Natur-Dialoge. Astrid Habiba Kreszmeier

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Natur-Dialoge - Astrid Habiba Kreszmeier Systemische Therapie

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belüftet und dass er im Leben und in den Praxisfeldern aller, die ihn für wichtig halten, einen guten Platz einnehmen kann.

       Astrid Habiba Kreszmeier

       Altstätten, im Frühjahr 2021

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       1In Zeiten fortschreitender Erddemenz 1

       »Es könnte immerhin sein, dass es für erdgebundene Wesen, die handeln als seien sie im Weltall beheimatet, auf immer unmöglich ist, die Dinge, die sie solcherweise tun, auch zu verstehen.«

      Hannah Arendt, Vita Activa, S. 10

      Wo sind wir gelandet?

      Regnet es?

      Nach vielen sonnigen Tagen regnet es.

      Das mag ein etwas seltsamer Beginn für eine Art Fachbuch sein, dennoch ist er genau richtig. Weil es eben von großer Bedeutung ist, dass es regnet. Früher kamen mir eher abfällige Gedanken, wenn andere übers Wetter redeten. Sie sollten doch mit dem Small Talk aufhören und über etwas Wichtigeres sprechen. Über das, was sie wirklich beschäftigt, was ihnen wirklich wichtig ist. Und bestimmt habe ich mich auch über mich geärgert, wenn mir nichts Besseres eingefallen ist, als zu sagen: Regnet es bei euch auch? Sich über das, was uns umgibt, also unter anderem und ganz wesentlich das Wetter, auszutauschen, war nahezu ein intellektuelles Armutszeichen.

      Das sehe ich heute nicht mehr so. Im Gegenteil, ich halte es für außerordentlich wichtig, dass wir wieder mehr wahrnehmen, ernst nehmen und mitteilen, was für Witterungen wir gerade erleben. Welche ganz sinnlich wahrnehmbaren Atmosphären, welche elementaren Qualitäten mit uns sind. Es scheint mir für unsere körperliche, psychische und soziale Gesundheit – oder anders, für unser gedeihliches Zusammenleben hier auf Erden – wesentlich, dass wir nicht nur über unsere smarte Wetter-App, sondern auch hautnah bemerken, dass es draußen heiß, nass, trocken, windig, nebelig, sonnig ist. Wetter ist wesentlich, nicht nur, aber auch für Menschen.

      Wo bist du?

      Nach vielen sonnigen Tagen regnet es. Ich sitze im Dachzimmer eines Hauses in den Südhängen des ostschweizerischen Rheintales. Der bräunlich-graue Wolkenhimmel und ziehende Nebel lassen mich zwar die Ebene sehen, die der Rhein dereinst mäandernd mitgestaltet hat, jedoch die prächtigen Bergketten auf der anderen Seite bleiben gerade verhüllt. Das macht gar nichts. Weil ich weiß, dass es sie gibt. So oft haben sie sich mir gezeigt (und ich mich ihnen), dass ihre Gegenwart in meinem räumlichen Empfinden lebendig ist. Sie halten den Raum und mich in ihm, so scheint es mir, so fühle ich es. Und ich bin ihnen so dankbar. Dankbar bin ich auch diesen Hügeln und Hängen, den Nasen und Kuppen, ganz besonders den sieben Birken, dem Holunder und der großen, alten Linde am Hang vor unserem Fenster. Ich will es jetzt zu Beginn nicht übertreiben mit meinen Liebesbekundungen an diese Landschaft, mit der ich lebe, das würde kein Ende nehmen. Ich würde dann ja auch von den menschlichen Nachbarn erzählen müssen, den Bauern und Bäuerinnen, den Handwerkern und Kassiererinnen, den Physiotherapeuten und Versicherungsmaklern. Aber auch damit wäre es nicht getan, ich müsste nämlich auch den Straßen, die hier im Hang angelegt sind, danken, und unserem Auto und dem Fahrrad und dem schicken Airbook und meinem schier unverwüstlichen Telefon und den vielen Dingen, die mit mir leben. Keine Sorge, soweit wird es nicht kommen, und dennoch ist mir wichtig hier einzubringen, dass ich mich als Schreibende an einem Ort befinde. An einem ganz wirklichen Ort, in einer geografischen, biologischen und freilich auch kulturellen Situation. Dieser Ort mitsamt seinen wilden Welten und menschengemachten Dingen spricht mit, schreibt mit. Nichts geschieht ohne den Ort, an dem wir gerade sind.

      Alle folgenden Überlegungen und Geschichten möchten unter anderem daran erinnern, dass wir Menschen Teil einer Welt sind, die lebt und pulsiert. Dass es einen Unterschied macht, ob wir und unsere menschlichen Mit-Lebenden nicht nur wahrnehmen, dass es uns gibt, sondern auch wo es uns gibt. Vor allem auch wie wir mit diesem Wo in Beziehung sind und mit ihm kommunizieren. Der Regen trommelt kräftig auf die Dachfenster, schön.

      Was spricht dich an?

      Ich sitze im Dachzimmer eines Hauses in den Südhängen des ostschweizerischen Rheintales. Dort unten in der Ebene, wo heute Rietflächen, Wiesen und fruchtbares Ackerland, kleine städtische Siedlungen und Dörfer einander abwechseln und die der Rhein in begradigter Linie durchzieht, dort war vor langer Zeit ein Gletscher, dann ein großer See, dann ein mäandernder Fluss.

      Funde in den Halbhöhlen an den Hängen deuten auf prähistorische Besiedelung hin und sollen gar bis zu 10.000 Jahre alt sein. Als geologische oder archäologische Information sagt mir das noch nicht viel. Allerdings geschieht es, dass mich aus der langen Zeitgeschichte des Raumes etwas anhaucht und zum Eintauchen einlädt. Es sind dann nicht Gefühle im eigentlichen Sinn, sondern eher Ahnungen, organismische Wahrnehmungen, ja körperliche Empfindungen, die mich an dieses Feuer in der Halbhöhle rufen. Gemeinsam mit den anderen sitze ich dann dort, den Älteren und Jüngeren, eingebettet in diese ungeheure Vielfalt der Wildnis rund um uns, ja vielleicht mit einem Blick auf den mäandernden Fluss, der uns so viel Nahrung beschert. Unsere Körper wissen sich zu bewegen, kräftig und sanft in diesen Felsen, Moosen, Wäldern, mit den Tieren und Pflanzen und unter uns. Hand in Hand bei der Jagd, am Feuer, bei den Gängen durchs Land, beim Sammeln und Graben. Hier werden Kinder geboren, hier sterben andere, manche jung, manche alt. Wir erzählen die Geschichten des Tages und wohl auch schon die Geschichten der Ahnen. Wir singen und tanzen.

      Solche Bilder kann mir diese Landschaft zurufen. Andere Landschaften erzählen andere Geschichten. Alle laden ein, zu erinnern.

      Was will sich erinnern?

      Jetzt regnet es nicht mehr. Das Zirpen der Grillen, Vogelstimmen, blökende Schafe und der rauschende Grundton des Windes in den Bäumen des angrenzenden Waldes füllen mein Dachzimmer. Wie alle Töne füllen sie auch mich auf ihre eigentümliche Weise. Es klingt friedlich miteinander. Das ist es oft auch, aber gewiss haben diese Hügel und Hänge nicht nur Frieden erlebt. In unmittelbarer Nähe ziehen Kantonsgrenzen, aber auch Staatsgrenzen durch das Gebiet. Hier wurde gerungen, gekämpft und gehandelt. Die Geschichte dieses Grenzraumes kann sich jederzeit auffalten, über irgendein zufälliges Zeichen. Gerade höre ich einen Schuss. Jagd? Schießübungen? Noch einen. Vielleicht wegen der Wildschweine, die hier durch die Wälder ziehen.

      Dort unten der Alpenrhein, dessen Mäandern vor gut 100 Jahren reguliert wurde. Er ist nicht nur Fluss, sondern auch fließende, politische Grenze zwischen der Schweiz und Österreich. Wie schnell jene offene, mehr verbindende als trennende Zone zu einer bedrohlichen, von Militär aktiv bewachten Mauer werden kann, haben die Corona-Maßnahmen im Frühjahr 2020 gezeigt. Bewegungen, die über Jahrzehnte selbstverständliche Gewohnheit waren, Freundschaften, soziales Leben, Familien, Liebesbeziehungen und alles, was nicht gerade notwendiger oder als solches angesehener Wirtschaftsverkehr war, wurden von einem Tag auf den anderen getrennt, unterbunden und verboten. An dieser Grenze war »Krieg«, der unsichtbare Feind allgegenwärtig und mit ihm die Erinnerungen und Geschichten der letzten Kriege. Ob in ihnen die Chancen der Befriedung genutzt werden können, oder ob der Schreck, die Angst und die Panik sich noch etwas tiefer eingraben werden?

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