Nachhaltigkeit interdisziplinär. Группа авторов

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Jede Entscheidung zur Nutzung eines Baumes etwa ist zugleich die Entscheidung darüber, welche Wuchsbedingungen nach seiner Entnahme fortan herrschen, und es gehört zu den Notwendigkeiten bei der Waldbewirtschaftung, dass jedwede Nutzung des „Naturvermögens“ („Forstliche Produktion“) der Tatsache Rechnung trägt, dass die Gesundheit und Produktivität des gesamten Ökosystems („Reproduktion“) erhalten bleiben. Andernfalls drohen – und diese Tatsache stellt neben der Langfristigkeit das zweite zentrale Charakteristikum der Forstwirtschaft dar – irreversible, durch keinerlei künstliche Reparaturen auszugleichende Schädigungen. Dies ist auch der Grund dafür, dass Waldbesitz zumindest in Mitteleuropa mannigfaltigen und für Außenstehende oft schwer zu verstehenden Eigentumsbeschränkungen (z. B. Kahlschlagsverbote) unterliegt. In den relativ engen, dicht besiedelten Staaten Mitteleuropas sind Wälder flächenmäßig noch immer sehr bedeutsam, die klassischen Waldfunktionen („Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion“) werden gesellschaftlich sehr stark nachgefragt, und die hohen gesellschaftlichen Ansprüche, denen sich die Bewirtschaftung von Wäldern stellen muss, heben diese in vielerlei Hinsicht in den Rang von öffentlichen Gütern.

      Der Nachhaltigkeitsbegriff und seine Verwendung in Geschichte und Gegenwart müssen vor genau dieser Folie betrachtet werden, und wenn Forstleute mit ihrer Urheberschaft des „Nachhaltigkeitsprinzips“ zugleich den Anspruch verbinden, komplexe Waldökosysteme auch tatsächlich langfristig steuern zu können (Schanz 1994), wird gerne auf ertragreiche und vielfältige Wälder, eine leistungsstarke Forstwirtschaft und international gesehen hohe Bewirtschaftungsstandards verwiesen.

      Was davon allerdings das Ergebnis langfristiger Bewirtschaftungsstrategien und gezielter sog. „Produktionsprogramme“ ist, bleibt in der Regel unklar. Bei genauerem Blick wird deutlich, dass der jeweils aktuelle Zustand von Wäldern im Einzelfall keineswegs das Endprodukt Jahrzehnte übergreifender Planung und konsistenter Umsetzung von Langfriststrategien ist. Genauso entscheidend tragen Kalamitäten, Stoffein- und -austräge, Standortveränderungen, das Marktgeschehen, der Wandel von Bewirtschaftungszielen und -moden, veränderte klimatische Verhältnisse, gewandelte gesellschaftliche Ansprüche an Wälder und Waldbewirtschaftung, neue Gesetze etc. zur Gestalt unserer Wälder bei. Was oft als Ergebnis nachhaltiger Forstwirtschaft deklariert wird, ist eine Mischung von Geplantem und Unvorhergesehenem, Erwartetem und Zufälligem, und die Forstgeschichte lässt sich als fortwährende Aktualisierung einer Grunderfahrung lesen: Es kam (und kommt) anders, als gedacht. Dieser Befund ergibt sich dabei sowohl, wenn man die Geschichte der Wälder in Mitteleuropa gleichermaßen auf der Makroebene liest,2 als auch dann, wenn man sich tiefer in die Geschichte einzelner Forstbetriebe bzw. Waldungen vertieft und hier Anspruch und Wirklichkeit, Planung und reale Entwicklungen einander gegenüberstellt: „Trotz periodischer Betriebsregelungen der Forsteinrichtung und intensiver Bewirtschaftung des Waldes ist es im Verlaufe von über eineinhalb Jahrhunderten in keinem Falle gelungen, eine stabile Waldentwicklung in Richtung auf die angestrebten IDEAL-Strukturen zu gewährleisten“ (Dittrich 1986: 137) – so resümiert etwa eine Studie aus der Mitte der 1980er Jahre, die Anspruch und Wirklichkeit forstlicher Planung und Realität in einer historischen Längsschnittstudie einander gegenüberstellt.

      Dabei aber tritt ein für die Forstwirtschaft zentraler, die Waldbewirtschaftung grundierender Widerspruch zutage: Der Anspruch, Wälder langfristig zielgerichtet und plangemäß steuern zu können („Nachhaltigkeitsstrategie“), ist nur schwer mit der Tatsache der Komplexität, der Zukunftsunsicherheit und dem mangelnden Wissen in Einklang zu bringen.

      Wie sich zeigt, sind es Zäsuren oder einschneidende Erfahrungen wie die des Klimawandels, die bei Forstleuten das Bewusstsein dafür schärfen, wie sich Wälder (und mit ihnen die Waldbewirtschaftung) in nicht vorauszusehender Weise ändern, dass stets Zukunftswissen fehlt und etabliertes Erfahrungswissen permanent entwertet wird. Der im Klimawandel wahrgenommene „Ausnahmezustand“, als den forstliche Praktikerinnen und Praktiker die Situation von Handlungsnotwendigkeit angesichts von Unwissen und Ignoranz beschreiben, ist der Normalfall.

      Zu konstatieren ist also einerseits das vor allem in der Langfristperspektive nicht aufzulösende Problem der Entscheidung unter Unsicherheit und Ignoranz. Andererseits lässt sich mit Blick auf Gegenwart und Geschichte von Forstwirtschaft und Forstwissenschaften eine ungebrochene Popularität des Nachhaltigkeitsbegriffs feststellen – und beide Tatsachen hängen miteinander zusammen.

      Konzepte und Begriffsgeschichte der forstlichen Nachhaltigkeit

      Kern aller Nachhaltigkeits-Leitbilder ist das ethische Prinzip des Erhalts von Ressourcen zum Wohle jetziger und nachfolgender Generationen, um eine generationenübergreifende Nutzung zu ermöglichen. Wenn der Umwelthistoriker Joachim Radkau dieses Prinzip als selbstverständliche Norm der alten Bauernschaft bezeichnet (2000) und mit Blick auf den Nachhaltigkeitsbegriff gar von einer „meist metaphorische(n) Übertragung einer in dieser Abstraktheit recht banalen bäuerlich forstwirtschaftlichen Erhaltungsregel“ (Vogt 2013) gesprochen wurde, so ist damit die Selbstverständlichkeit einer zukunftsorientierten Ressourcennutzung gemeint, wie man diese aus Fischerei, Zeidlerei und Jagd, aus dem Waldfeldbau, der Waldweide und auch dem Ackerbau kennt und wie sie vor allem auch einer autarken Versorgung von Gemeinschaften z. B. in Klöstern dient. Frühe Beispiele für Nutzungsregelungen und -beschränkungen, die der im oben genannten Sinne verstandenen Nachhaltigkeit avant la lettre dienen, sind in der Forstgeschichte schon für das frühe Mittelalter zur Zeit Karls des Großen beschrieben worden (Mantel 1990: 61 f.). In rechtlich kodifizierter Form wird Nachhaltigkeit als Rechts-, Ordnungs- und auch Machtkonzept erkennbar. Bereits hier kann sich der Blick dafür schärfen, dass die Frage nach dem Verständnis von Nachhaltigkeit nicht von der Frage zu trennen ist, in wessen Dienst eine Regelung oder ein Anspruch auf Nachhaltigkeit erhoben wird.

      Ansätze eines systematischen Nachhaltigkeitsdenkens im nördlichen Europa, in Frankreich, England und Deutschland lassen sich bereits für das 16. Jahrhundert nachweisen, wie der britische Umwelthistoriker Paul Warde (2011) dargestellt hat. Das Ziel einer dauerhaften, rentablen und rechtlich gesicherten Rohstoffversorgung sowie des Schutzes von Flächen – auch im größeren räumlichen (bis hin zum nationalen) und zeitlichen (intergenerationalen) Maßstab – wurde von der jeweiligen Grundherrschaft in den Bereichen von Land- und Forstwirtschaft zur Sicherung des Flottenbaus, der Holzversorgung für den Hof, v. a. aber auch zur Sicherung regelmäßiger Einkünfte verfolgt. Nicht zufällig bekommt der Begriff der Nachhaltigkeit im holzfressenden Berg- und Hüttenwesen und in der Folge dann auch im sich professionell entwickelnden Wald- und Forstwesen eine prägende Bedeutung, als die Aufgabe, große Holzmengen bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen und die Ansprüche von größeren Staatsgebilden zu befriedigen, zu einer komplexen ökonomischen Aufgabe wird (vgl. Radkau 2000: 177 ff.). Vor dem Hintergrund des ökonomischen Zieles der Ersparnis von Holzvermögen (Höltermann/Oesten 2001: 40) dient die Verwendung des Begriffes der Nachhaltigkeit dazu, vor zerstörerischem Verbrauch, vor Übernutzung oder Raubbau zu warnen. Die Nachhaltigkeit ist als zuallererst ökonomischer Begriff, damit aber zugleich „ein Terminus der Regulierung von oben, ein Kampfbegriff privilegierter Waldnutzer gegen Konkurrenten“ (Radkau 2010).

      Als mittelalterlicher Rechtsbegriff meint „nachhalten“ bereits im 13. Jahrhundert so viel wie „etwas freihalten, aufbewahren“ oder „schonen“ und wird auch in Formen wie „mit gutem Nachhalt“ verwendet. Synonyme und sinnverwandte Begriffe sind „kontinuierlich“, „beständig“, „pfleglich“, „immerwährend“, „dauernd“, „bleibend“, „perpetuierlich“ oder „erhaltend“, und diese Begriffe finden sich dann auch in der berühmt gewordenen Sylvicultura oeconomica. Die Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht von 1713, welche gemeinhin als „Geburtsort“ der forstlichen Nachhaltigkeit angesehen wird. Autor ist der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz (1645–1714), Leiter des Oberbergamts in Sachsen und als Kameralist mit der Verwaltung der Holzversorgung des sächsischen Berg- und Hüttenwesens betraut – eines Bereiches, der zu den größten Holzverbrauchern jener Zeit zählte (Radkau 2010: 38). Im Rahmen des Kompendiums zum praktischen Wissen über die Waldbewirtschaftung, als das die Sylvicultura oeconomica verstanden

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