Erlebnispädagogik. Werner Michl
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Erlebnispädagogik - Werner Michl страница 4
Abb. 5: Erlebnis- und handlungsorientiertes Lernen – eine Übersicht
Die Modifikationen des erlebnis- und handlungsorientierten Lernens kann man bildlich als vierblättriges Kleeblatt darstellen (Abb. 4). Es setzt sich zusammen aus pädagogischen Disziplinen (erstes Blatt), von der klassischen Erlebnispädagogik über Ferien- und Freizeitpädagogik und Naturpädagogik, die Elemente des Survival enthält (Bach / Bach 2016), bis hin zur Sportpädagogik. Das zweite Blatt ist mit Selbsterfahrung und Therapie überschrieben. Dazu zählen das Solo (vgl. dazu Thoreau 1971), die Erlebnistherapie (Gilsdorf 2004), die Arbeit mit Ritualen und spirituelle Ansätze (Schödlbauer 2004; Muff / Engelhardt 2013) sowie die Visionssuche – die therapeutische Variante des Solo (Koch-Weser / v. Lüpke 2005): Aus der ein- bis dreitägigen Einsamkeit in der Natur, dem Solo, entwickelte sich seit dem Jahr 2000 die Visionssuche, die der Selbsterfahrung und therapeutischen Zwecken dienen soll. Auf dem dritten Blatt werden Weiterbildung und Firmentrainings gewürdigt, vom Outdoor-Training und Outdoor-Development-Training, das sich durch intensive und langfristige Trainingsarbeit auszeichnet, bis zum Event oder Incentive. Im weiten Feld der Weiterbildung sind handlungsorientierte Methoden inzwischen ein fester Bestandteil. Auf dem vierten Blatt wird ein Ausschnitt der Vielfalt gängiger erlebnis- und handlungsorientierter Methoden genannt: Kooperative Abenteuerspiele (Gilsdorf / Kistner 2001 und 2003) und Lernprojekte (Heckmair 2008), City Bound (Deubzer / Feige 2004; Crowther 2005) und Land-Art (Güthler / Lacher 2005, Häfele 2011).
Standards der Erlebnispädagogik. An mindestens zwei Kriterien muss sich die Erlebnispädagogik messen lassen: Sicherheit und Ökologie. Nach vielen Irrungen und leichtsinnigen Aktionen ist heute bei den allermeisten Trägern der Erlebnispädagogik ein hoher Sicherheitsstandard vorhanden. Er basiert auf zehn bis zwanzig Jahren Erfahrung – aus Unfällen, Beinaheunfällen und Zwischenfällen hat man gelernt (vgl. dazu Dewald et al. 2003) – und einer Strategie der kontinuierlichen Verbesserung. Kein Träger der Erlebnispädagogik kann sich einen Unfall leisten. Zwischen subjektiv gefühltem Risiko und objektiver Gefahr besteht ein großer Unterschied. Teilnehmer, die sich erstmals aktiv von einem Felsen abseilen – natürlich durch den Trainer gesichert –, fühlen sich dabei wesentlich sicherer, als wenn sie vom Trainer passiv abgelassen werden. Dabei enthält das aktive Abseilen eindeutig mehr Fehler- und Unfallquellen als das passive Ablassen. „Erlebnistage“ – mit mehr als 25000 Schülern und Schülerinnen pro Jahr der größte erlebnispädagogische Anbieter im deutschsprachigen Raum – berichtet z. B. von einem Knöchelbruch, zugezogen beim Versuch, nächtens von einem Etagenbett ins andere zu springen oder von einer Prellung am Arm, weil jemand bei der Verfolgungsjagd im Treppenhaus ausgerutscht ist. Es handelt sich hier ausnahmslos um Unfälle, die außerhalb der offiziellen erlebnispädagogischen Angebote stattfanden. Bei erlebnispädagogischen Aktionen wird penibel auf Sicherheit geachtet, Standards werden ständig überdacht und verbessert. Lediglich die kooperativen Abenteuerspiele, die zum Methodenspektrum des erlebnisorientierten Lernens gehören, werden von jungen Trainern als Unfallursache oft unterschätzt. Bei glitschigem Rasen und leichtsinnigen Gruppen passieren hier weit mehr Unfälle als in natursportlichen Situationen. Für ausnahmslos alle erlebnispädagogischen Aktionen, sei es im Seil- oder Klettergarten, bei der Höhlen- oder Kanutour, beim Bau einer Seilbrücke, gilt jedoch, dass gegen Ende der Spannungsbogen fällt und dann Unfälle wahrscheinlicher werden. Nicht selten taucht aber als einziger Schadensfall ein beschädigter Wagen auf – weil das Kanu schlecht am Autodach verknotet war.
Zahlreiche Publikationen, viele kreative Ideen und Experimente haben mittlerweile für höchsten Standard gesorgt. Walter Siebert und Stefan Gatt (1998) haben mit „Zero Accident“ ein erstes Sicherheitskonzept veröffentlicht, und Stefan Gatt und andere haben 2006 Standards bei Outdoor-Trainings definiert. Die „Missgeschicke. Eine Sammlung erlebnispädagogischer Praxisfälle“ von Wilfried Dewald, Lydia Kraus und Martin Schwiersch (2003) sind aus der Praxis für die Praxis zusammengestellt.
In nahezu allen Praxisbüchern der Erlebnispädagogik werden ökologische Grundsatzfragen gestellt und mehr oder weniger zufriedenstellend geklärt. „Natur, Erlebnis, Ferien: Handbuch für die Gestaltung ökopädagogischer Kinder- und Jugendfreizeiten“ von Anke Schlehufer und Steffi Kreuzinger (1997), das im Schnittpunkt von Erlebnis- und Ferienpädagogik zu verorten ist, bietet ein breites Spektrum ökologischer Einsichten, Tipps und Aktionen. Eine systematische Analyse, auch der konfliktreichen Überschneidungen zwischen Erlebnispädagogik und Naturschutz, stellt die Dissertation von Albin Muff (1997) dar.
Weiterbildung, Qualifikation und Berufsbild. Seit mehr als acht Jahren sind im deutschsprachigen Raum tief greifende Bemühungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung sichtbar. Dies war unbedingt notwendig, da der Markt für Außenstehende nur schwer durchschaubar war und die Qualität zwischen den Angeboten beträchtlich schwankte. 2008 begann ein Qualitätsprozess für Aus- und Weiterbildungen in der Erlebnispädagogik, der durch den Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. (be) in die Wege geleitet wurde. Das erste greifbare Ergebnis waren die Qualitätsgrundlagen für erlebnispädagogische Ausbildungen, die 2011 verabschiedet wurden. Direkt im Anschluss begann eine Arbeitsgruppe, ein Zertifizierungsverfahren für Ausbildungsanbieter zu erarbeiten. Seit 2015 gibt es die ersten zwei zertifizierten Anbieter (Zwerger & Raab und GFE erlebnistage). Im Frühjahr 2015 wurde vom „Hochschulforum Erlebnispädagogik“ und dem be („Fachgruppe Aus- und Weiterbildung“) nach langjähriger Diskussion das „Berufsbild Erlebnispädagog_in“ beschlossen. Dabei wirkten Hochschulvertreter, Praxisanbieter und Einzelpersonen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden mit.
Seit Mai 2018 vergibt der Bundesverband Individual- und Erlebnispädagogik e.V. (be) den Titel Erlebnispädagoge be® / Erlebnispädagogin be®. Um den Titel zu erlangen, müssen folgende Qualifikationen nachgewiesen werden (https://www.bundesverband-erlebnispaedagogik.de/qualitaet/erlebnispaedagoge-ber.html):
■ pädagogische und erlebnispädagogische Ausbildung,
■ umfassende Erfahrungen in der erlebnispädagogischen Praxis,
■ Nachweis von Fort- und Weiterbildungen,
■ Reflexion der eigenen Arbeit,
■ natürliche Mitgliedschaft im be.
Dies ist ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zur Professionalisierung der Erlebnispädagogik und in Richtung Berufsbild Erlebnispädagogik.
Hauptteil
1
Geschichte: Woher kommt die
Erlebnispädagogik?
In diesem Kapitel gehen wir zunächst einigen Begriffen auf den Grund, die im Zusammenhang mit der Erlebnispädagogik eine Rolle spielen. Dann folgen einige Gedanken zu Vordenkern und Wegbereitern der Erlebnispädagogik.
Torsten Fischer und Jörg Ziegenspeck haben in ihrem „Handbuch Erlebnispädagogik“ (2000) in überzeugender Weise versucht, eine Ideengeschichte der Erlebnispädagogik zu verfassen. Wer sich also auf die Tiefenschichten der Historie konzentrieren will, kann zu diesem Werk greifen (vgl. dazu Michl / Schödlbauer 1999). Schon vor dem Zeitalter der Aufklärung entwickelten sich zwei wissenschaftstheoretische Ansätze. Die