Völkerrecht. Bernhard Kempen
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II. Historische Entwicklung
Der Beginn der Entwicklung des völkerrechtlichen Eigentumsschutzes kann in etwa auf das 18. Jahrhundert datiert werden. In diesem Jahrhundert setzte sich allmählich die Vorstellung durch, dass ein → Staat zwar darüber entscheiden könne, ausländisches Eigentum in seinem Territorium zuzulassen, er aber das einmal zugelassene Eigentum dann respektieren und schützen müsse. Die dogmatische Begründung hierfür legte der Schweizer Völkerrechtler Emer de Vattel (1714 – 1767) in seinem Werk Le droit des gens, ou Principes de la loi naturelle (1758). Vattel argumentierte, dass im Verhältnis der Staaten untereinander das Eigentum der Staatsbürger als Eigentum des jeweiligen Heimatstaates anzusehen sei. Dementsprechend sei ausländisches Eigentum zwar einerseits aufgrund der → Souveränität der Staaten den Rechtsvorschriften des Staates unterworfen, in dem es belegen ist, andererseits bleibe es aber weiterhin ein Vermögenswert des Heimatstaates des Ausländers, der diesem nicht ohne weiteres entzogen werden dürfe. Die Auflösung dieses Konflikts zwischen Anerkennung staatlicher Souveränität einerseits und Schutz staatlichen Eigentums andererseits bestand in der Praxis darin, dass das Recht zur Vornahme von Enteignungen als Teil der staatlichen Souveränität anerkannt wurde, der Staat aber bei einer Enteignung bestimmte Bedingungen einhalten musste. Die wichtigste Bedingung war die Zahlung einer Entschädigung an den Heimatstaat. Die Durchsetzung dieser Rechtslage erfolgte im Wesentlichen im Wege des → diplomatischen Schutzes, in dessen Rahmen auch häufig gemischte Schiedskommissionen zur Entscheidung eingesetzt wurden. Ein frühes Beispiel hierfür ist der Treaty of Amity, Commerce and Navigation between Great Britain and the United States (Jay Treaty) aus dem Jahr 1794, auf dessen Grundlage eine Schiedskommission über gegenseitige Ansprüche aus dem Unabhängigkeitskrieg entschied.
Ein weiteres wichtiges Ereignis im 18. Jahrhundert war die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26.8.1789, in der das Recht am Eigentum als unveräußerliches Menschenrecht anerkannt wurde (s. Art. 2 und Art. 17). Im Fokus stand damit nicht der Schutz ausländischen Eigentums als Teil des Rechtsverhältnisses zwischen den Staaten, sondern der Schutz des Eigentums von Individuen, unabhängig von der Herkunft des Berechtigten.
Der menschenrechtliche Ansatz setzte sich jedoch im 19. Jahrhundert nicht durch, so dass der Fokus im Völkerrecht weiter auf dem Schutz ausländischer Eigentumsrechte lag. Die einzige relevante abweichende Meinung zu der anerkannten Praxis wurde von dem argentinischen Völkerrechtler Carlos Calvo (1824 – 1906) im Rahmen der nach ihm benannten Calvo-Doktrin (→ Fremdenrecht, völkergewohnheitsrechtliches) vertreten. Demnach sollten Ausländer nur die Rechte genießen, die die nationalen Rechtsordnungen auch den Inländern gewährten. Darüber hinausgehende Ansprüche der Staaten auf eine bestimmte Behandlung ihrer Staatsbürger und deren Eigentumsrechte sollten nicht bestehen. Dieser Auffassung folgten insbesondere die lateinamerikanischen Staaten, ohne dass sie sich damit jedoch international durchsetzen konnten.
Wesentliche neue Entwicklungen ereigneten sich dann im 20. Jahrhundert. Zunächst führten die Russische Revolution, die Ausbreitung sozialistischer Wirtschaftssysteme und die Dekolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer ernsthaften Erschütterung der bis dahin anerkannten Rechtspraxis. Die sozialistischen Staaten und die neu entstandenen Staaten bestritten das Bestehen völkerrechtlicher Regeln zum Eigentumsschutz und insbesondere das Bestehen einer Entschädigungspflicht bei Enteignungen. Ein wichtiger Teilaspekt war dabei der Wunsch, die eigene Wirtschaftsordnung frei gestalten zu können, ohne daran von aus der Kolonialzeit stammenden Besitzverhältnissen gehindert zu sein. Die daraus resultierende Debatte wurde im Wesentlichen in der → Generalversammlung der → Vereinten Nationen geführt. Die wichtigsten dort verabschiedeten Resolutionen waren die Resolutionen 3201 und 3202 im Jahre 1974, in denen eine New International Economic Order gefordert wurde, sowie die ebenfalls 1974 verabschiedete Resolution 3281, die eine Charter of Economic Rights and Duties of States enthielt. Die letztgenannte Resolution stellte die Zahlung einer Entschädigung faktisch in das Ermessen des enteignenden Staates.
Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftssysteme entspannte sich der Konflikt innerhalb der Staatengemeinschaft zum Ende des 20. Jahrhunderts jedoch deutlich. Viele Staaten liberalisierten ihre Volkswirtschaften und erkannten dabei die Wichtigkeit des Schutzes privaten Eigentums an. Gegenwärtig dürfte dementsprechend davon auszugehen sein, dass eine Pflicht zum Schutz ausländischen Eigentums im Völkergewohnheitsrecht und insbesondere eine Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung im Falle einer Enteignung weitgehend anerkannt sind. Aufgrund von zwei weiteren Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg hat der gewohnheitsrechtliche Schutz jedoch viel von seiner praktischen Relevanz verloren.
Erstens führten die bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich des gewohnheitsrechtlichen Eigentumsschutzes in den 1950er und 1960er Jahren dazu, dass die Staaten dazu übergingen, den Eigentumsschutz in bilateralen → völkerrechtlichen Verträgen explizit zu regeln. Hierzu wurde das Institut der Investitionsförderungsverträge entwickelt, von denen bis heute mehr als 2.500 Verträge auf bilateraler Ebene abgeschlossen wurden (→ Investitionsrecht, internationales). Der Gegenstand dieser Verträge richtet sich nicht nach dem Begriff des Eigentums, sondern nach dem der Investition bzw. Kapitalanlage. Investitionsförderungsverträge wurden im Wesentlichen zwischen Industriestaaten einerseits und Entwicklungsländern andererseits abgeschlossen. Der scheinbare Widerspruch zu dem Konflikt in der → Generalversammlung kann unter anderem damit erklärt werden, dass die Verträge auf die Zukunft gerichtet sind und von gleichberechtigten Partnern abgeschlossen werden.
Zweitens trat seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges auch der Schutz des Eigentums als Menschenrecht wieder stärker in den Vordergrund. Die → Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 schützt Eigentum in Art. 17. Die in der Folgezeit vereinbarten regionalen Menschenrechtskonventionen in Europa, Amerika und Afrika enthalten ebenfalls eigentumsschützende Bestimmungen. Zu nennen sind hier insbesondere Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, Art. 21 der AMRK und Art. 14 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker (s. unten, V.).
III. Schutz ausländischen Eigentums im Fremdenrecht
Wie bereits eingangs erwähnt, sind die Regeln für den Schutz ausländischen Eigentums im Fremdenrecht nur fragmentarisch. Der Eigentumsbegriff selbst ist nicht klar definiert. Sein konkreter Inhalt muss stets unter Berücksichtigung der jeweiligen nationalen Rechtsordnung ermittelt