Wörterbuch der Soziologie. Группа авторов

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verweisen Handlungen und Äußerungen auch beständig und unvermeidlich auf den situativen Kontext, in dem sie gerade ablaufen. Sinn, so Garfinkel, ist daher ein öffentliches, beobachtbares Phänomen, es liegt nicht »unter der Schädeldecke«, sondern vollständig und ausschließlich in der Verhaltensumgebung einer Person. Garfinkel sieht die Soziologie also wie George Herbert Mead und Erving Goffman als Verhaltenswissenschaft.

      Die Grenzen der Ethnomethodologie liegen vor allem in ihrer Beschränkung auf eine empirische Mikrosoziologie. Ein Ansatz, der in großem Respekt vor den Handelnden deren interpretative und performative Leistungen beschreibt und analysiert, bleibt reserviert gegenüber theoretischen Ansprüchen, neben der Interaktivität in sozialen Situationen auch die Intersituativität des Sozialen zu denken. Jüngere Autor/innen in der Nachbarschaft und Nachfolge der ethnomethodologischen Tradition (etwa Karin Knorr Cetina und Bruno Latour) verweigern sich daher auch weiterhin makrotheoretischen Abstraktionen. Stattdessen öffnen sie ihren Denkstil ›posthumanistischen‹ Überlegungen, die die Beteiligung von Artefakten, Medien und Körpern an Handlungsketten für die Soziologie zu erschließen versuchen.

      Literatur

      Einführend: Bergmann, Jörg, 2000: Ethnomethodologie; in: Flick, Uwe et al. (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek, 118–135. – Zimmerman, Don H.; Pollner, Melvin, 1976: Die Alltagswelt als Phänomen; in: Weingarten, Elmar; Sack, Fritz (Hg.): Ethnomethodologie, Frankfurt a. M., 64–104. / Weiterführend: Atkinson, Paul; Heritage, John, 1984: Structures of Social Action. Studies in Conversation Analysis, Cambridge. – Garfinkel, Harold, 1967: Studies in Ethnomethodology, Englewood Cliffs, NJ. – Ders., 1986: Ethnomethodological Studies of Work, London. – Länger, Caroline, 2002: Im Spiegel von Blindheit. Eine Kultursoziologie des Sehsinnes, Stuttgart. – Lynch, Michael, 1991: Pictures of Nothing? Visual Construals in Social Theory; in: Sociological Theory 9, 1–21. – Ders., 1993: Scientific Practice and Ordinary Action, Cambridge. – Smith, Dorothy, 1986: The Active Text. Texts as Constituents of Social Relations; in: dies. (ed.): Texts, Facts, and Femininity. Boston, 120–158. – Sudnow, David, 1978: Ways of the Hand. The Organization of Improvized Conduct, London. – West, Candace; Zimmerman, Don, 1987: Doing Gender; in: Gender and Society 1, 125–151.

       Stefan Hirschauer

      von gr. ethnos (ἔθνος) »Volk, Völkerschaft« und logos »Lehre«. Als Sozial- und Kulturwissenschaft hat Ethnologie zum Ziel, das Handeln von Menschen in der gesamten Breite des dem Menschen Möglichen zu verstehen und in seinen natürlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen und Zusammenhängen zu erklären. Aufgrund des allgemeinen, vergleichenden Ansatzes ist im englischen Sprachraum die Bezeichnung social anthropology (GB) bzw. cultural anthropology (USA) üblich. Zentrale methodologische Grundannahme ist, dass sich das Erkennen anthropologischer Gemeinsamkeiten und Unterschiede vor allem in der Auseinandersetzung mit anderen Gesellschaften und Kulturen bildet (daher »Wissenschaft vom kulturell Fremden«).

      Wandel der Forschungsperspektive

      Das Erkenntnisinteresse der Ethnologie als akademische Disziplin hat sich seit ihrer Entstehung im 19. Jh. stark verschoben. Als spezifischer Gegenstand der Ethnologie wurden lange Zeit Gesellschaften verstanden, die sich vermeintlich grundlegend von der eigenen, d. h. modernen, unterschieden: Naturvölker vs. Kulturvölker, primitive vs. zivilisierte, schriftlose vs. alphabetisierte, traditionelle vs. moderne, nichtstaatliche vs. staatliche, vorindustrielle vs. industrialisierte, unterentwickelte vs. entwickelte etc. Derartige universale Dichotomien haben sich durchweg als pseudowissenschaftliche Konstrukte erwiesen, die teilweise kolonialen Grundideen verpflichtet blieben, in deren Kontext sich die Ethnologie als Fach etabliert hatte. Sie bestätigten den »höheren Stand« der eigenen Gesellschaft und legitimierten den Imperialismus.

      Als allgemein vergleichende Wissenschaft des Kulturellen und Sozialen konstituierte sich die Ethnologie erst sukzessive im 20. Jh. Im Laufe dieses Prozesses erwies sich auch die zweite Grundüberzeugung der Ethnologie, d. h. die wissenschaftliche Darstellbarkeit fremder sozialer Realität, als zunehmend zweifelhaft. Die folgende Krise der Repräsentation hat die Ethnologie seit den 1970er Jahren in einen tiefgreifenden Prozess der Selbstreflektion und Aufklärung geführt. Er lässt sich als verspätete Entkolonialisierung deuten, hängt aber auch mit anderen intellektuellen Strömungen der Zeit, v. a. der Postmoderne, zusammen. Die Ethnologie ist seitdem themenoffen und nicht auf einen bestimmten Typus von Gesellschaften fixiert. Als Anthropologie geht es ihr um die Aufklärung dessen, was den Menschen in allen Gesellschaften als soziales Wesen auszeichnet.

      Ethnos und Ethnizität

      Auch der Ethnos als Gegenstand der Ethnologie hat seine Selbstverständlichkeit verloren. Es hat sich gezeigt, dass ein primordiales Verständnis von Ethnien als geschlossene soziale Formationen mit eigener Sprache, Herkunft, Geschichte, Territorium, sozialer Organisation und Kultur sowie darauf rekurrierender Identität mehr imaginiert ist, als dass es auf historische oder gesellschaftliche Tatsachen verweist. Kulturelle Differenz und die Konstitution eigener Identität werden vielmehr durch den Austausch mit anderen gesellschaftlichen Akteuren erst geschaffen. Die als unwandelbar imaginierte eigene Identität wächst mithin aus einem diskursiven Prozess, dessen Akteure je eigene Interessen verfolgen und der nur politisch zu verstehen ist. Ethnizität in diesem konstruktivistischen Sinne ist die regelmäßige Kommunikation sozialer und kultureller Unterschiede. Als Gegenstand einer diskursiven Formation ist sie trotz ihrer grundsätzlichen Formbarkeit nicht frei wählbar oder volatil und in der Regel mit der Ausübung von Macht oder Herrschaft verknüpft. Ethnizität kann in allen sozialen Figurationen entstehen, früheren wie zeitgenössischen. In modernen Staaten hat sie sich vielfach mit einem restriktiven Verständnis von Nationalität verschränkt und deren politische Instrumentalisierung befördert.

      Methodischer Ansatz

      Trotz wichtiger Beiträge zu politischen Debatten in der eigenen Gesellschaft bleibt die Auseinandersetzung mit fremden Lebenswelten zentral für die Identität der Ethnologie. Um essentialistische, notwendig normative Gegenstandsdefinitionen zu umgehen, definierte sich die neuere Ethnologie mehr über ihren methodischen Ansatz. Im Zentrum standen und stehen partizipative Methoden, die seit B. Malinowski (1922) unter dem Begriff Teilnehmende Beobachtung zusammengefasst werden. Spezifikum der Ethnologie als empirische Sozialwissenschaft ist, dass sich dabei der Ethnograph physisch und psychisch in die andere Gesellschaft einbringt. Elementar sind dichte Teilnahme am Leben der anderen Menschen[108] über einen langen Zeitraum, Beherrschung ihrer Sprache, Erwerb von Handlungsroutinen etc., die zur Integration in den Alltag führen. Dabei sollen auch jene als selbstverständlich hingenommenen Teile des fremden Alltags erfasst werden, die nicht reflektiert werden und sich folglich nur unzureichend mittels der Sprache und Interviews erfassen lassen. Obwohl Teilnahme und Beobachtung unterschiedlichen Modi der Erfahrung verpflichtet sind und unterschiedliche Daten generieren, treffen sie sich in einem grundsätzlich induktiven Vorgehen, welches in einem zirkulären Verfahren allfällige Hypothesen ständig hinterfragt und revidiert.

      Ziel ist, die Außenperspektive des Ethnographen, d. h. die etische Sichtweise des Sozialen zu überschreiten und ihr die Binnenperspektive der Akteure, die emische Sicht, entgegenzusetzen. Erst aus dem Kontrast beider lassen sich sowohl das Eigene wie das Fremde erkennen. Diese gegenseitige Artikulation lässt sich als Kern einer ethnologischen Perspektive beschreiben. Theoretische Grundlage bleibt die Annahme, dass sich soziale und kulturelle Unterschiede nur aufgrund einer allen Menschen gemeinsamen anthropologischen Grundlage erkennen lassen. Quantitative Methoden spielen v. a. dort eine Rolle, wo die Ethnologie thematisch in den Bereich der Naturwissenschaften hineinreicht.

      Neuere Ansätze

      Universalien und anthropologische Konstanten auf der einen Seite sowie Kulturrelativismus auf der anderen Seite waren lange Zeit Gegenstand ethnologischer Debatten. In der jüngeren Ethnologie hat die Auseinandersetzung

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