Die Geschichte von der 1002. Nacht / Сказка 1002-й ночи. Книга для чтения на немецком языке. Йозеф Рот

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Die Geschichte von der 1002. Nacht / Сказка 1002-й ночи. Книга для чтения на немецком языке - Йозеф Рот Klassische Literatur (Каро)

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schämte sich der Rittmeister seines erbärmlichen Zurufs. Ich habe wirklich zuviel getrunken, dachte er, oder ich bin von Sinnen.

      Aber er war nicht von Sinnen: er hatte richtig vorausgesehen. Denn es war keineswegs notwendig, dem Geheimen Franz Sedlacek ausführliche Anweisungen zu geben und Einzelheiten zu beschreiben. Er besaß Phantasie genug.

      Weder er noch seine Untergebenen hatten im Laufe einer kurzen Stunde ein Frauenzimmer – oder, wie sich Sedlacek ausdrückte: »eine Person« – ausfindig machen können, die man der Majestät statt der von ihr auserkorenen Dame hätte darreichen können. Es blieb Sedlacek nur übrig: die Mizzi Schinagl aus dem bekannten Hause der Josephine Matzner.

      Eilig hatte er sie den Armen eines alten Försters entrissen und so, wie sie war, im knallroten Kleidchen, das bis zu den Strumpfbändern reichte, im Fiaker mitgenommen. Unterwegs hatte er Zeit genug, sie zu instruieren. »Du darfst den Mund nicht aufmachen«, sagte er. »Wenn er dich fragt, wie du heißt, so sag: Helene. Stell dich patschen an. Du weißt von nix, eine Dame bist du, verstanden? Kannst dich überhaupt noch erinnern, wie’s mit dem ersten war? Streng deinen dummen Schädel an und denk nach! – Mach’s jetzt gleich vor, aber natürlich! Nur das Benehmen, mein’ ich. Ich bin im Dienst. Also?«

      Sedlacek ließ die Kleine im Fiaker, unter aufgeschlagenem Dach. Vor dem einsamen Wagen, der abseitsstand, zehn Meter entfernt von den andern Fiakern, patrouillierte ein Wachmann. Mizzi Schinagl fror.

      Man mußte ihr eine Ballrobe beschaffen, blaßblau, Seide, tief ausgeschnitten, ein Korsett, Perlen und ein Diadem. An alles dachte Sedlacek. Seit einer Viertelstunde schon stöberten seine Leute, vier begabte Männer, im Garderoberaum des Burgtheaters herum. Der Nachtwächter leuchtete ihnen mit der Laterne. Vier nobel gekleidete Gespenster in Fräcken, Stöcke in der Hand, Zylinder auf den Köpfen, rumorten sie mitten zwischen dem nächtlichen, verschlafenen Wirrwarr der theatralischen Requisiten. Alles, was seiden zu sein schien und blaßblauer Farbe war, rafften sie zusammen. Sie hatten die Hosentaschen voll falscher Perlen, funkelnder, feuriger Diademe, künstlicher Blumen, vergißmeinnichtblauer Strumpfbänder, glitzernder Agraffen. Es ging alles sehr schnell, wie sonst nur sehr wenige Angelegenheiten im Staat und in den Ländern zu gehn pflegten. Nur noch eine kurze Weile – und das gefällige Mädchen Schinagl sah für fremde und orientalische Augen beinahe so aus wie eine Dame. Sie wartete in der Garderobe des Hofbeamten zweiter Klasse, Anton Wessely, dessen Tochter Taittinger vor kurzem erst so brüsk hatte verlassen müssen.

      Alles weitere vollzog sich unter Sedlaceks geradezu nobler Leitung und mit Hilfe des wendigen Adjutanten Kirilida Pajidzani. In einem geschlossenen Wagen, dem Sedlacek im Fiaker folgte, brachte man die persische Majestät in das Haus der Frau Matzner. Wenn einer der Stammgäste in jener Stunde zufällig vorbeigekommen wäre, hätte er denken müssen, das Haus, ja die ganze Gasse seien verzaubert. Es schlief das Haus, und es schlief die Gasse, und ausgelöscht waren die Laternen, und ausgelöscht schien die Welt. Nur der teilnahmslose, schmale Ausschnitt des Himmels über den Dächern war wach, und seine silbernen Sterne glitzerten.

      Auch das Innere des Hauses Matzner war nicht wiederzuerkennen. Alle Pensionärinnen saßen eingesperrt in ihren Zimmern. Frau Matzner bewahrte die Schlüssel. In ihrem aschgrauen, hochund festverschlossenen Kleid, mitten in dem Zwielicht, das sie selbst so mühsam hergestellt hatte, dank allerhand Schleiern und Tüchern, damit das allzu gewöhnliche Dekor nicht deutlich zum Vorschein komme, erinnerte sie an ein nach langen Jahren, Jahrhunderten des Todes wieder aufgescheuchtes Gespenst einer verschwiegenen Kammerzofe. Mit einer tiefen Verbeugung empfing sie das ankommende Paar, die Mizzi und die Majestät. Kein Laut war hörbar, und nichts war deutlich sichtbar. Seine Majestät, der Schah, mußte glauben, daß er in eines jener verzauberten okzidentalen Schlösser geraten sei, von denen ihm seine wunschselige Phantasie seit Jahren schon in Teheran so viel versprochen hatte. Der Schah glaubte es in der Tat. Weitaus kindischer noch als etwa ein beliebiger europäischer Christ, der in jenen Jahren nach Persien kam und der die Geheimnisse des sogenannten Orients entdeckt zu haben glaubte, wenn es ihm nur gelungen war, eine der aller Welt offenstehenden Freudenstätten zu sehn, war Seine Majestät in dieser Nacht begeistert von den Geheimnissen des Abendlandes, die er endgültig entschleiert zu haben glaubte. – Es ist also nicht so – sagte er sich in seiner bezauberten Einfalt –, daß hierzulande diese großartigen Frauen lediglich ihren Männern gehören! Zwar gibt es – so sagte er sich weiter – hierzulande keine Harems; aber um wieviel schöner, zauberischer, reizvoller ist die Liebe ohne Harem! … Man kauft die Frau nicht – man bekommt sie sogar geschenkt! Während sie, diese Abendländer, die Tugend predigen, die Monogamie, entschleiern sie ihre Weiber nicht nur – – nein, sie verleihen sie auch!!

      In dieser Nacht war Seine Majestät, der Schah von Persien, überzeugt, daß die Liebeskunst des Abendlandes weitaus raffinierter war als die seiner Heimat. In dieser Nacht genoß er alle jene Wonnen, die einem begierigen Mann die gewohnte, heimische Art der Liebe niemals gewähren kann, sondern die ungewohnte, ungewöhnliche, fremdartige. Die Methoden, die Sedlacek, der Geheime, der Mizzi Schinagl angeraten hatte, kamen dem Herrscher von Persien exotisch vor. Er war eben kein Europäer, er hatte einen Harem, gefüllt von dreihundertfünfundsechzig Frauen. So viele Nächte hat das Jahr. Hier aber im Hause der Josephine Matzner, besaß er nur eine einzige.

      Die ganze Nacht wartete der Sedlacek im Fiaker. Oh! Er war nicht einer von jenen unzuverlässigen, schwachen Charakteren, die imstande waren, etwa einzuschlafen, bevor noch ihr Dienst vollendet war. Im Gegenteil, niemals noch war ihm der Schlaf so fern, niemals noch war sein Auge so wach gewesen! Es war das Gebot seiner Natur. Er hatte keinerlei Rekompensation zu erwarten; keine Auszeichnungen; und kein Avancement. Dunkle Dinge hatte er zu vollbringen, ewig im Geheimen sollten sie bleiben! Nicht auf irgendeinen Lohn wartete er!

      Als der Schah am nächsten Morgen erwachte, fand er neben sich niemanden mehr im Bett. Er sah sich erstaunt, beinahe erschrocken um. Vom dunkelgrünen Baldachin, unter dem er lag, hing an einer geflochtenen Schnur eine Quaste. Sie war sehr schäbig – abgenützt. Er zog an ihr, in der vagen Hoffnung, sie würde wohl irgendwo ein Geräusch verursachen. Er hatte sich keineswegs getäuscht; es war eine Klingel.

      Viele andere Männer hatten sich ihrer schon bedient.

      XI

      Ein gütiger, blauer Morgenhimmel wölbte sich über der Stadt. Der Tau in den Gärten verströmte einen frischen, munteren Duft, der sich mit dem warmen und herben der jungen, neugeborenen Brote und Semmeln in den Körben der Bäckerjungen vermischte.

      Es war ein Frühlingsmorgen von strahlender Lieblichkeit. Der arme Schah sah nichts davon. Er rollte, eher bewacht als begleitet, von zwei aufmerksamen Herren seiner Suite, in einem geschlossenen Wagen durch die lächelnden Straßen. Er war schlechter Laune. Das Abenteuer der letzten Nacht hinterließ in ihm zwar eine angenehme Erinnerung, aber er hatte in seiner gesunden Einfalt an ein feierlich-großes Erlebnis gedacht; geradezu eine Veränderung seines Herzens; seiner Art, zu sehen, zu hören und zu fühlen. Es war, die Wahrheit zu sagen: die Enttäuschung seines Lebens. Er hatte sich eine Art großartiger Feier vorgestellt, und es war nur ein kleines Fest gewesen. Was wußte er jetzt mehr von der europäischen Liebe als vorher? Er liebte die Stadt nicht mehr, wie noch gestern abend. Überhaupt erschien ihm der vergangene Abend wie ein glänzendes Blendwerk. Je länger die Fahrt dauerte, je strahlender der Tag heranreifte, desto stärker verdüsterte sich die Seele der Majestät, und desto größer wurde ihre Bitterkeit. Er erinnerte sich an die weisen Worte seines Obereunuchen, der ihm gesagt hatte, daß die Lust und die Neugier nur Täuschung seien. Er hatte sehr viel Bitterkeit im Herzen und auch eine Art Sehnsucht nach Reue. Es ist ihm ähnlich zumute wie einem Knaben, der vor einer Stunde sein neuestes Spielzeug zerbrochen hat.

      Zu seinen Begleitern sprach er kein Wort. Wenn überhaupt irgend etwas, so hätte er am liebsten sagen mögen, daß zum Beispiel die Welt, die vor einigen Stunden noch so reich gewesen war, jetzt plötzlich leer geworden sei. Aber schickte sich das für ihn, den Herrn und den Schah?

      Den Obereunuchen

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