Völkerrecht. Bernhard Kempen
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Gegenmaßnahmen dürfen nicht ergriffen werden, wenn das völkerrechtswidrige Verhalten bereits beendet ist und der Verletzerstaat seinen aus dem Rechtsbruch resultierenden Verpflichtungen nachkommt (zu diesen Verpflichtungen gehört auch die Wiedergutmachung des materiellen und immateriellen Schadens, Art. 31, Art. 34 ff.), oder die Streitigkeit vor einem Gericht anhängig ist, das die Befugnis besitzt, ein für die Parteien bindendes Urteil zu fällen. Bereits ergriffene Gegenmaßnahmen müssen in diesen Fällen unverzüglich ausgesetzt werden (Art. 52 Abs. 3). Führt der das Völkerrecht verletzende Staat das Streitschlichtungsverfahren nicht nach Treu und Glauben durch, dann sind Gegenmaßnahmen jedoch wieder zulässig.
2. Berechtigter
Zur Verhängung einer Gegenmaßnahme ist grundsätzlich nur der Staat berechtigt, der selbst in einer sich aus dem Völkerrecht ergebenden Rechtsposition verletzt wird. Handelt es sich bei der verletzten Völkerrechtsnorm um eine solche, die → erga omnes-Pflichten normiert, dann dürfen auch die insoweit nicht unmittelbar betroffenen Staaten Gegenmaßnahmen ergreifen. Die GV-Res. 56/83 zur Staatenverantwortlichkeit räumt in Art. 48 dem Dritten aber lediglich das Recht ein, von dem Verletzerstaat die Einstellung des völkerrechtswidrigen Verhaltens und die Erfüllung seiner Verpflichtung zur Wiedergutmachung zu fordern.
3. Adressat
Gegenmaßnahmen dürfen nur gegen den das Völkerrecht verletzenden Staat und in der Absicht vorgenommen werden, diesen zur Erfüllung der sich aus seiner Völkerrechtsverletzung ergebenden Pflichten zu veranlassen.
III. Grenzen (Repressalienverbot)
Grundsätzlich kommen als Gegenmaßnahmen alle staatlichen Handlungen in Betracht. Art. 50 enthält allerdings eine Auflistung bestimmter Verpflichtungen, deren Beeinträchtigung im Zuge von Gegenmaßnahmen nicht erlaubt ist. Diese Verpflichtungen ergeben sich insb. aus dem → universellen Gewaltverbot (Art. 50 Abs. 1 lit. a), der Verpflichtung zum Schutz fundamentaler Menschenrechte (Art. 50 Abs. 1 lit. b, → menschenrechtlicher Mindeststandard) und den anderen zwingenden Normen des Völkerrechts (Art. 50 Abs. 1 lit. d, → ius cogens), die Werte und Interessen schützen, deren Erhaltung wichtiger ist als das Interesse eines Staates an der Durchsetzung seiner Ansprüche gegenüber dem Verletzerstaat.
Daneben kennt v.a. das humanitäre Völkerrecht besondere Repressalienverbote (vgl. Art. 50 Abs. 1 lit. c), die den Schutz bestimmter Personen – z. B. Zivilpersonen und Kriegsgefangene (vgl. nur Art. 51 Abs. 6 ZP I zu den Genfer Abkommen, Art. 13 Abs. 4 des III. Genfer Abk.) – sowie spezifischer Objekte und Rechtsgüter (vgl. dazu Art. 52 Abs. 1, Art. 53 lit. c, Art. 54 Abs. 4, Art. 55 Abs. 2 ZP I zu den Genfer Abk.) bezwecken.
Zudem sind einzelne Teilbereiche des Völkerrechts als → self contained régime ausgestaltet, was ausnahmsweise zu einer Beschränkung auf die nach dem besonderen Regelwerk zur Verfügung stehenden spezifischen Sanktionsformen führt. Art. 55 erfasst diese Rechtskonstruktion unter dem Aspekt des lex specialis-Grundsatzes. Als self contained régime ist insbesondere das → Diplomatenrecht (Art. 50 Abs. 2 lit. b) anerkannt. Dasselbe gilt für die in Menschenrechtsabkommen enthaltenen rechtsförmigen Streitbeilegungsverfahren (vgl. Art. 50 Abs. 2 lit. a, z. B. Anrufung des → EGMR), die einen Rückgriff auf das allgemeine Recht der → völkerrechtlichen Verantwortlichkeit ausschließen. Eine Anwendung des allgemeinen Repressalienrechts bleibt jedoch bei Subsystemen möglich, die keine umfassenden und abschließenden Regeln zur Staatenverantwortlichkeit enthalten.
IV. Abgrenzung
Die Gegenmaßnahme (Repressalie) ist abzugrenzen von der Retorsion, einem weiteren Mittel der staatlichen Selbsthilfe. Die Retorsion stellt keinen rechtswidrigen, wohl aber einen „unfreundlichen Akt“ dar. Sie setzt mithin kein völkerrechtliches Delikt des Retorsionsadressaten voraus, sondern kann als Reaktion auf jede unfreundliche, also auch völkerrechtskonforme Handlung eines anderen Staates erfolgen. Sie ist deshalb erst recht zulässig, wenn sie darauf gerichtet ist, den anderen Staat zur Beendigung seines völkerrechtswidrigen Handelns zu veranlassen. Retorsionsmaßnahmen sind nicht an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Ein klassisches Beispiel ist der Abbruch der diplomatischen Beziehungen.
G › Generalversammlung (Martin Winkler)
Generalversammlung (Martin Winkler)
I. Zusammensetzung
III. Grundsatz der umfassenden Zuständigkeit
2.Entwicklung sowie Kodifizierung des Völkerrechts
3.Verwirklichung der Menschenrechte
4.Generalversammlung und Friedenssicherung
IV. Organisationsrechtliche Aufgaben
V. Rechtliche Bedeutung der Resolutionen der Generalversammlung
Lit.: