Einführung in das Lebensflussmodell. Keweloh Astrid

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Einführung in das Lebensflussmodell - Keweloh Astrid Carl-Auer Compact

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zu überleben. Er hatte viele schwerwiegende Krisen schon in jungen Jahren zu überstehen: eine Lungentuberkulose, Bombenangriffe, Vertreibung und Flucht, dann ein Leben als Flüchtlingskind auf einem Einödhof in Oberbayern. Als Überlebensstrategie haben sich die Haltung und der Schwur »So wie diese wahnsinnigen Erwachsenen werde ich nicht leben« tief bei ihm eingebrannt. Ebenso war Humor von Beginn an in seiner Familie eine überlebenswichtige Ressource, die sich auch in der Lebensflussarbeit wiederfindet. Die Therapiestunde kann man dabei als Modell für das normale Leben betrachten: Wie gehe ich mit Krisen, mit Schwierigkeiten um? Nehme ich die Einladung ins Negative direkt an oder bleibe ich dennoch mit der Lösungshaltung verbunden? Die Basis der Lebensflussarbeit bildet eine ressourcenvolle lösungsorientierte Grundhaltung mit einer wertschätzenden, akzeptierenden Haltung für das Schwierige und Dunkle im Leben – aber ohne sich darin zu verlieren. Humor ist ein wichtiger Aspekt in dieser Arbeit. Sie erleichtert den Umschwung hin zur positiven Lösungshaltung.

      Peter Nemetscheks Leben war und ist bunt – er nennt sich selbst »doppelbegabt im bildnerischen Darstellen und im Umgang mit Menschen«. Aus einer Architektenfamilie stammend, ausgebildet an der Akademie der Bildenden Künste, gehörte er in den 1970er-Jahren zur künstlerischen Avantgarde. Den »Aktionsraum 1« in München gründete er mit zwei anderen Künstlern. Seine Arbeiten wurden in vielfältigen Medien veröffentlicht, seine hervorragenden bildnerischen Fähigkeiten bildeten die künstlerische Grundlage für die Entwicklung seines Lebensflussmodells.

      Peter Nemetschek ist auch ein sehr erfahrener Geschichtenerzähler. Über zwanzig Jahre hinweg unterstützte er das ZDF als pädagogischer Berater in der Kinder-, Jugend- und Familienredaktion wie zum Beispiel bei der »Rappelkiste« oder »Neues aus Uhlenbusch« (Nemetschek, Madelung u. Gulden 1971). Ausgezeichnet wurde diese Arbeit unter anderem mit Grimme-Preisen. Auch diese Kinderfilme wiesen eine Struktur auf, die sich in der Lebensflussarbeit widerspiegelt: Von der äußeren Realität wird der Fokus lupenartig auf die Innenwelten der Kinder und Erwachsenen gerichtet, und die Erzählstränge sind eindeutig lösungsorientiert – unabhängig davon, wie desolat sich das äußere Umfeld der Filmhelden gestaltet.

      Seine soziale Arbeit begann Nemetschek als Erzieher in der Heilpädagogik in München im sozialen Brennpunkt Hasenbergl, was ihn sehr beeindruckte und »für das wahre Leben« geschult hat. 1978 legte er den Grundstein für seine familientherapeutische Praxis in München.

      Peter Nemetschek lernte bei bedeutenden Therapeuten. Er besuchte Seminare der Familientherapeutin Virginia Satir und Veranstaltungen der strategischen Familientherapie bei Cloé Madanes und Jay Haley sowie hypnotherapeutische Seminare bei Milton H. Erickson und Jeffrey Zeig. Interessiert war er auch an der lösungsorientierten Therapie von Insoo Kim Berg. Einige der Genannten hielten Workshops in seinem Seminarhaus in der Nähe von München. Maßgeblich in der Entwicklung seines Modells beeinflussten ihn Virginia Satir und ebenso Milton H. Erickson.

      1981 gründete Peter Nemetschek sein Ausbildungsinstitut »Die Münchner Schule mit dem Lebensflussmodell« und bildet seitdem in systemischer Familientherapie, Supervision und Coaching aus. Für sein familientherapeutisches Engagement in den neuen Bundesländern erhielt er die Bundesverdienstmedaille.

      Im Anhang finden Sie Auszüge aus einem Interview, in dem Peter Nemetschek die wichtigsten Stationen seines privaten und beruflichen Lebens darstellt, die ihn maßgeblich bei der Entwicklung der Lebensflussarbeit geprägt haben.

       2.2Die Wurzeln des Lebensflussmodells

      Die Arbeiten des großen Lehrmeisters der Hypnotherapie Milton H. Erickson und der Pionierin der Familientherapie Virginia Satir bilden die wichtigsten Grundlagen des Lebensflussmodells von Peter Nemetschek und seiner Art der professionellen Time-Line-Arbeit.

       2.2.1Inspiration durch die Familientherapie von Virginia Satir

      Virginia Satir wird auch als Mutter der Familientherapie bezeichnet. Sie lebte von 1916 bis 1988 in den USA, hatte soziale Arbeit studiert und eine psychoanalytische therapeutische Ausbildung absolviert. Am Mental Research Institute in Palo Alto bei Stanford (USA) entstand unter ihrer Leitung das erste familientherapeutische Ausbildungsprogramm der USA.

      Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit war die Entwicklung der Familienskulptur. Bei dieser Technik erhalten die Klienten ein systemisches Verständnis über sich selbst und über ihre Beziehungen, indem das Verhalten und die Art der Beziehungen innerhalb einer Familie zueinander symbolisch als Skulptur dargestellt werden. So werden bis dahin nicht sichtbare Bindungen und »festgefahrene« Kommunikationsabläufe aus einer anderen Perspektive deutlich und haben die Chance zur Heilung. Die therapeutische Arbeit mit Seilen oder auch sogenannten Lebenslinien stellten ebenfalls ein Modul ihrer kreativen Arbeit dar.

      Eine weitere Entwicklung von Satir war das dynamische Modell der Familienrekonstruktion, das Peter Nemetschek in ihren Workshops kennenlernte: Familienregeln, Schutzmechanismen, Überlebensstrategien, Verhaltensweisen und Ressourcen entstehen grundsätzlich in jeder Familie. Bei der Familienrekonstruktion wird nun über drei Generationen hinweg betrachtet, wie diese ungeschriebenen Gesetze von einer Generation zur nächsten transportiert und kontinuierlich weiterentwickelt worden sind. Ziel war es, den Klienten diese generationsübergreifenden Muster bewusst zu machen. Satir visualisierte die Regeln und die Weiterentwicklung von Generation zu Generation durch eine Abfolge von Skulpturen. Bei ihrer Arbeit beginnt sie mit der Liebesgeschichte der Großeltern aufseiten beider Eltern. So erscheinen die Großeltern als junge Menschen, die ineinander verliebt waren, mit ihren damaligen Eigenschaften, Hoffnungen, Verrücktheiten, Wünschen … Zudem werden die geschichtlichen, politischen, kulturellen und individuellen familiendynamischen Aspekte betrachtet: Was ist im Leben dieser Zwei passiert, als sie geheiratet, Kinder gezeugt haben und eine Familie wurden. Auch das Genogramm (Visualisierung des Familienstammbaums aus systemischer Sicht) wird zur Klärung und Unterstützung eingesetzt: Es entwickelt sich ein psychodramatisches Standbild anhand von Erinnerungen, Familiengeschichten, unbewussten oder bewussten Informationen oder auch Fantasien. So entstehen auch entsprechend die jeweiligen Beziehungsskulpturen der Großeltern. In der zweiten Generation begegnen sich nun die späteren Eltern als Liebespaar. Satir setzt Rollenspieler ein: Die Person, deren Familie rekonstruiert wird, schaut von außen zu. Sie sieht auch ihre eigene Entwicklung aus einer neuen Perspektive, kann ihre Zeugung und Geburt betrachten, sieht sich als Kind und Jugendliche, sieht ihr eigenes Heranreifen. Der Klient kann zum Beispiel hineingehen und sein inneres Kind in den Arm nehmen oder den Eltern versöhnlich die Hände reichen.

      Bei den Arbeiten von Satir entsteht eine tiefe Alltagstrance, wobei sie den Prozess mit viel körperlicher und seelischer Nähe begleitet. Sie unterstützt beim Formulieren und lässt Raum für Prozesse: »Sag’s in deinen Worten« (Nemetschek 2006, S. 77). Auch aussöhnender Humor stellt eine wichtige Komponente dar im Sinne von »aus der Tragödie eine Komödie machen« (ebd.). Für die Familie entsteht mittels der Skulpturen eine Metapher, die sie sehen und fühlen kann – es entsteht ein gemeinsames Bild. Aus unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Innenwelten entwickelt sich eine neue Perspektive, die zu neuem Konsens und einem gemeinsamen systemischen Rahmen führt.

      Virginia Satir vermittelt in ihrem Fließmodell auch, wie aus der Arbeit mit mehreren Personen gleichzeitig eine neue ressourcenvolle Metapher entsteht: die Familie als sprudelnde Quelle von Ressourcen, als lebendiger Organismus, der sich in permanentem Fortschritt befindet – anstelle einer defizitären Betrachtungsweise. Bei ihren Arbeiten waren die Sinne im Fokus: jemanden berühren, etwas (auch körperlich) darstellen, mit allen Sinnen arbeiten, sich im Raum bewegen, statt nur zu sitzen, nachzudenken und zu reden.

      Die Existenz von Selbstheilungskräften innerhalb der Familie und in den einzelnen Familienmitgliedern ist eine Grundannahme der systemischen Familientherapie.

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