Meteorologie. Hans Häckel
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Wäre die Luftschicht nicht so tief abgesunken wie in unserem Beispiel, so hätte es für die Entstehung einer Inversion nicht gereicht. Die Temperaturabnahme mit der Höhe wäre aber in jedem Fall kleiner, der Temperaturgradient also unteradiabatisch geworden.
Neben dem großflächigen Absinken von Luftschichten gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Vorgänge, die zur Entstehung von Inversionen führen. Eine besonders wichtige, die sogenannte „Strahlungsinversion“, werden wir im Zusammenhang mit dem Energiehaushalt der Erdoberfläche besprechen (s. Seite 238); bezüglich weiterer Entstehungsmechanismen muss auf Werke der Theoretischen Meteorologie (s. Seite 434) verwiesen werden.
Analoge Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass beim großflächigen Aufsteigen einer Luftschicht eine Inversion abgebaut bzw. ein unteradiabatischer Gradient in einen zunehmend adiabatischen übergeführt wird. Zu Veränderungen des Temperaturgradienten kommt es auch, wenn warme Luft auf kalte aufgleitet oder von kalter Luft hochgehoben wird (s. Seite 51ff.).
Großflächige und langlebige Absinkvorgänge stellen sich bei uns oft im Spätherbst und Winter ein. Dadurch kommt es zur Ausbildung mächtiger Inversionen, die nicht selten zu der zunächst paradox erscheinenden Situation führen, dass die Temperatur auf den Bergen höher ist als in den Tälern.
So wurde z. B. am 1. November 1984 um 7 Uhr folgendes Wetter gemeldet:
München | (Höhe 530 m) | nebelig: | –2,2 °C |
Hohenpeißenberg | (Höhe 997 m) | heiter: | +8,6 °C |
Großer Arber | (Höhe 1445 m) | heiter: | +11,4 °C |
Wendelstein | (Höhe 1832 m) | heiter: | +10,2 °C |
Zugspitze | (Höhe 2930 m) | heiter: | +3,2 °C |
Solche Situationen treten in dieser Jahreszeit regelmäßig auf. Während die tieferen Landesteile, insbesondere die Fluss- und Seeniederungen, in kaltem Nebel versinken, kann man in den Bergen oft bis in den Dezember hinein Tag für Tag bei mildem Spätherbstwetter prächtigsten Sonnenschein genießen.
Inversionen können – besonders im Herbst und Winter – so ausdauernd sein, dass sie sich sogar in den Monatsmitteltemperaturen bemerkbar machen. So wurden für den Monat Januar 1996 folgende Werte berechnet:
Metten (Donau):
(Höhe 313 m) | –3,8 °C |
München:
(Höhe 530 m) | –3,6 °C |
Garmisch-Partenkirchen:
(Höhe 719 m) | –3,0 °C |
Wendelstein:
(Höhe 1832 m) | –0,5 °C |
In der Nacht zum 30.1.1986 hatte sich im Raum Augsburg eine ungewöhnlich starke Inversion entwickelt. Innerhalb von 250 Höhenmetern wurde ein Temperaturanstieg um 25,5 K gemessen. Trotz dieses gewaltigen Gradienten von 10,2 K/100 m wurde die Inversion von einem plötzlich aufkommenden kräftigen und böigen Wind in nur gut einer Stunde restlos zerstört.
1.6Stabilität und Labilität der Atmosphäre
In der Physik erklärt man die Begriffe Stabilität und Labilität gerne am Beispiel einer auf verschiedenartig gekrümmten Flächen liegenden Kugel. Zunächst soll die Kugel in einer Mulde (konkave 49 Oberfläche) liegen. Versetzen wir der Kugel einen Stoß, so wird sie zwar zunächst zur Seite rollen, dann aber umgehend an ihren Ausgangspunkt zurückkehren. Wie oft und mit welchen Variationen wir den Versuch auch wiederholen, das Ergebnis wird stets das Gleiche sein: die Kugel rollt zum tiefsten Punkt der Mulde. Wir sagen daher: Die Kugel befindet sich dort in einem stabilen Zustand, in den sie nach jeder Störung zurückkehrt. Ganz anders dagegen, wenn die Kugel auf einem Hügel (konvexe Fläche) liegt. Der kleinste Anstoß genügt, und sie rollt den Hügel hinunter, ohne jemals zurückzukehren. Wir sagen in diesem Fall: Die Kugel befindet sich in einem labilen Zustand. Auf einer waagrechten Ebene würde die Kugel stets an dem Punkt liegen bleiben, an dem sie abgelegt wird. In diesem Fall würde man von einem indifferenten Zustand sprechen.
Auch die Atmosphäre kann sich in einem stabilen, einem labilen oder in einem indifferenten Zustand befinden.
1.6.1Stabile und labile Zustände
Unter welchen Umständen darf man in der Atmosphäre Stabilität, unter welchen Labilität erwarten? Dazu betrachten wir in Abb. 11 die rechte Hälfte. Dort ist eine Temperatur-Höhenkurve K dargestellt, die einer unteradiabatischen Schichtung entspricht. Nun denkt man sich in der Höhe h ein Luftpaket, das die gleichen Eigenschaften wie auf Seite 46ff. beschrieben sowie die Temperatur ϑH haben soll. Dieses Luftpaket werde nun auf das Niveau h1 hochgehoben. Dabei kühlt es sich ab, und zwar adiabatisch. Wenn es in h1 ankommt, ist seine Temperatur auf ϑL abgesunken. Da die Temperaturschichtung in der Atmosphäre als unteradiabatisch vorausgesetzt war, wird ϑL kleiner sein als die Temperatur der 50 Umgebungsluft ϑU. Das Luftpaket ist also kälter als seine Umgebung. Kalte Luft ist aber schwerer als warme. Das Luftpaket wird infolgedessen sofort wieder nach unten wegsinken, bis es in der Höhe h angekommen ist. Dort stimmt nach adiabatischer Erwärmung seine Temperatur wieder mit der der Umgebung überein. Die gleichen Überlegungen gelten, sogar noch in verstärktem Maße, auch bei einer Inversion.
Abb. 11 Zur Demonstration von Stabilität und Labilität der Atmosphäre (Erläuterungen im Text).
Denkt man sich das Luftpaket dagegen auf das Niveau h2 heruntergeholt, so passiert genau das Umgekehrte wie vorhin: Aufgrund adiabatischer Erwärmung wird seine Temperatur höher als die der Umgebung, sodass es wie ein Heißluftballon zur ursprünglichen Höhe h zurücksteigen wird.
Im Falle einer unteradiabatischen Temperaturschichtung wird also jede Vertikalbewegung automatisch und vollständig rückgängig gemacht. Die Atmosphäre kehrt nach jeder Störung wieder in ihren Ausgangszustand zurück, genauso wie die Kugel wieder in die Mulde zurückrollt. Man kann also zu Recht von einer stabilen Atmosphäre sprechen. Man bezeichnet deshalb unteradiabatische Temperaturgradienten und erst recht Inversionen als stabile Schichtungen.
Betrachtet man, wie auf der linken Hälfte der Abb. 11 dargestellt, eine überadiabatische Schichtung, so erkennt man sofort, dass man hier einen labilen Zustand vor sich hat. Wird nämlich wieder ein Luftpaket von h nach h1 gehoben, so zeigt sich, dass seine Temperatur ϑL dann höher ist als die der Umgebung ϑU. Dadurch erhält das Luftpaket einen ständig wachsenden Auftrieb, der es immer schneller nach oben schießen lässt. Analoge Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass eine Verschiebung nach unten zu einem Durchsacken bis zur Erdoberfläche führt.
Der geringste Anstoß reicht also bereits aus, in der Atmosphäre Umwälzungen größten Ausmaßes auszulösen, die nicht mehr in den Ausgangszustand zurückführen. Wir haben hier wie bei der über den Hügel rollenden Kugel eine labile Situation oder labile Schichtung vor uns. Echte über-adiabatische Temperaturgradienten treten nur relativ selten und meist auch nur vorübergehend auf, weil immer Anlässe genug vorhanden sind, ausgleichende Umlagerungsvorgänge anzustoßen.