Internationale Beziehungen. Christian Tuschhoff

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Informationsunsicherheit. In dieser Situation müssen Staaten also von der schlimmeren der beiden genannten Möglichkeiten ausgehen. John Herz (1950) sprach vom sogenannten Sicherheitsdilemma: Die Sicherheit des einen Staates ist die Unsicherheit des anderen Staates. Als Reaktion auf die Aufrüstung des einen Staates werden auch andere zur Selbsthilfe schreiten und aufrüsten. So entsteht ein Rüstungswettlauf zwischen Staaten, den Neorealisten auf die Ursache der Anarchie im internationalen System zurückführen. Konflikte zwischen Staaten sind in Internationalen Beziehungen nahezu unvermeidlich.

      Relative Gewinne

      Aus diesem Grund halten Neorealisten auch die Möglichkeiten von Kooperationen zwischen Staaten für äußerst begrenzt. Das anarchische Selbsthilfesystem zwingt sie dazu, strikt darauf zu achten, dass Kooperation mit anderen nicht zu einem Nachteil für sie selbst wird. Wenn sie eine Kooperation eingehen, muss der gemeinsame Nutzen (Kooperationsgewinn) gleichmäßig auf alle beteiligten Staaten verteilt sein. Diese Bedingung nennt man »relative Gewinne« (Grieco 2006; Waltz 1979). In Abbildung 2.1 links ist diese Bedingung erfüllt, denn alle Staaten A bis E gewinnen 20 % aus einer Kooperation miteinander. Ist, wie in Abbildung 2.1 rechts, diese Bedingung nicht erfüllt, d. h. gibt es die Chance, dass ein oder mehr Staaten größeren Nutzen aus der Kooperation ziehen könnten als andere, dann gehen Staaten diese Kooperation gar nicht erst ein.9 Staaten werden also eher nach Autonomie streben, statt sich in eine Abhängigkeit von anderen Staaten zu begeben. In einem anarchischen Selbsthilfesystem, so die Neorealisten, ist Kooperation sehr schwierig und deshalb selten.

      Herausforderung von Hegemonen

      Vertreter der neorealistischen Schule sind sich nun uneins, ob Staaten nur den Status quo ihrer machtpolitischen Position im Staatensystem erhalten (defensive Realisten z. B. Waltz) oder ihre Position im Vergleich zu anderen Staaten dauerhaft verbessern wollen (offensive Neorealisten z. B. Mearsheimer). Konflikte mit gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Großmächten entstehen vor allem dann, wenn es zwischen ihnen zu erheblichen Machtverschiebungen kommt. Eine Möglichkeit ist, dass ein Staat seine Position durch einseitige Aufrüstung erheblich verbessert. Auf diese Weise fordert er den Staat heraus, der bislang eine herausgehobene Stellung eingenommen hat.

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       Quelle: eigene Darstellung.

       Definition

       Hegemon

      Ein Staat, der über sehr viel mehr Macht verfügt als andere und deshalb Regeln setzen und deren Einhaltung erzwingen kann, wird Hegemon genannt.

      Ein Krieg kann ausbrechen, entweder wenn ein Hegemon einen aufstrebenden Staat in dessen Schranken weisen und seine eigene hegemoniale Stellung bewahren möchte, oder Krieg bricht aus, weil ein aufsteigender Staat den Hegemon vom Sockel stoßen und selbst Hegemon werden möchte. Das dazu einschlägige Forschungsprogramm wird als Machtübergangstheorie (power transition theory) bezeichnet (Levy/Thompson 2010: 44–48). Diese beiden Varianten werden als mögliche Szenarien für die Beziehungen zwischen dem gegenwärtigen Hegemon USA und der aufstrebenden Volksrepublik China gesehen (Wolf 2012; image Kap. 3.1.1).

      Macht

      Für die neorealistische Denkschule steht daher die »Macht« von Staaten im Zentrum der Betrachtung.

       Definition

       Macht

      Unter Macht versteht man zumindest die Ausübung einer der folgenden Möglichkeiten, eigene Ziele auch gegen Widerstand durchzusetzen (Hart 1976):

      imageLenkung von Ressourcen,

      imageBeherrschung von Akteuren,

      imageLenkung von Politikergebnissen.

      Position im Staatensystem

      »Polarität«

      Die Ausstattung von Staaten mit Macht – insbesondere mit militärischen Fähigkeiten – bestimmt, welche Position sie im internationalen Staatensystem einnehmen. Während Staaten sich also einerseits im Prinzip einander ähnlich sind, weil sie die gleichen Funktionen ausüben (Waltz 1979: 93), unterscheiden sie sich andererseits mit Blick auf ihre Machtpotentiale sehr. Mehr noch: die Verteilung von Macht auf Staaten zeigt auch die Konfiguration — Neorealisten sprechen von »Polarität« — des gesamten internationalen Systems an. Gibt es einen Staat, der in der Machtausstattung alle anderen weit überragt, spricht man von Unipolarität. Dies ist die Konfiguration des gegenwärtigen internationalen Systems, weil die USA allen anderen Staaten machtpolitisch haushoch überlegen ist. Gibt es zwei ähnlich starke Staaten, so nennt man dies Bipolarität. So bildeten die USA und die Sowjetunion die beiden machtpolitischen Pole im internationalen System während des Kalten Krieges (1945–1990). Findet man mehr als zwei Staaten, die machtpolitisch ähnlich ausgestattet sind, so spricht man von Multipolarität. Diese Konfiguration bestand z. B. im Europa des 19. Jahrhunderts zwischen Großbritannien, Frankreich, Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland (Preußen).

      Balancing

      Bandwagoning

      Hegemone und/oder Großmächte zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbst für ihre Sicherheit und ihr Überleben sorgen können. Dazu verfügen sie über ausreichend Ressourcen. Kleinere Staaten – und das ist die ganz überwiegende Zahl – sind auch bei allergrößter Anstrengung nicht in der Lage, ihr Überleben ohne fremde Unterstützung sicherzustellen. Selbsthilfe ist für diese Staaten keine erfolgversprechende Strategie, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Sie müssen deshalb zu einer der Selbsthilfe nachgeordneten Strategie — einer zweiten Präferenz — greifen. Hierzu bieten sich ihnen zwei Möglichkeiten: Erstens können sich viele kleinere Staaten zu einer Allianz zusammenschließen, denn mit dem gemeinsamen Machtpotential aller zusammen sind sie viel eher als jeder einzelne in der Lage, die Macht einer Großmacht/eines Hegemons auszubalancieren. Dieses Verhalten bezeichnet man mit dem englischen Wort balancing. Indem sich viele kleine Staaten zu einem Bündnis zusammenschließen, bilden sie einen eigenen machtpolitischen Pol im internationalen System gegen eine oder mehrere Großmächte. Zweitens können sich kleinere Staaten einer Großmacht anschließen und/oder unterordnen, die dann die Sicherheit der Kleinen garantiert. Dieses Verhalten bezeichnet man mit dem englischen Wort als bandwagoning.10 Bei dieser Möglichkeit versprechen sich die kleineren Staaten nicht nur den Schutz durch den Hegemon, sondern sie hoffen auch, dass sie an den Gewinnen des Hegemons in internationalen Beziehungen angemessen beteiligt werden.

      Es ist vergleichsweise einfach, das Machtpotential von Staaten grob zu schätzen, um Unterschiede zwischen Hegemonen, Großmächten und kleinen Staaten zu bestimmen. Bei solchen groben Schätzungen spielen üblicherweise die Größe der Bevölkerung, das Bruttoinlandsprodukt und die Größe des staatlichen Territoriums eine wichtige Rolle. Der herausragende Faktor sind aber vor allem die militärischen

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