Einführung in das Lebensflussmodell. Keweloh Astrid
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Peter Nemetschek besuchte Seminare bei Erickson in Phoenix (USA) und verbrachte dort auch Zeit mit ihm. Dessen Art der Hypnotherapie und seine ressourcenvolle Haltung beeindruckten ihn tief.
Milton Hyland Erickson lebte von 1901 bis 1980 und war ein amerikanischer Psychiater und Psychotherapeut, der den Grundstein für zeitgemäße Hypnose und Hypnotherapie legte und die wunderbare Fähigkeit besaß, seinen Patienten und Zuhörern tiefwirkende Geschichten zu erzählen. So war er auch Poet, Heiler und Wissenschaftler. Das Besondere an Erickson war, dass er die Einzigartigkeit des einzelnen Klienten betonte und individuelle Strategien entwickelte, die exakt auf den jeweiligen Klienten abgestimmt waren. Für Erickson war das Unbewusste eine sprudelnde Quelle von Ressourcen, die der Organismus jederzeit kreativ zur Selbstheilung aktivieren kann. Jeder Mensch verfügt über unendliche Heilkräfte, die nur mobilisiert werden müssen. Dann kann er auf diese Erfahrungen zurückgreifen, um sie in der jetzigen Lebensphase nutzen zu können. Um diese ressourcenvollen Erfahrungen zu aktivieren, versetzte Erickson den Klienten in einen sehr tiefen Trancezustand. Mittels verbaler und nonverbaler hypnotherapeutischer Techniken lud er das Unbewusste ein, die Führung zu übernehmen, um die gewünschte Selbstheilung zu ermöglichen. Insbesondere setzte Erickson das sogenannte »storytelling« ein – er erzählte Geschichten, um das Unbewusste des Klienten zu erreichen. Häufig finden sich in diesen Geschichten ganz ungewöhnliche Lösungen, um auf diesem Wege kreative Findungsprozesse beim Klienten anzuregen, die ungewohnte und flexible Lösungswege der Heilung im Inneren entstehen lassen.
Erickson nutzte in seinen Hypnosen unter anderem die Metapher einer Lebenslandschaft, »durch die sich eine Überlandstraße schlängelt« (Nemetschek 2006, S. 78) und die dem Klienten die Möglichkeit gibt, das eigene Leben aus einer anderen ganzheitlichen Perspektive wahrzunehmen, da sie in die Zukunft führt:
»Es ist, als ob du einen Highway entlangfährst und an dieser Szene und an jener Szene vorbeikommst … wie z. B. die Zeit, als du herausfandst, dass du aufstehen kannst, und die ganze Welt schaut anders aus, wenn du aufstehst und nicht länger krabbelst. Und älter, hast du dich vornübergebeugt und zwischen deinen Beinen hindurchgeschaut und siehst die Welt aus einer anderen Sicht (die Welt steht Kopf), und die Welt schaut so interessant und spannend aus …« (Monde Tape, vgl. Erickson 1975, in: Nemetschek 2006, S. 78).
Nemetschek weist in seinen Veröffentlichungen auch auf folgende Zitate von Erickson hin, die ihn inspiriert haben:
»Entlang den Straßen des Lebens gibt es verschiedene Dinge, und du musst diese Dinge lernen. Und später herausfinden, wie du das Gelernte nutzen kannst …« (ebd.).
und ähnlich:
»Das sind die guten Gefühle, mit völliger Hingabe im Wasser planschen – etwas, das du lernst und das bei dir bleiben wird im späteren Leben, damit es in einer bestimmten Weise benutzt wird« (ebd., S 79).
Eine andere Metapher, die Erickson nutzte, waren Kristallkugeln, wie sie damals zum Wahrsagen der Zukunft genutzt wurden (Crystal-Ball-Technique). In tiefer Trance lässt Erickson seinen Klienten eine Kristallkugel imaginieren, in der der Klient – wie bei einer echten Wahrsagerin – in seine positive Zukunft blicken kann. Er kann in ihr erkennen, was er demnächst können wird, aber eben jetzt noch nicht kann. Dahinter soll der Klient nun noch eine Kristallkugel imaginieren, in der er einen Zeitpunkt sehen kann, an dem er sich quasi nicht mehr erinnern kann, das jetzige Problem jemals gehabt zu haben. Er kann schon darüber schmunzeln.
»›Sieh dich in dieser Kristallkugel: wie du das bereits tun kannst und tust, was du heute noch nicht kannst! …Dahinter kannst du noch eine Kugel sehen … und du siehst dich darin: wie du bereits vergessen hast, dass das jemals ein Problem für dich war‹ (im Monde-Tape: und du kannst darüber schon schmunzeln)« (Monde Tape, vgl. Erickson 1995–1998, Erickson in: Nemetschek 2006, S. 80).
Nur ein Jahr, nachdem Peter Nemetschek Ericksons erstes Seminar besucht hatte, begann er mit Seilen am Boden Lebenslinien-Wege zu visualisieren: Er bildete Wege beziehungsweise Alternativen ab, die von der Gegenwart ausgehend in verschiedene Richtungen in die Zukunft führen. Er illustrierte seinen jugendlichen Klienten, wie es sich anfühlt, den leichten Weg wie bisher oder den harten Weg, der zum Erwachsenwerden führt, zu wählen.
Der Grundstein für den Lebensfluss war gelegt oder besser formuliert: Das Flussbett für den Lebensfluss war geschaffen!
2.3Analoge Methoden und der hypnosystemische Ansatz
Neben den Arbeiten von Milton H. Erickson und Virginia Satir, die die tragenden Säulen waren, hatten auch die neueren konstruktivistisch-systemischen Schulen Einfluss auf die Entwicklung des Lebensflussmodells. Peter Nemetschek hat parallel zu Gunther Schmidts hypnosystemischen Ansatz sein Konzept einer Synergie der beiden Therapierichtungen entwickelt. Allerdings nannte er es trotz dieser Wurzeln nicht hypnosystemisch, sondern analoges Arbeiten, weil man Aussagen beziehungsweise innere Lebenswelten des Klienten analog mit Materialien wie Seilen oder Symbolen ganzheitlich abbildet oder parallel auch analog in Geschichten oder Metaphern übersetzt.
Für mich persönlich bedeutet die Arbeit mit dem Lebensfluss sowohl analoges Arbeiten als auch hypnosystemisches Arbeiten mit Visualisierungen. In meinen Ausbildungen und damit auch in meiner Betrachtungsweise und Handhabung des Modells sind sowohl die Grundlagen von Erickson als auch von Satir, sowie die Sichtweise von Peter Nemetschek als auch die Grundlagen der hypnosystemischen Theorie eingeflossen.
Der Begriff »hypnosystemische Therapie und Beratung« wurde im Jahr 1980 von Gunther Schmidt geprägt und bis heute weiterentwickelt. Wenn man die tieferen Ebenen betrachtet, erkennt man, dass sich die Hypnotherapie Ericksons und die konstruktivistisch-systemische Therapie in ihrer Grundhaltung sehr ähneln. Details dazu werden von Schmidt ausführlich in seinen Werken beschrieben (Schmidt 2005).
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