Biodiversität. Bruno Baur
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Weiterführende Literatur
Gaston K.J. (Hrsg.) (1996) Biodiversity – a biology of numbers and difference. Blackwell Science, Oxford.
Wilson E.O. (Hrsg.) (1988) Biodiversity. National Academy Press, Washington D.C.
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Wie entsteht biologische Vielfalt?
Zusammenfassung
Genetische Vielfalt ist die Grundlage der Evolution. Sie ist Voraussetzung für die Bildung neuer Arten. In diesem Kapitel werden verschiedene Aspekte der genetischen Vielfalt vorgestellt und die Faktoren und Prozesse erläutert, die Veränderungen in der genetischen Vielfalt bewirken. Es wird gezeigt, wie Mutationen, natürliche Selektion und genetische Drift zu Veränderungen in den Genfrequenzen der Populationen beitragen. Der Begriff «Art» wird erklärt und die speziellen Bedingungen werden dargestellt, bei denen eine Artbildung möglich ist.
Genetische Vielfalt
Zwischen den Individuen einer Population bestehen meistens genetische Unterschiede (Primack 1995). Gene sind aus Nukleotiden aufgebaut. Miteinander verbunden bilden Nukleotide lange Ketten, die sogenannten DNA-Stränge, die viele Gene enthalten und aufgeknäuelt als Chromosomen sichtbar sind. Ein Gen kann mehrere Proteine kodieren. Die genetische Variabilität ist darauf zurückzuführen, dass einzelne Gene der Individuen sich geringfügig voneinander unterscheiden. Die unterschiedlichen Ausprägungen eines Gens werden als Allele bezeichnet. Verschiedene Allele können in Struktur und Funktion unterschiedliche Formen von Proteinen produzieren, welche die Entwicklung und Physiologie des Organismus unterschiedlich beeinflussen. So können verschiedene Allele am Gen «Gehäusefarbe» bei der Hain-Bänderschnecke (Cepaea nemoralis) gelbe, rosa oder braune Gehäuse bewirken.
Die genetische Variabilität ist bei Arten mit sexueller Fortpflanzung besonders hoch, weil jedes Individuum durch die Rekombination der Gene seiner Eltern eine einzigartige Gen- und Chromosomenkombination erhält. Bei der meiotischen Zellteilung werden während des Crossing-over Gene zwischen Chromosomen ausgetauscht, das Erbgut wird umgeordnet und es entstehen neue Genkombinationen, wenn die |10◄ ►11| Keimzellen der Eltern sich zu einem genetisch einzigartigen Nachkommen vereinigen. Zwar liefern Mutationen das Ausgangsmaterial für die genetische Variabilität, aber die Fähigkeit von Arten mit sexueller Fortpflanzung, Allele nach dem Zufallsprinzip neu zu kombinieren, erhöht das Potenzial für genetische Variabilität enorm.
Die Gesamtheit der Allele einer Population wird als deren Genpool bezeichnet, die konkrete Allelkombination eines Individuums als dessen Genotyp. Als Phänotyp des Individuums werden seine morphologischen, anatomischen, physiologischen und biochemischen Eigenschaften bezeichnet, die sich aus der Ausprägung seines Genotyps unter bestimmten Umweltbedingungen ergeben.
Genetische Vielfalt ist sichtbar, wenn morphologische Eigenschaften genetisch festgelegt sind und Individuen in diesen Eigenschaften variieren, beispielsweise die Gefiederfarbe bei Wellensittichen. Viele morphologische Eigenschaften sind aber nicht vollständig durch Gene determiniert, sondern sind das Ergebnis der Wechselwirkung von Genen und Umwelt. Ähnlich wie bei der sichtbaren morphologischen Variation gibt es auch genetisch festgelegte Variation in Verhaltensweisen. Einige Schmetterlingsarten weisen populationsspezifische Präferenzen für bestimmte Pflanzenarten auf, auf denen sie ihre Eier ablegen (Kuussaari et al. 2000). Genetisch determiniert ist auch die Futterpräferenz bei der Strumpfbandnatter (Thamnophis elegans) in Nordamerika: Jungtiere aus küstennahen Populationen in Kalifornien, in deren Lebensräumen viele Nacktschnecken vorkommen, verzehrten in Wahlversuchen ausschließlich Nacktschnecken, während Jungtiere aus Inlandpopulationen Frösche und Fische bevorzugten (Arnold 1981). Schlüpfende Jungtiere der Gefleckten Schnirkelschnecke (Arianta arbustorum) zeigen je nach Population eine verschieden stark ausgeprägte Neigung zu Eikannibalismus (Baur 1994). Bei Eidechsen wurden genetisch festgelegte Unterschiede in physiologischen Eigenschaften, wie die Schnelligkeit des Wegrennens (sprint speed), nachgewiesen, und Taufliegen (Drosophila) zeigen genetisch determinierte Unterschiede in biochemischen Eigenschaften (z.B. bei Verdauungsenzymen).
In den meisten Fällen wird die genetische Vielfalt aber mithilfe von molekularbiologischen Methoden untersucht, die direkten Einblick in die Variabilität der Gene geben.
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Verschiedene Stufen der genetischen Vielfalt
In jeder Pflanzen- und Tierart können drei verschiedene Stufen von genetischer Vielfalt unterschieden werden:
• genetische Variation innerhalb von Individuen (Heterozygosität);
• genetische Unterschiede zwischen Individuen innerhalb einer Population;
• genetische Unterschiede zwischen Populationen.
Zur Schätzung der genetischen Vielfalt innerhalb eines Individuums werden die Allele an ausgewählten Genloci betrachtet. Befinden sich an einem Locus zwei identische Allele (ein Allel von der Eizelle der Mutter, das andere vom befruchtenden Spermium des Vaters), ist das Individuum an diesem Locus homozygot. Kommen aber zwei verschiedene Allele vor, dann ist das Individuum an diesem Locus heterozygot. Werden bei einem Individuum mehrere Loci beurteilt, so können die Häufigkeiten der homozygoten und heterozygoten Loci ermittelt werden. So ist beispielsweise ein Individuum an neun von zehn untersuchten Loci heterozygot (d.h. 90 % seiner Loci sind heterozygot), während ein anderes Individuum nur an zwei der zehn Loci heterozygot ist (20 % heterozygote Loci). Das erste Individuum weist eine deutlich höhere genetische Variabilität auf als das zweite. Im Extremfall sind alle Loci eines Individuums homozygot. Dies kommt bei Organismen mit klonaler Fortpflanzung oder Parthenogenese vor sowie bei der Vermehrung durch regelmäßige Selbstbefruchtung.
Innerhalb einer Population werden die verschiedenen Kombinationen von Allelen (Genotypen) betrachtet, die bei den Individuen vorkommen (Tabelle 1). Wenn alle Individuen am untersuchten Locus zwei gleiche Allele aufweisen, dann ist die Population an diesem Locus monomorph. Dies bedeutet, dass in der Population keine genetische Variation am betrachteten Locus vorhanden ist. Haben aber einige Individuen verschiedene Allele am untersuchten Locus, dann ist die Population polymorph. Mithilfe von Stichproben kann die genetische Vielfalt einer Population geschätzt werden. Dazu werden beispielsweise bei 20 Individuen je fünf Loci (variable Mikrosatelliten-Marker) untersucht. Zur Bewertung der genetischen Vielfalt werden die Anzahl der verschiedenen Allele, ihre Häufigkeiten, das Verhältnis «Anzahl Allele pro Locus» sowie die Anzahl (oder der Prozentanteil) polymorpher Loci beigezogen.
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Tabelle 1: Genetische Vielfalt in drei Kreuzotter-(Vipera berus)-Populationen.
Dargestellt sind die Allelhäufigkeiten von fünf variablen Loci (Mikrosatelliten-Marker) und die Anzahl der untersuchten Individuen (N). Die Population im Juragebirge ist am Locus Vb-B10 monomorph, während