Geist & Leben 3/2021. Verlag Echter
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Der Bruch
Durch einen äußeren und sehr brutalen Eingriff war sein bisheriges Leben zerbrochen. Vorher war Iñigo ein „den Eitelkeiten der Welt ergebener“ junger Mann (BP 1), draufgängerisch, ehrsüchtig, stolz. Bei Hof wollte er den Frauen gefallen und seine Karriere als Ritter weitertreiben. Dazu hätte er aber gesund sein müssen und gut aussehen und ein guter Kämpfer sein. Die Kanonenkugel zerbrach ihm alles. Zur Rekonvaleszenz musste er nun zuhause für Monate das Bett hüten. Weil die zersplitterten Knochen schräg abstanden, ließ er sie, vor allem aus Eitelkeit, „operieren“, also absägen – eine fürchterliche Tortur in damaliger Zeit. Zwischenzeitlich war er dem Tod nahe, rief aber den heiligen Petrus an, und am nächsten Tag ging es ihm wieder etwas besser (BP 3). Auf dem langen Krankenlager begann für ihn ein Weg der inneren Umkehr.
Durch den Bruch völlig aus der Bahn geworfen, entstand in ihm eine äußere und innere Leere. In den Monaten des Nichtstuns war er vor die Alternative gestellt: Er könnte sich mit Ablenkungen zerstreuen, die inneren Nöte überspielen und alles daransetzen, möglichst bald in sein altes Leben zurückzukehren, um dieses mit neuer Kraft weiterzuführen. Oder er könnte die Leere aushalten und Neues in sich und in seiner Umgebung suchen und finden, um dann zu neuen Ufern aufzubrechen. Der Bruch war ihm von außen zugefügt worden – die Entscheidung, was er aus ihm machen würde, musste er selbst treffen und verantworten. Die moderne Frage, warum Gott einen solchen Bruch zulasse oder gar zufüge und warum gerade ihm, stellte er nicht. War der Bruch Wille Gottes? War Gott an ihm in irgendeiner Weise beteiligt? Oder war er einfach nur Folge seines letztlich eitlen Draufgängertums, also seiner Sünde? Damals hat man solche Schicksalsschläge wohl eher hingenommen, sie kamen ja noch viel häufiger vor als heute, und man schaute gleich wieder nach vorne: Was ist daraus zu machen? Wohin führt Gott mich durch den Bruch? Was ist jetzt sein Wille für mich? Paradoxerweise habe ich Gottes Willen durch meine freie Entscheidung zu wählen und umzusetzen. Auch die Geduld des Wartens brachte man wohl eher auf – man konnte nicht so viel machen wie heute, war es eher gewohnt, dass das Leben auch leere Zeiten in sich birgt und dass aus diesen Frucht wächst.
Konversion
Iñigo wollte sich mit Ritterromanen zerstreuen, aber es gab keine auf Schloss Loyola. Also las er die Bücher, die er vorfand: Heiligenbiographien und ein dickes Werk über das Leben Jesu2 – auch in den folgenden Entscheidungen ließ er sich damit von außen zumindest anregen. Gut dokumentiert ist sein innerer Weg (BP 6f.): In stundenlangen Tagträumen stellte er sich vor, in sein weltliches Leben zurückzukehren, mit Lust und Freude. Dann kamen ihm, angeregt durch die geistliche Lektüre, andere Fantasien: Er könnte leben wie die Heiligen, arm, als Büßer und Bettler; auch dabei empfand er Lust und Freude. Allerdings stellte er einen Unterschied beider Fantasien fest (BP 8): Bei jener, wie die Heiligen zu leben, blieben Lust und Freude auch nach der Fantasie bestehen, bei jener des weltlichen Lebens fand er sich danach „trocken und unzufrieden“.
Aus diesem Unterschied schloss er, dass es Gottes Wille sei, zu leben wie die Heiligen. Dieser erste Einblick in die „Unterscheidung der Geister“ lehrte ihn, dass ein nachhaltiger Trost, der auch nach der Übung andauert, eher der wahre und göttliche Trost ist. Er entschied sich nun, diesem Signal Gottes zu folgen, und änderte sein Leben. Als er einigermaßen gesund war, brach er von Loyola auf und wurde zum Pilger und Bettler. Eine Konversion und innere Umkehr hatte begonnen, angestoßen durch den Bruch, aber in freier Unterscheidung von ihm selbst ergriffen und umgesetzt. Hätte er ohne den Bruch je einen Anlass und die Muße gehabt, diesen inneren und äußeren Weg zu gehen?
Die weitere Geschichte braucht hier nur angedeutet zu werden3: Nach dem Abschied von seiner Familie verließ er Loyola und kam nach Wochen der Wanderung – mit bleibend schwer beschädigtem Bein – zum berühmten Kloster Montserrat bei Barcelona. Dort legte er eine dreitägige Generalbeichte ab und hielt am 24./25. März 1522, dem Vorabend des Festes Verkündigung des Herrn, eine Nachtwache vor der Schwarzen Madonna, ein altes ritterliches Ritual der persönlichen Übergabe an die Gottesmutter. Er verschenkte, was er besaß, und ging ins nahegelegene Städtchen Manresa, wo er für etwa 11 Monate das Leben eines Bettlers und Beters führte.
Askese und Umkehr
Die innere Umkehr war freilich nach dem Kleiderwechsel noch lange nicht vollendet. In Manresa, gleichsam seinem Noviziat (BP 19ff.), versucht Iñigo durch harte Askese und durch häufiges Beichten sein früheres, als sehr sündig empfundenes Leben loszuwerden und als neuer Mensch zu leben. Das Beichten war skrupulös und es verschaffte ihm lange keine Erleichterung von seinen Schuldgefühlen. Er fastete sehr streng, vernachlässigte sein Äußeres, geißelte sich, betete sieben Stunden am Tag auf den Knien. All das war ein ziemlich verzweifelter Versuch, sich selbst heilig zu machen. Er wurde depressiv und hatte Suizidfantasien. Kein Beichtvater konnte ihm helfen.
Nach einigen Monaten, so berichtet er zurückhaltend, entdeckte er auf wunderbare Weise doch die Barmherzigkeit Gottes (BP 25), die ihm alles schon verziehen und ihn angenommen hatte. Er wurde von seinen Skrupeln befreit, lebte eine maßvollere Askese und fand zu großen Gebetsgnaden. Musste er zuerst durch die Extreme gehen? Lag dieser Irrweg an seiner ins Extreme neigenden Persönlichkeit, oder gehört eine solche Phase zu jedem geistlichen Weg? Sicher waren der Aktivismus und die harte Askese Zeichen eines tiefen Stolzes. Was man wohl festhalten kann: Eine Phase des Leerwerdens, der Abgeschiedenheit und des Verzichtes auf „weltliche“ Erfüllungen gehört zu jeder geistlichen Umkehr dazu. Und es geht nicht ohne Schmerzen, Zweifel, Umwege und viel Geduld. Gnaden werden geschenkt, und man kann weder die Weise noch den Zeitpunkt selbst planen oder durch Aktivität herbeiführen.
Zur Aktualität
Neben allem historischen Gedenken zum 500-jährigen Jubiläum4 lassen sich Bruch und Konversion des Ignatius vielfältig deuten und für spirituelle Wege fruchtbar machen. Einige Anregungen möchte ich geben:
–Spiritualität ist Unterbrechung, rupture: Manchmal kommt von außen ein schwerer Schlag, der weder sinnvoll noch verstehbar zu sein scheint und der – so der Eindruck – mit Gott oder mit dem spirituellen Leben nichts zu tun hat. Man kann ihn als lästige Störung einfach ablehnen und möglichst schnell und billig zu überwinden versuchen. Freilich kann man ihn auch zum Anlass nehmen, in freier Entscheidung die Chance der Neuorientierung zu ergreifen. Wer zwar von außen keinen Bruch abbekommt, sich aber unzufrieden und suchend erlebt, kann die Unterbrechung selbst herbeiführen, indem er für eine bestimmte Zeit aussteigt aus dem Alltag und sich der Leere und dem inneren Werden aussetzt. Auch die Corona-Pandemie kann als Bruch – individuell oder kollektiv – angesehen und ausgewertet werden.
–Spiritualität heißt, Vulnerabilität zu leben: Ein Ritter im Spätmittelalter musste jederzeit damit rechnen, schwer verletzt oder krank zu werden. Heute ist nach einer langen Phase, in der man meinte, mit immer mehr Wissenschaft und Technik den Menschen quasi unverwundbar machen zu können, die Verletzlichkeit neu und schmerzhaft zu Bewusstsein gekommen: etwa durch den Missbrauch von Macht, auch den spirituellen und den sexuellen; durch die Folgen eines starren Wirtschaftsliberalismus für Arme; durch ökonomisch bedingte Flucht oder kriegerische Vertreibung so vieler Menschen in aller Welt; durch neue oder als neu wahrgenommene Pandemien… Vulnerabilität verhindert, dass weltliche Freude als allein erfüllend angesehen wird oder dass Menschen sich durch ihre Macht gottgleich fühlen. Vulnerabilität erschließt die Möglichkeit, Geschöpflichkeit, trotz deren Unvollkommenheit und teilweisen Verderbnis, paradox formuliert, dankbar anzunehmen und sich in einer Notlage oder inneren Leere auf Gott zu werfen.
–Spiritualität