Die Weihnachtskrippe. Klaus Bergdolt

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Die Weihnachtskrippe - Klaus Bergdolt

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(jahrhundertelang dauerte sie, begleitet von zahlreichen Festen und volkstümlichen Ritualen, bis zum 2. Februar, dem Fest Mariä Lichtmess) ließ die noch vor 100 Jahren vielerorts unvorstellbare Frage aufkommen, ob es sich überhaupt lohne, Krippen aufzubauen. Wie uralte, seit dem frühen Christentum gewachsene Liturgien oder seit Menschengedenken verehrte sakrale Kunstwerke, die ihre endgültige Heimat zunehmend in Museen finden und deren Schönheit meist nur noch im Rahmen von Block-Buster-Ausstellungen wahrgenommen wird, verdächtigt man die Krippentradition zunehmend – katholische Geistliche sind hier keineswegs ausgenommen – mit geradezu neoreformatorischem Impetus, einer oberflächlichen, eher formal-äußerlichen Glaubenskultur Vorschub zu leisten, die vom Wesentlichen ablenke.

      Die Weichen hierzu wurden, wie so oft in der westlichen Kulturgeschichte, im 19. Jahrhundert gestellt. Für Jakob Burckhardt (1818–1897), den wohl einflussreichsten Kunsthistoriker seiner Zeit, stand hier die gesamte „alte Kunst“ unter Generalverdacht. Ihr eigentlicher – für Burckhardt kunsthistorischer – Wert ließ sich, folgte man dem Schweizer Gelehrten, nur durch eine radikale Loslösung von ihrem ursprünglich religiösen Kontext erfassen, der bestenfalls zur soziologischen Analyse, etwa des Umfelds der Auftraggeber taugte.2 Diese Haltung beeinflusste nachhaltig die mittel- und nordeuropäische Kunst- und Mentalitätsgeschichte, die nicht nur im akademischen Bereich bürgerlich-protestantisch geprägt blieb. Ein vertiefter religiöser Glaube war für Burckhardt nur ohne die aus seiner Sicht ablenkende, ja vernebelnde Rolle kirchlicher Kunst möglich, deren wissenschaftlich-ästhetischer Reiz – der Autor des Bestsellers „Die Kunst der Renaissance in Italien“ (1860) hatte hier besonders den katholisch-italienischen Süden vor Augen – seiner Meinung nach jede religiöse Faszination zweitrangig erscheinen ließ. Die Welt der „Andachtsbilder“ (Goethe) wurde belächelt. Gläubigen, die vor Altarbildern oder Kruzifixen beteten, wurde intellektuelle Dürftigkeit unterstellt. Auf dem Feld der Musik hat jüngst Jan Assmann am Beispiel der Missa solemnis Beethovens eine vergleichbare Autonomisierung des „Kunstwerks“ postuliert: Spitzenwerke „emanzipieren“ sich demnach, so die klassisch-kulturprotestantische These, „durch ihre innere Größe“ aus dem ursprünglich liturgisch-katholischen Rahmen. Dass Beethoven, was dokumentiert ist, gerade mit der Missa solemnis – er hielt sie für bedeutender als die Neunte Symphonie! – zweifellos auch „religiöse Gefühle“ wecken wollte, erschien Forschern, die sich in der Tradition Adornos sahen und sehen, mehr als irritierend.3 Weihnachtskrippen (ital. Presepi), nach Burckhardts Theorie eine Ablenkung vom Wesentlichen par excellence, waren hier natürlich besonders verdächtig. Derartige Produkte katholischer „Volksfrömmigkeit“ ließen die aufgeklärten protestantischen und agnostischen Eliten an ihrem teleologisch-rationalistischen Weltbild [geradezu] verzweifeln“.4 Seriös erschien hier bestenfalls noch eine politisch-historische oder volkskundliche Analyse, die lange Zeit, besonders was Italien betraf, eine moralisierende Betrachtung des eher verachteten südlichen Umfelds einschloss, das als natürlicher Gegensatz zum aufgeklärten Norden galt. Römer und Neapolitaner, in deren Wohnstuben und Hinterhöfen man den Ursprung der Krippen vermutete (in Wirklichkeit spielten hier eher Kirchen, Klöster und Palazzi die entscheidende Rolle, vgl. S. 105 f.), galten nun einmal als „halbkriminell“, faul und gewohnt, von Almosen zu leben. Nicht nur die deutschsprachige Reiseliteratur des 18. und 19. Jahrhundert liefert hier zahllose Beispiele.5

      Inzwischen dürfte das Desinteresse an christlich-weihnachtlicher Kunst, begünstigt von einem zeitgeistgesteuerten Unverständnis für mittelalterliche und spätgotische, aber auch barocke Gemälde und Skulpturen, die Entfremdung von der Krippe weiter beschleunigt haben. Man kann sich sogar fragen, ob selbst die ironisch-distanzierte Darstellung der FAZ, was die zeitliche und lokale Verallgemeinerung angeht, nicht bereits Wunschdenken widerspiegelt. Die Erfahrung, dass das entsprechende „Basiswissen“, sehen wir von der Kernszene im Stall von Betlehem ab, aus dem religiösen Bildungskanon selbst von Kirchgängerinnen und Kirchgängern verschwunden ist, scheint in den Führungsgremien der deutschsprachigen Kirche – Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel – dazu geführt zu haben, sich hier anzupassen, d. h. zu überkommenen Weihnachts- und Krippenbräuchen im Zweifelsfall auf Distanz zu gehen.6

      Angesichts dieser innerkirchlichen Vorbehalte, die einer überaus kritischen Betrachtung ästhetisch-liturgischer Traditionen Vorschub leisten, kann es kaum überraschen, wenn unsere säkular bestimmte Gesellschaft Krippen eher Verwunderung als Bewunderung entgegenbringt. Wer eine größere Krippe besitzt und zeigt (seit alters handelte es sich auch um Orte weihnachtlicher Kommunikation!), gerät für Außenstehende, d. h. die Mehrheit der Bevölkerung, rasch in den Verdacht, einem kindlich-naiven Spieltrieb zu frönen. Nicht wenige Zeitgenossen sehen sich hier mit einem exotisch erscheinenden Kunstobjekt konfrontiert, dem die meisten Menschen – Ausnahmen bestätigen die Regel – eher hilflos gegenübertreten. Kindern erklärt man die Szenerien wie antike Mythologien oder arabische Märchen, d. h. aus der Sicht distanzierter Dilettanten, die über den Dingen, aber keinesfalls für den Inhalt stehen. Auch infolge des religiös unmusikalisch, weitgehend ahistorisch und eher anti-ästhetisch geprägten Mainstreams der Gegenwartskunst ist ein kulturhistorisches oder gar religiöses Verständnis von Krippen in Westeuropa, speziell in Deutschland, schwierig geworden. Moralismus und Ästhetizismus gelten im Zweifelsfall, wie schon Thomas Mann herausgestellt hat, als fast inkompatible Gegensätze, Moralisten sehen die südliche Schwäche fürs Schöne in der Regel mit Argwohn. Thomas Mann brachte sie – zweifellos eine tendenziöse Provokation – in den „Aufzeichnungen eines Unpolitischen“ exemplarisch mit dem schwülstig-erhitzten Kunststil des expressionistischen Dichters Gabriele d’Annunzio in Verbindung, dem er die eigene, nordisch-nüchtern Variante des Begriffs „bellezza“ entgegenstellte.7 Auch die Kirchen schlagen sich hier längst ins Lager der Moralisten. Fragen wie jene nach der Epiphanie Gottes, dem großen Thema aller Weihnachtskrippen, geraten, wie es scheint, gerade dann ins Hintertreffen, wenn ästhetische Fragen berührt werden. Nietzsches kaum noch bekannte Erfahrung, dass die Schönheit von Kunstwerken selbst in einem philosophischen „Freigeist“ ein „Mitklingen der lange verstummten, ja zerrissenen metaphysischen Saite“ bewirken kann, wird verdrängt.8 Zumindest nach strenger Burckhardt’scher Observanz gilt ein solcher Kunstgenuss in der Tat als naiv.

      Gestehen wir uns deshalb, wenn wir uns mit der Weihnachtskrippe beschäftigen, bei allem theologischen und kunsthistorischen Interesse, bei aller kulturhistorischen Neugier einfach einmal das Recht auf jene Unbefangenheit zu, die der Basler Gelehrte Burckhardt infrage stellte. Ohne sie wäre die Beschäftigung mit diesem Thema Stückwerk. Fest steht, dass Krippen Generationen von Westeuropäern und Südamerikanern auf einfache Weise den Zugang zum Geschehen von Betlehem vermittelt haben. Sie waren dabei nicht nur religiös-pädagogisch von Bedeutung, sondern sensibilisierten selbst einfache Menschen für künstlerische Fragen. Fast spielerisch lernte man, Volkskunst von Meisterwerken zu unterscheiden. Schon im 17. Jahrhundert sahen Kinder in Krippenfiguren aber auch eine Art geistliches Spielzeug, das sich anfassen ließ und das Geheimnis der Heiligen Nacht auf geradezu haptische Weise vermittelte. Religionspädagogisch war das keineswegs unerwünscht. Die hiermit verbundene Chance, Biblisches en miniature zu begreifen, hatten bereits die Jesuiten und andere Ordensgemeinschaften des 16. Jahrhunderts erkannt (vgl. S. 120–123). Spätestens seit dem 19. Jahrhundert wurden und werden private Krippen, zumeist ältere Sammlerstücke italienischer Herkunft, auch im protestantisch-bürgerlichen Umfeld, nicht zuletzt im Adel wegen ihrer besonderen ästhetischen und emotionalen Wirkung geschätzt. Die von Burckhardt geforderte Transformation zum musealen Objekt wurde hier früh vollzogen. Dabei standen keineswegs nur großflächige Krippenszenarien im Mittelpunkt. Auch Einzelfiguren, nicht selten von bekannten Künstlern der Renaissance und der Barockzeit hergestellt, übten dank ihrer besonderen Schönheit eine beachtliche Faszination aus. Nicht zufällig entstanden gerade gegen 1900 zahlreiche bedeutende Sammlungen, allen voran jene des Bayerischen Nationalmuseums in München, des Diözesanmuseums in der Hofburg in Brixen und des Museo di San Martino in Neapel. Wenn hier auch in der Weihnachtszeit Schulklassen oder Eltern mit ihren Kindern häufiger zu sehen sind, kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Wissen um die Tradition der Krippen rapide schwindet. „Weihnachtsmänner“ und

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