Die NATO. Falk Ostermann

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im Gegensatz zu Walt den Schluss, dass Allianzen immer auf einer balance of powerbalance of power-Logik beruhten, die in diesem Fall dem stärkeren Partner die Möglichkeit gibt, die Allianz in seinem Sinne zu prägen, wenn er bereit ist, dafür die Kosten zu tragen. Walts 2009er Aufsatz zu Alliances in a Unipolar World (Walt 2009) geht noch stärker auf die Folgen eines extrem übermächtigen HegemonHegemonie (USA)en wie den USA ein – eine Situation, die es so bisher in der Weltpolitik noch nicht gab. Er streicht heraus, dass Allianzen unter unipolarPolaritäten Bedingungen einerseits dem Unipol/ HegemonHegemonie (USA)en selbst quasi unbeschränkte Freiheit in seinen Politiken ermöglichen (s. auch Rösch 2016) und alliierte wie andere Staaten gleichzeitig dieser Übermacht kritischer gegenüberstehen. Gleichzeitig wird Gegenmachtbildung schwieriger. Auch intra-Allianzdynamiken seien kompliziert, weil Mitgliedstaaten weniger Verhandlungsgewicht als zu bipolarPolaritäten Bedingungen haben, in denen der HegemonHegemonie (USA) auf Kooperation angewiesen ist.

      Diese Tendenzen und Probleme der NATO sind unserer Tage erkennbar, reichen aber bis zu ihrer Gründung zurück. Die für den BeistandsfallBündnisfall des NordatlantikvertragNordatlantikvertrags (Art. 5Bündnisfall) gefundenen Formulierungen stellen einen Kompromiss zwischen einer von europäischen Staaten gesuchten militärischen Beistandspflicht und einer nordamerikanischen Vorsicht gegenüber Beistandsautomatismen dar (Grosser 1986, 96f.; Ismay 1955, Kap. 2; Raflik 2011, 210). Der BeistandsartikelBündnisfall bewegt sich somit auf einer feinen Linie zwischen impliziter Verpflichtung zur Hilfe und Wahrung nationaler Selbstbestimmung. Er ist daher im Endeffekt ein im Vertrauen gegebenes Versprechen. Es lässt sich aus neorealistischer Sicht somit eine gewisse Vorsicht erkennen, sich zu fest an andere Staaten und ihre Handlungen zu binden, die den eigenen Interessen entgegenlaufen könnten. Die Formulierungen des NordatlantikvertragNordatlantikvertrags schützen die Verbündeten vor militärischen Abenteuern einzelner Mitglieder, indem sie durch die theoretische Möglichkeit der Nichtausrufung des BündnisfallBündnisfalls zur Vorsicht anhalten. Die geografischen Einschränkungen der Vertragsgültigkeit gehen in eine ähnliche Richtung. Praktisch bleibt dadurch vor allem der HegemonHegemonie (USA)ialmacht USA als militärisch eigenständigem Akteur ein größerer Freiheitsraum erhalten. Dieser Raum führt zu Situationen, in denen US-amerikanische Strategien mehr oder weniger unverändert auf die Allianz übertragen werden, z. B. bei Diskussionen um nukleare oder konventionelle Verteidigungsstrategien während des Kalten KriegsKalter Krieg (s. Kap. 3.4). Vor allem Frankreich kritisierte deshalb US-Paternalismus scharf (s. Exkurse). Diese historischen Ereignisse und Debatten legen Zeugnis davon ab, dass die starke Rolle der USA in der Allianz gleichzeitig unabdingbar, notwendig und problematisch war. So beobachtete Kugler im Jahr 1991:

      „The United States made many tactical errors in Alliance management and perhaps a few strategic blunders. Often it behaved too unilaterally, without due regard for Allied sensitivities and the need for advance consultation. Sometimes, it sought too much, too quickly. And its larger visions for West European integration and transatlantic relations often were curiously blind to the goals of key allies, especially France. In later years, the United States was able to correct many of these shortcomings by behaving more patiently within NATO and by treating France with greater respect.“ (Kugler 1991, 141).

      NATO-Handlungen gingen also häufig von US-Initiativen aus bzw. waren durch die überlegenen US-amerikanischen militärischen FähigkeitenKapazitäten (militärische) geprägt, die der Allianz ihren Stempel aufdrückten (Nötzel und Schreer 2009, 212f.). Die vertraglichen Regelungen und die Allianzpraxis sind also nicht völlig frei von relativen MachtMachtverhältnissen zwischen den Partnern. Aber vor allem während des Kalten KriegsKalter Krieg war die Kehrseite der Medaille stets auch die Sicherstellung der Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses, die klar im Blick der USA stand und im Interesse der europäischen Alliierten lag (Kugler 1991, 143; Nötzel und Schreer 2009, 212f.). Somit kann die Zusammenarbeit in der Atlantischen Allianz auch als ein Fall gesehen werden, in dem im Feld Sicherheit kompatible, wenngleich nicht immer konfliktfreie Interessen vorliegen (Keohane 1988, 380ff.; 1984, Kap. 6), die gleichzeitig durch MachtMachtbeziehungen beeinflusst werden. Die USA sind durch ihre militärisch wie institutionell herausgehobene Position in der NATO zwar in der Lage, eine Agenda entlang ihren Vorstellungen zu verfolgen, die Akzeptanz dieser Agenda und ihre Umsetzung sind aber von der Kooperation der Alliierten und dem Konsensprinzip abhängig. Dies macht deutlich, dass wahrscheinlich mehr Wirkmechanismen am Entstehen (und dem Ende) von Allianzen beteiligt sind, als Mearsheimer einräumt, und sich somit die revidierte, dem InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus und LiberalisLiberalismusmus annähernde Version der Walt’schen AllianztheorieAllianztheorie als besseres Erklärungsgerüst anbietet (McCalla 1996). Die neorealistische AllianztheorieAllianztheorie hält uns aber zur Vorsicht an, in IdeologiIdeologieen und InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierung nicht die einzigen Triebfedern von Militärbündnissen zu sehen.

      3.2 Die Anfänge 1949-1955: Allianzbildung und Aufbau einer gemeinsamen Verteidigung

      Nach dem Rückzug der UdSSR aus dem Alliierten KontrollratAlliierter Kontrollrat 1948, der Berlinblockade (1948-1949) sowie der MachtMachtübernahme der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei waren die hegemonialen Absichten der Sowjetunion in Deutschland und Europa deutlich (Kaplan 1984, 63f.; Grosser 1986, 95ff.; Georgantzis 1998, 27ff.). Die NATO-Alliierten mussten nun das Bündnisversprechen in die Praxis einer gemeinsamen Verteidigung umsetzen. Dafür wurden die bereits oben genannten institutionellen Schritte umgesetzt (s. 2.3). In Anbetracht der starken und einheitlich organisierten sowjetischen Militärpräsenz östlich der Elbe war aber vor allem der Aufbau einer echten militärischen Verteidigungsfähigkeit zentral. Amerikanische Waffenlieferungen (und natürlich der Marshall-PlanMarshall-Plan) bildeten bereits seit 1950 einen materielleMaterialismusn Anfang, der in Anbetracht des durch den Krieg zerstörten Europas enorm wichtig war (Ismay 1955, 24). Die USA verlegten bis 1952 400.000 US-amerikanische Soldat*innen nach Westeuropa (Ismay 1955, 40). Wichtig waren ebenfalls ein Voranschreiten bei der gemeinsamen VerteidigungsplanungVerteidigungsplanung, der Etablierung gemeinsamer Prozeduren, einer Kommandokette und einer militärischen Strategie (Ismay 1955, Kap. 2; NATO 1949b, 6, Art. 8). Dies stellte eine enorme Hürde dar, weil große Uneinigkeit über den Verlauf der Verteidigungslinien bestand (weiter im Osten und somit schwerer zu verteidigen oder tiefer im Westen?) – eine Frage, die durch den Beitritt der BRD im Jahr 1955 noch zentraler wurde, da die Strategiewahl das bundesdeutsche Territorium als Kriegsschauplatz direkt betraf (Kaplan 1984, 142ff.). Letztlich ist in einer Allianz die Entwicklung einer Strategie immer ein Ausgleich zwischen den Interessen aller Mitglieder (Strachan 2005, 40).

      Die strategischen Konzeptestrategische Konzepte der Jahre 1949 und 1952 setzten wegen der Realität sowjetischer konventioneller Überlegenheit auf die Garantie nuklearer AbschreckungAbschreckung (nuklear) durch die USA. Das Konzept vom 1. Dezember 1949 (DC 6/1) stellt daher zu Beginn der Auflistung der militärischen Maßnahmen klar, dass Verteidigungspläne „die Fähigkeit zu strategischen Bombardements mit allen möglichen Mitteln und allen Waffentypen, ohne Ausnahme, garantieren“ müssen (NATO 1949c, 5, Art. 7a).1 Die europäischen Mitgliedstaaten sollten konventionelle Mittel bereitstellen, bis Hilfe aus den USA und Kanada eintreffen konnte (ibid., Art. 7b). Des Weiteren seien die USA und das Vereinigte Königreich für die Sicherung der transatlantischen Luft-, Schifffahrts- und Kommunikationslinien verantwortlich, während die anderen Partner ihre Häfen oder Luftbasen und andere Infrastruktureinrichtungen schützen müssten (ibid., Art. 7d, e). Die zahlenmäßige, konventionelle Unterlegenheit sollte durch technischen Fortschritt der alliierten Kräfte ausgeglichen werden. Fünf regionale Planungsgruppen (USA, Kanada, Nordatlantik, Westeuropa, Nordeuropa, Südeuropa und westliches Mittelmeer) arbeiteten für ihre Bereiche Streitkräfteplanungen aus. Dies war bei allen Mängeln ein Fortschritt gegenüber individuellen oder nur durch die USA verantworteten Plänen (Kaplan 1984, 142f.; Pedlow 1997, XIff.). Teil dieser Pläne war im zunehmenden Maße das Konzept der Forward DefenceForward DefenceVorneverteidigung (VorneverteidigungVorneverteidigung, später auch Vorwärtsverteidigung), wonach die Staaten der drei kontinentaleuropäischen Planungsregionen versuchen sollten, sowjetische Angriffe so weit wie möglich im Osten aufzuhalten oder zu verzögern, um die Zeit bis zum Eintreffen weiterer Truppen von Westen her zu überbrücken und der Luftverteidigung

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