Die Weihnachtskrippe. Klaus Bergdolt
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Die künstlerische Darstellung des Kindes in der Krippe und der Verkündigung an die Hirten, aber auch von Ochs und Esel, deren früh herausgestellte Symbolik auf ein Wort des Jesaja zurückgeht („Es kennt der Ochse seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn“, Jes 1,3), erfreute sich ungeachtet der heftigen Diskussionen, vielleicht aber auch aufgrund der damit verbundenen theologischen Dynamik rasch großer Beliebtheit. Während man die Evangelientexte las oder, etwa in den Katakomben, einschlägige Abbildungen betrachtete, dachte man eo ipso über Grundfragen des neuen Glaubens nach, der sich schon vor dem Toleranzedikt Konstantins (313) in Italien und Gallien, aber auch in Kleinasien, Armenien, Syrien, Ägypten und Nordafrika erstaunlich rasch ausbreitete. Wie dies möglich war, warum das Christentum „überlebte“, wurde von vielen katholischen und protestantischen Kirchenhistorikern des 19. und 20. Jahrhunderts, aber auch schon von heidnischen und frühchristlichen Zeitgenossen leidenschaftlich diskutiert.14 Während die spätantike Kultur mit ihren zahllosen politischen und religiösen Strömungen spätestens im 6. Jahrhundert untergegangen war, überstand das Christentum, dem einst der kaiserliche Statthalter in Bithynien, jedenfalls nach dem Zeugnis des Plinius (Ep. X, 96,8), nur „wüsten, maßlosen Aberglauben“ (superstitionem pravam, immodicam) unterstellt hatte, alle Krisen. Der katholische Schriftsteller Martin Mosebach sah gerade im Theologenstreit des 3. und 4. Jahrhunderts, der – in der Wissenschaft war dies schon damals üblich – mancherorts zu geradezu hasserfülltem Konkurrenzdenken führte, eine Stärkung des Christentums. Zwar meditierten auch Einsiedler und einfache Mönche über die Epiphanie Christi, doch führten erst die Dispute in Rom, Alexandria, Antiochia, Smyrna oder Karthago zu jener Schärfung des Denkens und Kühnheit der Argumente, die den christlichen Intellektualismus begründeten.15 Was Christi Geburt anging, setzte sich letztlich zwar das Dogma der „Zweinaturenlehre“ durch, wonach Christus wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich war. Doch hatten die in den Konzilien unterlegenen arianischen bzw. monophysitischen Theologien, so Mosebachs These, ebenfalls exzellente Argumente zur Hand. Beide Positionen waren logisch und plausibel, beide durch Schriftstellen gut belegt, galten am Ende aber als häretisch. Zum Dogma erhoben wurde letztendlich ein Axiom, das auf den ersten Blick der üblichen Logik und Beweise entbehrte. Es führte immerhin zur Exkommunizierung des Patriarchen von Konstantinopel, Nestorius, des wohl einflussreichsten Monotheisten überhaupt, durch das Konzil von Ephesus. Er war dort mit seinem Vorschlag, Maria nur als „Christusgebärerin“ (Χριστóτοκος) zu verehren, gescheitert. Von Nestorius wurde auch die Bemerkung kolportiert, „er könne einen zwei oder drei Monate alten Gott nicht anerkennen“. Er bestritt die Wesensgleichheit Christi und des Vaters und stellte sich damit, zumindest nach Meinung seiner Gegner, gegen das 325 vom ersten Konzil von Nikaia verabschiedete Glaubensbekenntnis.16
Es bleibt bemerkenswert, wie Bibelstellen, die der Jungfräulichkeit der Gottesmutter und der Degradierung Josefs zum bloßen „Nährvater“ zu widersprechen scheinen, im Lauf der Jahrhunderte unterschiedlich gedeutet wurden. Schon die palästinensische Urgemeinde war hier offensichtlich unsicher. War Jesus nicht doch der Sohn Josefs? Paulus, der ja vor den Evangelisten schrieb, hatte ihn zwar als Sohn Gottes bezeichnet, doch sprach Markus eine Generation später schlicht vom Menschensohn. Stammt der „Sohn Davids“, wie die bei Matthäus und Lukas überlieferten Stammbäume zeigten (Mt 1,16, Lk 3,23–38), nicht über Josef von dem altisraelitischen König ab? Wurde Jesus bei Lukas als „Erstgeborener“ bezeichnet, deutete dies zudem auf weitere, „natürlich“ gezeugte Kinder Josefs und Marias hin, ebenso wenn – und das war ein besonders gewichtiges Argument – Johannes (Joh 1,45) von „Jesus, Josefs Sohn“ sprach. Im gleichen Sinn lesen wir bei Matthäus (13,55): „Ist dieser nicht der Sohn des Zimmermanns, heißt nicht seine Mutter Maria? Und seine Brüder Jakobus, Joses, Simon, Judas? Und seine Schwestern, sind sie nicht alle drei bei uns?“ Dass diese Auffassung in den frühen Christengemeinden sehr verbreitet war, ist unbestritten. Schon in der Spätantike kam allerdings die Vorstellung auf, dass die „Geschwister Jesu“ einer ersten Ehe Josefs mit einer gewissen Salome entstammten (entsprechend wurden sie mit ihrer Mutter auf zahlreichen spätgotischen Altären in die „Heilige Sippe“ eingereiht). Johannes Chrysostomos (4. Jh.) vertrat dagegen die bekanntere, von der modernen Theologie heftig bekämpfte These, dass der Begriff Brüder (ἀδελφοί) Christi sich auf seine Vettern bzw. Verwandten bezogen haben muss.17 Demgegenüber hieß es im Markusevangelium, das heute als das älteste gilt: „Ist das nicht der Zimmermann, Marias Sohn?“, während Josef unerwähnt bleibt (Mk 6,3). Wegweisend schien den Kirchenvätern einmal mehr das Alte Testament, wo Jahwe über David sagt: „Zum Erstgeborenen will ich ihn machen“ (Ps 89,28). Könnte sich dieses Attribut nicht, fragten scharfsinnige Theologen, möglicherweise vorausweisend auf Jesus, den Messias bezogen haben? War David nicht dessen berühmtester Vorfahr? Auch in Psalm 2,7 findet sich eine in diese Richtung weisende Bemerkung: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt“. Bezog man die Geburt Jesu auf solche Bibelstellen, verblieb Josef tatsächlich nur die Rolle als „Nährvater“. Psychologisch einfühlsam wird, was Skeptiker trösten konnte, im Matthäusevangelium berichtet, wie er selbst an der jungfräulichen Empfängnis Mariens zweifelte und sie deshalb gekränkt und enttäuscht verlassen wollte. Allein das Wort des Engels „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, denn was in ihr geboren ist, ist vom Heiligen Geist“ (Mt 1,20) konnte ihn davon abhalten.
Spätestens seit dem 2. Jahrhundert beeinflussten nicht nur die bekannten Passagen der kanonisierten und nicht kanonisierten Evangelien, sondern auch theologische Kommentare sowie dogmatische Einflüsse die Exegese der Bibeltexte und somit die bildende Kunst. Neben Origenes und Tertullian (um 200) wäre hier besonders Augustinus (um 400) zu erwähnen, der daran erinnerte, dass Christus – wie hätte es, setzt man dessen Göttlichkeit voraus, anders sein können! – niemals durch männlich-menschliche Zeugung, sondern allein durch eine Jungfrau geboren sein konnte (Sermo 196,1). Die wichtigste Weissagung findet sich freilich in der Weihnachtsgeschichte selbst, wo der Engel Josef weiter erklärte:
Sie [Maria] wird einen Sohn gebären. Ihm sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk von den Sünden erlösen. Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären. Man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns. Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte. (Mt 1,21–24)
Schien die Botschaft von der jungfräulichen Geburt Christi damit nicht von Gott selbst besiegelt? In der alttestamentlichen Bibelstelle (Jes 7,14), auf die sich der Engel bezog, hatte Gott dem König Ahas in einer Notsituation – er war von Feinden umringt – die von Matthäus zitierte Jungfrauengeburt geweissagt. Spätere Exegeten vermuteten hier eine irrtümliche griechische Übersetzung des hebräischen Wortes alma als „Jungfrau“ (in der Septuaginta als παρθένος und, hierauf basierend, in der Vulgata lateinisch als virgo). Alma könne nämlich, so vor allem protestantische Kritiker des 20. Jahrhunderts, auch junge Frau bedeuten. Immerhin handelte es sich bei der Jesaja-Stelle um die Ankündigung eines Wunders, das dem König Israels in einer speziellen Gefahr Rettung versprach. War nicht auch Christus, konnte man sich fragen, als wundersamer Retter erschienen? Interessanterweise umging Papst Benedikt XVI. die bis