Der Sichelmond. Massimo Longo
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Gaia fiel ihr um den Hals. Helios näherte sich erschöpft und gab ihr höflich einen Kuss auf die Wangen.
Ida war knapp über fünfzig, aber ihre Schönheit war noch nicht verblasst, auch wenn sie nichts tat, um sie hervorzuheben. Sie war mittelgroß und schlank, gut proportioniert, aber ihre Arme und Beine hatten verjüngte straffe Muskeln, die jeder Langstreckenläufer beneiden würde. Das harte Leben auf dem Bauernhof war ihr tägliches Training. Sie hatte blondes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, einen hellen Gesichtseint und wunderschöne grüne Augen, wie die ihres Neffen.
Während Libero aus dem Stall zurück kam, rief er fröhlich:
„Camilla hat ein Mädchen bekommen! Es gibt frische Milch!“
Die Tante lud sie ein, ins Haus zu kommen. Der Tisch war gedeckt und in der Luft lag der Duft vom fertigen Mittagessen. Die Freunde aßen hungrig, Gaia hörte nicht auf, ihrer Tante von den Emotionen der Reise zu erzählen.
Nach dem Mittagessen half Gaia der Tante, die Küche aufzuräumen, während Libero Helios hinter sich her über den Bauernhof schleppte und ihn bat beziehungsweise befahl, ihm bei allen Arbeiten zur Hand zu gehen.
Am Abend erklärte ihnen die Tante, dass sie im Wohnzimmer auf dem Schlafsofa schlafen müssten, bis sie den Dachboden in Ordnung gebracht hätten, der ihr Sommerquartier sein würde.
Gaia eilte hinter ihrer Tante die Treppen hinauf, um den Dachboden zu besichtigen. Helios dagegen war von dieser weiteren schlechten Nachricht schockiert.
Sie stiegen in den ersten Stock, wo sich die Schlafzimmer der Tante, von Libero und Ercole, dem Nesthäkchen der Familie, der im Scout Camp war, befanden. Ida zeigte ihr die Holzleiter, die auf den Dachboden führte. Sie selbst würde nicht hinaufsteigen, sie war zu müde, um rauf und runter zu klettern. Sie war im Laufe des Tages schon mehrmals dort gewesen, um die Fensterläden zu öffnen und das Zimmer zu lüften.
In der Zwischenzeit ging die Tante in ihr Zimmer, um heimlich mit ihrer Schwägerin Giulia zu telefonieren. Sie wollte sie über die Ankunft der Geschwister informieren.
Giulia ließ das Telefon keine zweimal klingeln.
„Hallo meine Liebe, wie geht es dir?“, fragte Ida.
„Gut, danke. Aber jetzt erzähl‘ doch mal, wie ist es gelaufen?“
„Er hat es geschafft, zu Fuß vom Bahnhof bis hierher zu laufen. Er dachte, ich würde sie mit dem Auto abholen. Aber Libero hat ihm als Ausrede erzählt, dass Camilla, unsere Kuh, kalben musste“, lachte Ida.
„Ich hätte ihn zu gern so schweißgebadet gesehen!“
„Nach dem Mittagessen“, wollte Ida weitererzählen, aber Giulia unterbrach sie.
„Er hat etwas gegessen?“
„Ja, er hat die Nudeln und das Fleisch verputzt.“
„Wow! Zu Hause beißt er nur einmal von einem Brötchen ab.“
„Es wird nicht einfach sein, er sag nichts“, sagte Ida. „Aber du wirst sehen, dass wir ihn ein wenig aufbauen werden.“
Im Hintergrund hörte man Carlo Fragen stellen und lachen.
„Fernseher und Videospiele habe ich verschwinden lassen, wenn schon eine Rosskur, dann richtig.“
Helios lag auf dem Sofa und konnte keinen Muskel bewegen. Seit Jahren hatte er sich nicht so viel bewegt.
In der Schule gelang es ihm immer, mit der einen oder anderen Ausrede, die Sportstunde zu schwänzen.
„Helios, komm schon, ruf bitte deine Schwester, ich brauche jemanden, der mir hilft, das Abendessen vorzubereiten“.
Helios traute seinen Ohren nicht, es schien ihm unmöglich, aufzustehen.
Aber die Tante rief mit dem bestimmenden Ton eines Generals, der keinen Widerspruch zuließ:
„Helios, hast du gehört?“
„Ich geh‘ ja schon“, antwortete er und lief mit einem Begräbnisgesicht zur Leiter.
Unter der kleinen Holzleiter angekommen, blieb er stehen und fing an, nach seiner Schwester zu rufen.
Aber trotz der lauten Rufe ihres Bruders antwortete Gaia nicht.
Immer verzweifelter kletterte er die Stufen hinauf. Das Halbdunkel auf dem Dachboden machte ihm Angst. Der Weg erschien ihm Stufe um Stufe immer endloser. Als er den Kopf durch die rechteckige Luke steckte, rief er erneut nach seiner Schwester, aber wieder bekam er nur Schweigen zur Antwort. Er machte sich Mut und stieg auch die letzten Stufen hinauf. Von oben packte etwas seinen Arm.
Helios blieb erstarrt stehen, die Augen geschlossen. Panik breitete sich auf seinem Gesicht aus.
„Ich hab dich!“, rief Gaia, die ihren Bruder in diesem Zustand sah.
„Geh weg, du blöde Kuh, ich hab´ mir Sorgen gemacht, du hättest mir antworten können.“
Gaia ließ sich nicht provozieren und da sie fasziniert von all den Dingen war, die sie gefunden hatte, sagte sie:
„Dieser Dachboden ist voller seltsamer Sachen. Komm, sieh mal hier ...“
Helios stieg auf den Dachboden und folgte seiner Schwester, die alte Fotos durchblätterte.
„Sieh mal, wie komisch er aussieht“, sagte sie und gab ihm die Fotos.
„Was ist daran komisch?“, fragte Helios.
„Wie was?“ erwiderte Gaia, „erkennst du ihn denn nicht?“
„Wen?“, fragte Helios erneut.
„Na, Papa!“, rief Gaia.
„Papa? Du hast recht, so gekleidet hatte ich ihn nicht erkannt, er sieht Libero ähnlich. Der zieht sich genauso an!“
Endlich kam nach langer Zeit ein Lächeln über seine Lippen. Gaia schaute sich inzwischen neugierig die anderen Fotos an.
„Hast du das gesehen? Er sieht aus wie Libero, als er klein war. Er ist so seriös und schmollend, dass man ihn fast nicht wiedererkennt.“
Auf dem Foto konnte man ein Kind sehen, mager, mit einem starren Blick ins Leere, blass und ausdruckslos.
„Er sieht aus, als ob er von Außerirdischen entführt wurde", meinte Gaia.
Das Bild zeigte ihn im Garten, er hielt seine Spielautos fest in der Hand. Das Foto war in der Dämmerung aufgenommen worden, mit dem Sonnenuntergang im Rücken. Neben seinem langen Schatten war ein zweiter Schatten zu sehen, obwohl das Kind allein auf dem Foto war.
Helios starrte das Foto an und bemerkte besorgt:
„Siehst du diesen Schatten?“
„Welchen?“
Helios