Internationale Beziehungen. Christian Tuschhoff
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Internationale Beziehungen
Kernbegriffe der empirischen Analyse
Das Ziel einer empirischen Analyse ist, diejenigen Ursachen zu identifizieren, die mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit die vermutete Wirkung erzeugen.
Auswahl aus Großtheorien
Die beschriebene Vorgehensweise bei der Untersuchung internationaler Beziehungen (
Die wichtigsten Annahmen und Aussagen der vier Großtheorien Realismus, Institutionalismus, Liberalismus und Konstruktivismus werden im Folgenden knapp zusammengefasst, weil in weiteren Kapiteln darauf Bezug genommen wird.5 Statt eine dieser Großtheorien zu bevorzugen, wird in diesem Buch die Auffassung vertreten, dass alle einen wichtigen Beitrag zu einem besseren Verständnis von Fragen Internationaler Beziehungen beitragen können.6 Die Auswahlentscheidung obliegt dem Forscher, der eine Untersuchung durchführt. Die von den Großtheorien identifizierten Ursachen können nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit Zusammenhänge in internationalen Beziehungen erklären. Dem Anspruch, eine umfassende Erklärung für alle Phänomene Internationaler Beziehungen zu liefern, wird keine Großtheorie gerecht.
2.1 | Neorealismus
Die Ideenwelt des Realismus7 ist reichhaltig und reicht bis zum Philosophen Thucydides (460–400 AC) in der griechischen Antike zurück. Politisch wurde der Realismus während des Kalten Krieges zur einflussreichsten Denkschule. George Kennan, Hans Morgenthau und Henry Kissinger gelten als die wichtigsten Vertreter. Die moderne Politikwissenschaft entwickelte den klassischen Realismus dieser Autoren fort zum Neorealismus. Dessen herausragende Vertreter sind Kenneth N. Waltz; John J. Mearsheimer, Robert Gilpin, Joseph Grieco oder Joanne Gowa. In Deutschland wird er vor allem von Werner Link und Carlo Masala vertreten.
Anarchie
Die Internationalen Beziehungen verdanken der neorealistischen Theorie zwei Schlüsselannahmen.8 Die erste lautet: Das internationale System ist von Anarchie gekennzeichnet.
Dieses Merkmal ist der wesentliche Unterschied zwischen internationalen Beziehungen und der Politik innerhalb von Staaten, denn dort herrscht ein Gewaltmonopol, dem sich die Bürger als Akteure unterordnen müssen. Diese Annahme wird mittlerweile von den allermeisten Autoren geteilt, auch wenn sie sich nicht der realistischen Denkschule zurechnen (Lake 2009: 1–2).
Definition
Anarchie in Internationalen Beziehungen
Unter Anarchie wird nicht Chaos verstanden, sondern die Abwesenheit einer zentralen Autorität, die es vermag, für alle Akteure bindende Regeln zu setzen und gegen Widerstände durchzusetzen. Anarchie ist das Gegenteil von Hierarchie, denn alle Akteure sind im Prinzip ähnlich und einander gleichgestellt. Ähnlich bedeutet, dass sie alle dieselben Funktionen ausüben.
Staaten als Akteure
Die zweite Annahme lautet: Staaten sind die zentralen oder sogar einzigen Akteure in Internationalen Beziehungen. Alle anderen Arten von Akteuren können bei der Forschung vernachlässigt werden. Staaten werden auch nicht (wie z. B. von den Vertretern des Liberalismus;
Selbsthilfe
Von der Anarchie als Merkmal des internationalen Systems geht nun eine ganz erhebliche Wirkung aus: Sie legt die Interessen und Interaktionen der Akteure fest. Denn wenn es keine übergeordnete Autorität gibt, die die Akteure – also Staaten – notfalls voreinander schützen wird, dann müssen diese selbst für ihre Sicherheit – im Extremfall für ihr Überleben – sorgen. Da sie sich auf keine Autorität verlassen können, sind sie auf Selbsthilfe angewiesen. Neorealisten bezeichnen das internationale System deshalb auch als »anarchisches Selbsthilfesystem«.
Sicherheitsdilemma
Wenn Staaten sich nicht auf eine übergeordnete Regierung mit Polizei und Justiz, die sie notfalls vor anderen Staaten schützt, verlassen können, rückt die Herstellung von Sicherheit an die erste Stelle der Liste staatlicher Interessen. Kein anderes Interesse ist wichtiger. Alle Staaten müssen sich daher ausreichende Kapazitäten verschaffen, um sich gegen die Angriffe anderer Staaten schützen zu können. Zu diesem Zweck werden sie militärisch aufrüsten. Von diesen Aufrüstungsmaßnahmen werden sich aber andere Staaten zwangsweise bedroht fühlen. Denn diese können nicht wissen, ob ein Staat aufrüstet, um sich selbst