Naturphilosophie. Группа авторов

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Die Popularisierung ist insofern erfolgreich, als sie eine Diskussion eröffnet, die nicht in den Räumen der Fachgelehrten verbleibt, sondern weite Teile der Gesellschaft erreicht. Es sind Aussagen wie „Ohne Phosphor kein Gedanke“ (ebd.: 115) oder „daß die Gedanken in demselben Verhältniß etwa zu dem Gehirne stehen, wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu den Nieren“ (Vogt 1847: 206), die, zumeist aus dem Zusammenhang gerissen, für heftige Reaktionen sorgen. Auch wenn die populären Texte der naturwissenschaftlichen Materialisten weder stilistisch noch inhaltlich besonders beeindrucken, so weiß z.B. Vogt vorsichtiger zu argumentieren, als die populäre Rezeption nahelegt. Das lässt sich schon an seinem berühmt-berüchtigten Vergleich von Nieren- und Gehirnprodukten nachvollziehen, den Vogt in den Kontext des Eingeständnisses von „Unwissenheit“ (ebd.: 205) und ungelösten Rätseln stellt und nicht mit dem Anspruch grenzenlosen Naturerkennens verknüpft.

      In der Diskussion der viel drängenderen Frage, „ob alle Gedanken auf diesen uropoetischen Wegen entstehen sollten“ (Lotze 1852: 43), wird geflissentlich überlesen, |68|dass Vogt nicht weiter gehen will, als Erfahrung und Versuch ihn führen, und darüber hinaus die eigene Unwissenheit eingestanden wissen will: „Was man deßhalb auch von den Beziehungen der Gehirnsubstanzen zu den Nervenverrichtungen sagen möge, es ist besser, hier unsere Unwissenheit zu gestehen und nicht weiter zu gehen, als die Erfahrung und der Versuch uns geführt haben. Noch viel weniger können wir von der Beziehung der Geistesthätigkeiten zu dem Gehirne sagen; wenn auch Gall’sche Phrenologie[12] und Carus’sche Cranioskopie[13] die Räthsel gelöst zu haben sich brüsten. Ein jeder Naturforscher wird wohl, denke ich, bei einigermaßen folgerechtem Denken auf die Ansicht kommen, daß alle jene Fähigkeiten, die wir unter dem Namen der Seelenthätigkeiten begreifen, nur Funktionen der Gehirnsubstanz sind; oder, um mich einigermaßen grob hier auszudrücken, daß die Gedanken in demselben Verhältniß etwa zu dem Gehirne stehen, wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu den Nieren. Eine Seele anzunehmen, die sich des Gehirnes wie eines Instrumentes bedient, mit dem sie arbeiten kann, wie es ihr gefällt, ist ein reiner Unsinn; man müßte dann gezwungen seyn, auch eine besondere Seele für eine jede Funktion des Körpers anzunehmen und käme so vor lauter körperlosen Seelen, die über die einzelnen Theile regierten, zu keiner Anschauung des Gesammtlebens. Gestalt und Stoff bedingen im Körper überall die Funktion und jeder Theil, der eine eigenthümliche Zusammensetzung hat, muß auch nothwendig eine eigenthümliche Funktion haben“ (Vogt 1847: 205f.).

      Der Materialismus-Streit ist kein Streit unter Fachgelehrten. Es ist ein Streit um Weltanschauungen, um die Deutungshoheit „unserer“ Natur. Eine heftig bestrittene Strategie der Schlichtung ist das von Wagner (1854: 20) als „doppelte Buchführung“ bezeichnete Parallelgehen von naturwissenschaftlich begründetem Wissen und dem Glauben an eine moralische Weltordnung, der allein ihn zur Annahme der Existenz der Seele nötigt. Diese doppelte Buchführung soll den Übergang von einem methodischen Materialismus auf eine streng monistisch aufgefasste materialistische Ontologie verhindern. Eine mögliche Einheit der Weltsicht wird damit konterkariert, so dass es zum „Kampfe zwischen Glauben und Wissen“ kommt (Henle 1876: 23).

      3. Der Darwinismus-Streit

      1859 erscheint Charles Darwins (1809–1882) Werk On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life, das ein Jahr später in deutscher Übersetzung vorliegt und von den naturwissenschaftlichen Materialisten überaus positiv aufgenommen wird. Es vergeht keine Woche, wie Darwin beinahe amüsiert bemerkt, „without my hearing of some naturalist in Germany who supports my views, & often puts an exaggerated value on my works“ (Darwin [1870] 2010: 141). Nicht die übertriebene Wertschätzung der Theorie Darwins, sondern ihre weltanschauliche Vereinnahmung provoziert den Widerspruch erklärter |69|Anti-Darwinisten und trägt die Auseinandersetzung um Darwins Werk aus dem Kreis der Naturforscher hinaus. Aber auch als naturwissenschaftliche Theorie, frei von weltanschaulichen Implikationen, steht Darwins Werk zunächst mehrheitlich in der Kritik.

      In der zweiten Auflage von On the Origin of Species, die der deutschen Übersetzung durch Heinrich G. Bronn zugrunde liegt, geht Darwin darauf ein und sucht in einer knappen Zusammenfassung seine Überlegungen zu untermauern: „Ich läugne nicht, dass man viele und ernste Einwände gegen die Theorie der Abstammung mit fortwährender Abänderung durch Natürliche Zuchtwahl vorbringen kann. Ich habe versucht, sie in ihrer ganzen Stärke zu entwickeln. Nichts kann im ersten Augenblick weniger glaubhaft scheinen, als dass die zusammengesetztesten Organe und Instinkte ihre Vollkommenheit erlangt haben sollten nicht durch höhere und doch der menschlichen Vernunft analoge Kräfte, sondern durch die blosse Zusammensparung zahlloser kleiner aber jedem individuellen Besitzer vortheilhafter Abänderungen. Diese Schwierigkeit, wie unübersteiglich gross sie auch unsrer Einbildungs-Kraft erscheinen mag, kann gleichwohl nicht für wesentlich gelten, wenn wir folgende Vordersätze zulassen: dass Abstufungen in der Vollkommenheit eines Organes oder Instinktes, welches Gegenstand unsrer Betrachtung ist, entweder jetzt bestehen oder bestanden haben, die alle in ihrer Weise gut waren; – dass alle Organe und Instinkte in, wenn auch noch so geringem Grade, veränderlich sind; – und endlich, dass ein Kampf ums Daseyn bestehe, welcher zur Erhaltung einer jeden für den Besitzer nützlichen Abweichung von den bisherigen Bildungen oder Instinkten führt. Die Wahrheit dieser Sätze kann nach meiner Meinung nicht bestritten werden“ (Darwin 1860: 492f.).

      Darwin lässt an die Stelle einer theologischen Schöpfungsgeschichte eine natürliche Schöpfungstheorie treten, die das Rätsel der Entstehung neuer Arten, nicht aber das der Entstehung des Lebens überhaupt, naturwissenschaftlich zu lösen beansprucht. Wird Darwins Theorie anfangs v.a. in England „als eine vorübergehende naturphilosophische Träumerei verspottet“ (Haeckel [1868] 1878: 4), so wird ‚Entwicklung‘ bald zum „Zauberwort“ (Haeckel [1868] 1873: VI), das zur Lösung aller noch ausstehenden Rätsel herangezogen wird. Es ist demnach weniger der Geltungsanspruch, als naturwissenschaftliche Theorie ernstgenommen zu werden, als die „Prätension, das Räthsel alles Daseins gelöst zu haben“ (Zittel 1871: 147), und die damit einhergehenden weltanschaulichen Implikationen, die die Theorie Darwins zum populärsten Streitthema der Zeit werden lässt.

      Die weltanschauliche Wendung eines biologischen Erklärungsversuchs war nicht zuletzt deshalb so überaus erfolgreich, weil einerseits der Begriff der Entwicklung nicht so neu war, wie es durch die Darwinisten kolportiert wurde, und andererseits der Begriff der Entwicklung keine einheitliche Verwendung fand. Analog der Darwin’schen Theorie, die nicht als ein Singuläres, sondern als ein Konglomerat verschiedener Theorien zu begreifen ist, ist auch der Begriff der Entwicklung selbst als eine Gemengelage unterschiedlichster Begriffe und ihrer Konnotationen aufzufassen. Das, was gemeinhin unter Darwins Evolutionstheorie verstanden wird, ist keineswegs ein einheitliches, in sich abgeschlossenes Theoriengefüge, sondern eine Mehrzahl mehr oder weniger aufeinander verweisender, selbständiger Theorien. (Vgl. Mayr [1982] 2003: 504–510.) Dazu gehören (1) die Evolutionstheorie, der gemäß die Lebensformen nicht statisch, sondern als in einem steten, kontinuierlichen und graduellen Entwicklungsprozess |70|begriffen zu verstehen sind, (2) die Deszendenztheorie, der gemäß alle Arten auf einige wenige Urformen als ihren gemeinsamen Ursprung zurückgeführt werden können, und (3) die Selektionstheorie, der gemäß der Anpassungsdruck einer spezifischen Umgebung zur natürlichen Selektion der am besten angepassten Exemplare einer Art führt. Evolution versteht Darwin dementsprechend als eine adaptive Entwicklung und nicht als eine einem bestimmten Naturgesetz folgende Entwicklung. Die Entwicklungstheorie als solche zeigt sich indifferent gegenüber mechanischen, organischen, materialistischen, pantheistischen oder theistischen Weltanschauungen. Anders sieht es bei der Deszendenztheorie sowie der natürlichen Züchtung, der Selektion, aus. Ihre Anwendung auf den „ganzen“ Menschen nimmt ihm seine Sonderstellung in der und zur Natur und lässt nicht nur den Menschen, sondern auch alle seine Kulturleistungen als Produkt eines natürlichen Prozesses erscheinen. Das Überleben eines einzelnen Menschen, einer Gesellschaft, sowie ihr Glaube und ihre Moral werden in der konsequenten Anwendung der Darwin’schen Theorien auf den Menschen zum Resultat eines natürlichen Prozesses der Selektion. Darwin hat die natürliche Züchtung eingeführt, um die Entstehung neuer Arten aus zuvor bestehenden analog zur künstlichen

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