules, and decision-making procedures around which actors’ expectations converge in a given area of international relations. Principles are beliefs of fact, causation, and rectitude. Norms are standards of behavior defined in terms of rights and obligations. Rules are specific prescriptions or proscriptions for action. Decision-making procedures are prevailing practices for making and implementing collective choice.”)

      Die Reichweite ist in der Regel global, kann aber auch regional sein und sehr spezifische Themenfelder umfassen; so gibt es etwa im Diamantenhandel ein Regime, das den Handel mit sogenannten „Blutdiamanten“ ächtet und Mindeststandards für den Handel mit Rohdiamanten festlegt (Kimberley Process Certification Scheme (KPCS). Bei der internationalen Fluchtpolitik wird oft von einem Regime gesprochen, im Bereich der Arbeitsmigration dagegen von einem „fehlenden Regime“.

      Im Gegensatz zu internationalen Organisationen, wie z.B. die Vereinten Nationen, besitzen Regime keine Akteursqualität, sie können also nicht eigenständig handeln; es handelt sich lediglich um Regelwerke (Zangl 2010, S.133). Internationale Regime sind problemfeldspezifisch, internationale Organisationen können sowohl problemfeldspezifisch als auch problemfeldübergreifend sein.

      2.2.3 Liberaler Intergouvernementalismus

      Eine weitere Theorie ist der Liberale Intergouvernementalismus. Diese Theorie sieht Staaten weiterhin als rationale Nutzenmaximierer an, die allerdings auch erkennen können, dass eine gewisse Aufgabe ihrer Souveränität hin zu supranationalen Institutionen – wie der EU – in ihrem Interesse sein kann. Während alle bisher genannten Theorien den Staat als zentralen Akteur sehen, lenkt diese Theorie das Augenmerk auf gesellschaftliche Gruppen, die ihre materiellen und ideellen Interessen innerhalb des Staates, aber auch über dessen Grenze hinaus, also transnational, durchzusetzen versuchen (Moravcsik 1997).

      Internationale Politik erfolgt also auf zwei Ebenen: Gesellschaftliche Gruppen tragen einen sowohl innerstaatlichen als auch transnationalen Wettbewerb um Interessen aus und nehmen dadurch Einfluss auf die Politik von Regierungen. Staaten sind somit für Moravcik „ein Transmissionsriemen dominanter gesellschaftlicher Präferenzen, die sich auf die Außenpolitik eines Staates übertragen“. Im Bereich der Migrationspolitik könnte dies also bedeuten, dass tatsächliche (oder angenommene) fremdenfeindliche Stimmungen in der Bevölkerung oder der Erfolg von Anti-Immigrations-Parteien Regierungen dazu bringen, restriktivere Migrationsgesetze zu verabschieden, selbst wenn diese ihren wirtschaftlichen Interessen oder humanitären Prinzipien widersprechen. Die Debatten, die zum britischen „Brexit“-Volksentscheid geführt haben, können hierfür als Beispiel gesehen werden.

      Die neofunktionalistische Theorie, deren Mitbegründer Ernst B. Haas ist, befasst sich ebenfalls mit vor allem regionaler Kooperation – allerdings aus einer entgegengesetzten Perspektive (Haas 2004): Hier führt Kooperation zur Schaffung supranationaler, also überstaatlicher Institutionen, deren Existenz und bürokratischer Apparat wiederum weitere zwischenstaatliche Kooperation befördert. Der Ansatz ist gut geeignet, die zunehmende Integration der EU, wie etwa auch die Personenfreizügigkeit im Rahmen des Binnenmarkts, zu erklären. Allerdings zeigen die politischen Verwerfungen im Rahmen der Geflüchtetenkrise und etwa der britische Widerstand gegen besagte Binnenfreizügigkeit, dass Integration kein unumkehrbarer Prozess ist, sondern von innerstaatlichen Debatten beeinflusst werden kann.

      2.2.4 Der Konstruktivismus

      Der Konstruktivismus hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten zu einer der führenden Theorieschulen im Bereich der internationalen Beziehungen entwickelt, wobei diese eine Vielzahl von Ansätzen umfasst. Kritisch wird vor allem der Prozess der Erkenntnisgewinnung betrachtet: „Die konstruktivistische These besagt, dass die Realität, mit der sich Wissenschaft beschäftigt, nicht objektiv gegeben, sondern kognitiv erzeugt ist.“ (Jensen 1999, S.89) Realität erscheint demnach erst in der Theorie: Erst die Deutung der Beobachtung bringt Realität hervor. Eine objektive Wirklichkeit kann es somit selbst in der Naturwissenschaft nicht geben, da die Gegenstände, mit denen diese sich befasst, nur innerhalb ihrer Beobachtung erscheinen und nicht außerhalb von ihr. Auf die individuellen Menschen bezogen heißt dies, dass das, was sie als Wirklichkeit wahrnehmen, wenn sie darüber reflektieren, nicht einfach gegeben ist. Vielmehr handelt es sich bei dieser Wirklichkeit lediglich um einen Begriff, den der Mensch innerhalb der eigenen Kultur verwendet, um den persönlichen Lebensraum zu bezeichnen.

      Eine der führenden Vertreter des Sozialkonstruktivismus in den internationalen Beziehungen ist Alexander Wendt. Der wesentliche Punkt, in dem sich Wendt von den rationalistischen Annahmen früherer Theorieschulen abhebt, ist das Akteursverständnis. Sowohl Neorealismus als auch Neoliberalismus gehen davon aus, dass die Staaten Interessen haben, die durch die anarchische Struktur des Staatensystems kausal bedingt sind. Wendt hält dagegen, dass Selbsthilfe und Machtpolitik sich weder logisch noch kausal aus dem Zustand der Anarchie ergeben. Wenn das Staatensystem heute dennoch von diesen beiden Faktoren geprägt ist, so ist dies nicht strukturell, sondern prozessual bedingt: „Anarchy is what states make of it.“ (Wendt 1992, S.395) Wenn Identität und zentrale Interessen eines Staates also nicht von vornherein unverrückbar gegeben sind, wovon vor allem der Realismus ausgeht, dann lässt dies die Möglichkeit zu, dass diese als Variablen durch Interaktion verändert werden: „Constructivist optimists

Скачать книгу