Robins Garten. Marc Späni

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Robins Garten - Marc Späni

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       Marc Späni

      Robins Garten

      Marc Späni

      Robins Garten

       Roman

      orte Verlag

      © 2016 by orte Verlag, CH-9103 Schwellbrunn

      Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen,

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      und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

      Umschlaggestaltung: Janine Durot

      Umschlagbild: iStock, Jacques Palut

      Gesetzt in Arno Pro Regular

      Satz: orte Verlag, Schwellbrunn

      ISBN: 978-3-85830-193-2

      ISBN eBook: 978-3-85830-194-9

       www.orteverlag.ch

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

       HEROLD Auslieferung Service GmbH

       www.herold-va.de

      Prolog

      In der traditionellen chinesischen Gartenkunst ist die ideale Grundstücksform ein Quadrat. Wird dieses gleichmässig in drei mal drei Abschnitte geteilt, ergibt sich ein sogenanntes Ba Gua-Raster. Der Bereich im Zentrum, das Iching oder Tai Chi, symbolisiert die Mitte der Erde beziehungsweise das Zentrum der Lebenskraft des Gartens, den acht äusseren Bereichen werden verschiedene Aspekte des Lebens zugeordnet: Zhen (Familie, auch Gesundheit und das Verhältnis zu Vorgesetzten), Dui (Kinder und Kreativität), Li (Ruhm und Ansehen), Gen (Wissen, Intuition), Xun (Reichtum und Besitz), Kan (Karriere), Kun (Partnerschaft, Liebe und Ehe), und Qian (hilfreiche Freunde und Reisen). Feng Shui, die Lehre von der Gestaltung von Wohnräumen und Gärten, kennt zahlreiche Accessoires wie Statuen, Brunnen, Pflanzen, Bilder und Symbole, mit denen die Funktion des entsprechenden Abschnittes positiv beeinflusst werden kann.

      Seit sich Robin Fahrni, Landwirt, Hobbygärtner und Leiter einer spirituellen Interessengemeinschaft, hinter seinem Bauernhaus einen grossräumigen Feng Shui-Garten angelegt hatte, beschäftigte ihn die Frage, wie es um diese Relation zwischen den neun Bereichen des Gartens und den Aspekten des Lebens bestellt sei. War es so, dass man, indem man sich um einen bestimmten Abschnitt seines Gartens kümmerte, unbewusst diesem Aspekt auch im richtigen Leben mehr Bedeutung zumass? Oder verbarg sich dahinter doch ein ursprünglicheres Prinzip, das seine Wirkung auch dann tat, wenn man die dahinterstehende Lehre nicht kannte?

      Nachdem ihn weder das Studium der Arbeiten von Meister Yap Cheng Hai noch die Pflege des eigenen Gartens einer Antwort näher gebracht hatte, begann Robin Fahrni langsam den Verdacht zu hegen, seine Frage könnte der verräterische Ausdruck einer tiefen Verwurzelung im westlichen Rationalismus sein, den er zeitlebens mit aller Kraft zu überwinden versucht hatte. Ein wahrer Feng-Shui-Meister würde wahrscheinlich nachsichtig lächeln und ihn mit einer dieser Zen-Paradoxien abspeisen: «Erst ist ein Berg ein Berg, dann ist der Berg kein Berg, dann ist der Berg wieder nur ein Berg.» Ja, ja, mit solchen Sprüchen konnte man natürlich auch bei völliger Ahnungslosigkeit sehr, sehr weise erscheinen!

      1.

      Familie, Gesundheit und das Verhältnis zu Vorgesetzten

      Als Edwin Gadze um 11.24 Uhr auf seinem Lesesessel neben der Vitrine mit den historischen Modelleisenbahnen in sich zusammensank und nach fast dreiundachtzig Lebensjahren seinen letzten Atemzug tat, bewegten sich nur wenige hundert Meter von der Seniorenresidenz entfernt fünf graue Gestalten im Schutz von Büschen und Hecken langsam unter der warmen Aprilsonne durch das Gelände. Zuerst tauchte jeweils der Anführer aus seiner Deckung auf, legte einige Meter zurück und begab sich sofort wieder in den Schutz des Buschwerks, einer kleinen Erhebung oder einer Holzbeige, drehte dann den Kopf mit dem verbeulten Helm und der Fliegerbrille zu den anderen und gab mit hochgehaltener Hand Signale. Daraufhin machten sich die vier Männer mit den abgewetzten Lederjacken, den Waffengürteln und Motorradstiefeln in seine Richtung auf, schnell und lautlos wie Eidechsen, mit gesenkten Köpfen, oder in der meditativen Langsamkeit von Schildkröten, eins mit der Umgebung. Zwischendurch verharrten sie minutenlang bewegungslos, in der Hocke oder flach auf den Boden gepresst, den Blick in höchster Konzentration nach vorne gerichtet, umringt von frühen Insektenschwärmen.

      Als der Trupp im Schutz eines Heuschobers innehielt, bevor er den Weg über offenes Gelände in Angriff nahm, einen gepflügten Acker ohne jede Deckung bis zum kleinen Bachlauf gleich unterhalb des japanischen Gartens, war Edwin Gadze bereits achtzehn Minuten tot. Sein Kiefer hing schlaff nach unten, die Zunge war schwer auf die farblose Unterlippe gesunken. Nur die Neuenburger Wanduhr zwischen den Kupferstichen des Landwasserviadukts und des Kehrviadukts von Brusio tickte unbarmherzig durch das geräumige Appartement. Ein Scharfschütze auf dem Balkon hinter dem Toten hätte freie Sicht gehabt, um mit dem Zielfernrohr die fünf Gestalten zu erfassen, die wenige Augenblicke später im Abstand von etwa zehn Metern über den Acker rannten, und genügend Zeit, einen nach dem anderen abzuschiessen, bevor er die schützenden Büsche erreichte.

      Auch der kräftige Mann mit der Glatze und dem Leinenhemd, der nur wenige Meter oberhalb des Baches seinen Bambus zurückschnitt, hätte die schnelle Bewegung wahrnehmen müssen, hätte er nur einen Augenblick seinen Blick auf den Acker statt auf die robusten Bambusstängel gerichtet, hinter denen sich eine ausgedehnte Gartenanlage verbarg mit Fischteichen, Brunnen, Steinfeldern, geschwungenen Wegen und einer kleinen Pergola im Stil eines japanischen Teehauses. Eine kleine, ältere Asiatin fütterte die Karpfen und wandte sich an den Glatzköpfigen, der daraufhin seine Arbeit am Bambus unterbrach. Es vergingen kaum zwei Minuten, in denen sich die fünf Kämpfer mit angehaltenem Atem an die Hecke gepresst hatten, die schmutzigen Motorradstiefel im kleinen Bach. Sobald der Gärtner seinen Platz verliess, zogen sie weiter, lautlos und unsichtbar im Schutz der Hecke, zum Waldrand hoch, wo sie endgültig verschwanden.

      Ein Karpfen sprang aus dem Wasser, eine Kohlmeise huschte durch einen blühenden Ranunkelstrauch, in der Residenz wurde das Mittagessen aufgetragen, die letzten Senioren nahmen ihre Plätze im Speisesaal ein. Edwin Gadzes Wanduhr zeigte 11.57 Uhr und tickte pflichtbewusst weiter, ungerührt vom Ableben ihres Besitzers.

      Im gleichen Augenblick, drei Minuten vor zwölf, trat Florian Walpen aus dem mächtigen Eingang der Versicherung auf den Gehsteig hinaus. Auf der Teufenerstrasse rauschten lange Autokolonnen vom Stadtzentrum Richtung Appenzell und zurück. Der zwanzigjährige Sachbearbeiter wandte sich nach links, blieb dann aber nach einigen Metern vor einer der Fensternischen stehen, die in die Fassade des Jugendstilbaus eingelassen waren, stellte seine Tasche ab und blickte gespannt auf die Glasfront, auf die von innen der Ausschnitt einer Landkarte projiziert wurde. In jeder der zwölf Nischen war ein anderer Kartenausschnitt sichtbar, eine gewöhnliche Landkarte mit Gebäuden, Strassen, Flüssen, Seen, Symbolen für Gaststätten, Aussichtspunkte, Zeltplätze, Burgruinen, Stauwehre, Rebberge oder Seilbahnen. Eine gewöhnliche Landkarte, ausser dass jedes Grundstück und jedes Stückchen Land in einer von siebzehn Farben erschien, in einem Spektrum, das von sattem Rot über Gelb und Grün bis zu dunklem Violett ging. Besonders war auch, dass die Kartenausschnitte auf den zwölf Glasfronten von einem auf Zufallsgeneratoren basierenden Programm in ständig fliessender Bewegung gehalten wurden. Jede zweite Nische war zudem mit einem Bewegungssensor ausgestattet, der es einem Passanten erlaubte, die Steuerung der Projektion selber zu übernehmen:

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