Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer
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§ 1 Begriffsbestimmung
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Begriffsbestimmung › A. Völkerrecht
A. Völkerrecht
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Fall 1:
Im Jahre 1939 schloss der Sheikh des Staates Abu Dhabi mit der britischen Firma Petroleum Development einen Ölkonzessionsvertrag. Als es im Jahre 1949 zu Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Vertrags kam, rief die Firma einen im Konzessionsvertrag vorgesehenen Schiedsrichter an. Dieser hatte vorab zu klären, ob er seine Entscheidung auf der Basis des Völkerrechts oder einer anderen Rechtsordnung zu treffen habe. Der Vertrag selbst enthielt darüber keine Aussage. Wie musste der Schiedsrichter entscheiden?
Lösung: Rn 18
§ 1 Begriffsbestimmung › A. Völkerrecht › I. Begriff
I. Begriff
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Das Völkerrecht wird in weitestgehender Übereinstimmung definiert als die Summe der Rechtsnormen, welche die Beziehungen der Völkerrechtssubjekte untereinander regeln und nicht der inneren Rechtsordnung eines dieser Völkerrechtssubjekte angehören.
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Zu den Völkerrechtssubjekten (s. Rn 1034 ff) zählen in erster Linie die Staaten als die – historisch gesehen – „klassischen“ Völkerrechtssubjekte. Im 20. Jahrhundert ist die Gruppe der internationalen Organisationen hinzugekommen, welche die Staaten mittlerweile an Zahl weit übertreffen. Daneben gibt es eine Gruppe von Völkerrechtssubjekten, die für die Rechtsordnung des Völkerrechts atypisch (sui generis) und nur historisch erklärbar sind. Das sind der Heilige Stuhl, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und der Malteser-Ritter-Orden. Zum Kreis der Völkerrechtssubjekte wird heute immer mehr auch der einzelne Mensch gezählt. Noch weitgehend ungeklärt und umstritten ist demgegenüber die Frage der Völkerrechtssubjektivität juristischer Personen des nationalen Rechts, zB von NGOs oder transnational tätigen Unternehmen.
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Das Völkerrecht ist im Vergleich zu einer nationalen Rechtsordnung strukturell schwächer ausgebildet. Das hängt damit zusammen, dass es keine Zentralinstanzen gibt, die Recht für alle verbindlich setzen und durchsetzen können. Rechtsnormen des Völkerrechts entstehen prinzipiell nur durch Zusammenwirken der Völkerrechtssubjekte. Daher spricht man von einem Recht mit Koordinationscharakter bzw mit einem „genossenschaftlichen oder horizontalen Charakter“ (Geiger, S. 8). Rechtsnormen des Völkerrechts haben ihre Grundlage daher üblicherweise in bilateralen oder multilateralen Verträgen oder im Gewohnheitsrecht, das auf übereinstimmender, von Rechtsüberzeugung getragener Übung basiert. Das bedingt, dass nur die Vertragsparteien oder die an der Entstehung von Gewohnheitsrecht beteiligten Völkerrechtssubjekte an die so geschaffenen Rechtsnormen gebunden sind. Diese gelten (im Gegensatz zum innerstaatlichen Gesetz, das – von Sonderfällen abgesehen – allgemeine Geltung beansprucht) daher nur relativ. Deshalb spricht man von der Relativität des Völkerrechts.
Beispiel:
Auf einem unter griechischer Flagge fahrenden Fährschiff ereignete sich 1971 auf Hoher See eine Brandkatastrophe. Das Schiff wurde nach Italien geschleppt und der griechische Kapitän verhaftet. Griechenland protestierte gegen die Verhaftung unter Hinweis auf Art. 11 des Übereinkommens über die Hohe See vom 29. April 1958, wonach zur Strafverfolgung nur der Flaggenstaat des Schiffes oder der Heimatstaat des Kapitäns (in beiden Fällen also Griechenland) zuständig sei. Allerdings war nur Griechenland, nicht aber Italien Vertragspartei. Daneben existierte auch noch das Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die strafgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen und anderen mit der Führung eines Seeschiffes zusammenhängenden Ereignissen vom 10. Mai 1952. Dieses Übereinkommen enthält eine dem Art. 11 des Übereinkommens über die Hohe See nahezu identische Bestimmung. Diesmal war zwar Italien, nicht aber Griechenland Vertragspartner des Übereinkommens. Beide Staaten waren also an eine identische Regelung gebunden, aber wegen der Relativität des Völkerrechts nicht im gegenseitigen Verhältnis. Keines der beiden Übereinkommen konnte also zur Anwendung kommen (vgl dazu Oeter, in: Encyclopedia², Heleanna Incident).
Seit 1995 sind beide Staaten, Italien und Griechenland, an das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 gebunden, das in Art. 97 eine mit Art. 11 des Übereinkommens über die Hohe See wortgleiche Regelung vorsieht.
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Das Völkerrecht der Gegenwart hat sich zu einer rechtlichen Grundordnung für die internationale Gemeinschaft fortentwickelt. Kennzeichnend für diesen Wandel sind ua die Institutionalisierung der internationalen Beziehungen (zB in Gestalt internationaler Organisationen oder von Vertragsregimen, s. Rn 1188 ff), die sich entwickelnde Völkerrechtssubjektivität des einzelnen Menschen, die Verfestigung fundamentaler Menschenrechte zu unabdingbarem, zwingendem Völkerrecht (ius cogens), die Anerkennung von Pflichten der Staaten gegenüber der internationalen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit (Pflichten erga omnes),