21/12/12 - Der Sommer der Schwalbe und die Maya Apokalypse. Hans-Peter Vogt
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Der Mann beim Arbeitsamt hatte gesagt, die Krankmeldung sei zu spät bei ihm eingegangen, und er hatte den Monatsbetrag noch einmal um 30 Prozent gekürzt, als Strafe.
Lucie war verzweifelt.
2.
Ihr Sohn konnte ihr nicht helfen und ihr Mann machte nur ein missmutiges Gesicht und er trank noch mehr.
Was sollte sie bloß tun?
So etwas wie Selbstmord war ihr immer fremd gewesen, aber nun dachte sie öfter daran, dass der Tod sie von ihren Leiden erlösen könne.
Lucie war aber in ihren jungen Jahren kein Kind von Traurigkeit gewesen und sie schluckte all diesen Ärger herunter.
Schließlich hörte sie von diesem Maya Kalender. Es hatte im Fernsehen irgendeine Sendung gegeben, und Lucie dachte für sich, wenn das alles wirklich stimmt, dann wäre sie in 12 Monaten tot und ihre Tochter auch, und auch ihr armes Enkelkind. Vielleicht wäre daran sogar etwas Gutes.
Aber weil Lucie sich bisher nie Gedanken über solche Dinge wie Maya Kalender oder Sternenkunde gemacht hatte, war ihr diese ganze Angelegenheit suspekt. Eine Verkäuferin hat zu solchen Dingen nur ganz selten einen Draht.
Lucie hörte noch ein zweites und ein drittes Mal davon.
Finanziell ging es ihr wirklich schlecht, und sie dachte nun daran, wie sie dem Amt vielleicht ein Schnippchen schlagen könne. Wenn in einem Jahr tatsächlich alles vorbei sein würde, dann, ja dann könnte sie versuchen das zu tun, was fast alle in diesem Land heimlich tun, irgendeinen Nebenjob anzunehmen, ohne ihn anzumelden. Das würde nicht viel einbringen, aber immerhin soviel, dass sie vielleicht ein paar Mal zur Massage gehen könnte, oder einmal die lang erträumte Rheintour mit dem Ausflugdampfer buchen könnte. Nur sie und ihre Tochter und ihr armes Enkelkind.
Also hörte sich Lucie um. Putzfrauen werden immer gesucht und sie fing jetzt an bei so einem Hausbesitzer zu putzen.
Was der machte, das wusste sie nicht. Er hatte einen Doktortitel, er war mit ihrer Arbeit zufrieden, und er gab ihr acht Euro auf die Hand, für jede Stunde, die sie dort arbeitete. Das war großzügig.
Weil dieser Doktor penibel war, kam sie jetzt 2x in der Woche für jeweils fünf Stunden, und sie sparte sich das Geld auf.
Ihrem Mann sagte sie nichts und sie versteckte die wenigen Euro, damit er sie nicht in Schnaps umwandeln konnte.
Sie verkniff sich die Schmerzen, aber sie ging jetzt öfter zum Arzt, um sich krankschreiben zu lassen. Sie reichte diese Krankmeldungen jetzt pünktlich ein, sie hatte ja aus der Situation gelernt, und jetzt war sie nicht mehr in 1-Eurojobs vermittelbar, nicht, wenn sie krankgeschrieben war.
Wenn sie auf der Strasse erkannt werden würde, würde sie sagen, dass sie einkauft. Einer musste das ja tun, und sie war im Haus die Hausfrau. Es war ihre Aufgabe das zu tun. Es war unverfänglich.
So entwickelte Lucie ein Doppelleben, das natürlich illegal war, und obendrein wenig einträglich. Sie durfte sich auch nicht erwischen lassen.
Der Doktor war zufrieden und er sprach mit seinen Freunden, und bald bekam Lucie ein weiteres Putzangebot. Einmal in der Woche Fensterputzen für drei Stunden. Auch dieses Angebot nahm Lucie an und erhöhte ihr schwarzes Wocheneinkommen schon auf 104 Euro, von denen sie allerdings 12,30 Euro für die Fahrt abziehen musste.
Immerhin hatte sie jetzt im Monat 370 Euro zusätzlich, und wenn sie rechnete, war das mit dem Hartz IV Satz zusammen etwas weniger als sie als Verkäuferin netto verdient hatte, und die Arbeit war um vieles leichter.
Lucie war ein einfacher Mensch, aber sie war ja nicht blöd.
Wenn das herauskommen würde, dann würde sie ihren Anspruch auf Hartz IV Bezüge für immer verlieren, doch sie sagte sich jetzt, wenn die Welt tatsächlich am 21.12. untergeht, dann machst du vorher eine schöne kleine Reise. Vielleicht ein Wellnesshotel im Schwarzwald. In den wenigen Monaten, die ihr dann noch bleiben würden, war die Chance gering, dass sie entdeckt werden würde.
Tatsächlich war die Chance gering. Die Arbeitsämter hatten für solche Kontrollen einfach kein Personal, seit es soviel Arbeitslose gab. Man darf ja nicht die offiziellen Arbeitslosenstatistiken ansehen. Tatsächlich war die Zahl um etwa 4x höher als angegeben, aber die Bundesregierung würde einen Teufel tun, diese Zahl öffentlich zu machen.
Statistiken sind dazu da, um in der Öffentlichkeit die passende Grundstimmung für die Belebung der Wirtschaft zu erzeugen, und die Wiederwahl in den nächsten Bundestag, und seit mehreren Jahren schien es notwendig, den Erfolg der Bundesregierung auf wirtschaftlichem Gebiet durch sinkende Arbeitslosenzahlen zu beweisen. Kein Mensch würde je von einer Fälschung sprechen, außer ein paar sehr böswilliger linker Hassprediger in der Opposition. Mit solchen Populisten konnte man umgehen.
So blieb Lucies illegale Tätigkeit tatsächlich unentdeckt.
Im Sommer machte sie mit der Tochter endlich die langersehnte Kurzreise mit dem Rheindampfer von Mainz nach Köln, und im November fuhr sie mit dem Zug für ein Wochenende in den Harz und genoss dortden Wellness-Service.
Sie hatte sich extra ein neues Kleid, neue Schuhe und einen neuen Mantel gekauft, um dort nicht aufzufallen, aber natürlich sahen die Leute vom Personal sofort, dass Lucie eine einfache Frau war, die sich das Wochenende vom Munde abgespart hatte. Das Personal war aber geschult und höflich. Solange der Gast zahlte und keinen Unfrieden stiftete, konnte man sich das leisten.
Lucie genoss das Schlammbad. Die Sauna verkniff sie sich, weil das ihrem Kreislauf nicht gut tun würde, aber sie machte leichte Spaziergänge im Park und sie sündigte mit Kaffe, Obstkuchen mit Schlagsahne und Braten mit Pilzrahmsoße.
Wenn die Welt in zwei Monaten untergehen würde, dann ist das jetzt auch egal, sagte sie sich. Sie würde nach der Völlerei mehr Schmerzen in den Beinen haben als zuvor, aber an einem Punkt war sie konsequent. Sie trank viel Mineralwasser und das entschlackte ihren fülligen Körper wenigstens ein klein wenig.
3.
Lucie war ausnehmend zufrieden mit sich. Sie würde das wieder tun, wenn die Welt nicht untergehen sollte, wie prognostiziert, aber vielleicht war an dem Gerücht ja wirklich etwas dran.
Zurück in ihrer kleinen Stadt ging Lucie wieder zu ihrer illegalen Arbeit. Sie brauchte diese Art als Anerkennung ihres Selbstwertes.
An den Sonntagen gönnte sie sich jetzt aber ein Stück Kuchen, ein paar Pralinen oder einen schönen starken Kaffee mit Sahne. Sie setzte sich dazu in die Küche, weil ihr Mann mit der Bierflasche vor dem laufenden Fernseher saß, der den ganzen Tag plärrte.
Es wurde Mitte Dezember und Lucie war nun wirklich gespannt, ob am 21.12. etwas geschehen würde.
Wenn nicht… nun, sie hatte inzwischen gelernt, sich irgendwie zu arrangieren. Das Leben war leichter geworden und etwas besser, obwohl sie im Monat weniger Geld hatte als zu Zeiten ihrer Anstellung.
Kapitel 4. Die Grenzüberschreitung
1.
Karl-Heinz