Die Geschichte von der 1002. Nacht / Сказка 1002-й ночи. Книга для чтения на немецком языке. Йозеф Рот

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Die Geschichte von der 1002. Nacht / Сказка 1002-й ночи. Книга для чтения на немецком языке - Йозеф Рот Klassische Literatur (Каро)

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– – es ist hierzulande sehr langsam!«

      »Heute!« sagte der Schah, dem nichts von dem, was er befohlen hatte, unausführbar erschien.

      »Heute!« bestätigte der Minister.

      Der Tanz war eine Weile unterbrochen. Der Herr und der Diener begaben sich würdig und langsam zu ihren Plätzen zurück. Der Kaiser lächelte ihnen freundlich entgegen. Die Musik setzte wieder ein. Der Tanz begann aufs neue.

      Vor Mitternacht erhoben sich die Majestäten. Sie verschwanden, die doppelflügelige Tür hinter den Thronsesseln verschlang sie. Der Schah wartete in einem Nebenraum. Ihm gegenüber und so, daß er sie genau betrachten kann, steht eine Diana aus Silber auf einem schwarzen, runden Brett. Sie scheint ihm das getreue Abbild der begehrten Frau zu sein. Alles in diesem Raum erinnert überhaupt an die begehrte Frau: der dunkelblaue Diwan, die seidene, blaßblaue Tapete, der Flieder in der schlankhalsigen Majolikavase, der kristallene Lüster sogar, der wunderbare Schwung des vierfüßigen Leuchters mit den vier schlanken Ärmchen und das silberne Ornament auf dem tiefblauen, samtenen Teppich zu Füßen des Herrn von Persien. Man wartet, man wartet! Und der Schah ist nicht gewohnt zu warten.

      Er muß leider warten. Kaum zwanzig Meter von ihm entfernt, findet eine Konferenz statt, deren Teilnehmer sind: der Großwesir, der Hofzeremonienmeister und der Adjutant Seiner Majestät. Man beschließt, auch den Polizeipräsidenten herbeizurufen. Und man sieht trotzdem keinen Ausweg: der Großwesir möchte seinen Freund, den Adjutanten Kirilida Pajidzani, zur Seite haben, er wird ihn suchen lassen, er läßt ihn schon suchen. Man findet ihn nicht, den jungen, lebenslüsternen, schönen Pajidzani.

      Was steht zur Debatte? Es handelt sich darum, ob man die Gesetze des Anstands oder ob man die Gesetze der Gastfreundschaft verletzen darf.

      Der Hofzeremonienmeister lehnte mit würdiger Entschiedenheit ab; der Adjutant des Kaisers ebenfalls. Es war selbstverständlich. Es kam für keinen von den beiden Herren in Betracht, etwa Seine Majestät in Kenntnis zu setzen von dem sonderbaren Wunsch des hohen Gastes. Aber es kam auch nicht in Betracht, dem hohen Gast einen Wunsch zu verweigern.

      Der Polizeipräsident sagte schließlich, daß man einen geeigneten Mann finden müsse, einen vom privaten Festkomitee. Und kaum war das Wort vom »privaten Festkomitee« gefallen, als der Hofzeremonienmeister den Namen Taittinger ausrief.

      Man beschloß, eine Pause eintreten zu lassen. Zwei Herren begaben sich in den blauen Raum zum wartenden Schah. Er saß würdig in seinem Sessel, spielte mit seinem Perlenarmband und fragte nur: »Wann?« – »Es handelt sich nur darum«, log der Großwesir, »die Dame zu finden. Im Gewirr des Festes ist sie verschwunden. Wir suchen sie mit allen Kräften.«

      »Mit allen Kräften« suchte man indessen nicht die vom Schah ersehnte Dame, sondern den Taittinger.

      Der Schah winkte mit der Hand, er sagte nur: »Ich warte!«

      Es war Geduld und Nachsicht, aber auch Drohung in der Stimme der Majestät.

      Einer der mondänen Spitzel, deren Aufgabe es war, das Gehn und Kommen, die Sitten und Gewohnheiten, die Unsitten und die Unarten und die Freundschaften und die Beziehungen der Herrschaften zu beobachten, meldete dem Polizeipräsidenten, daß sich der Baron Taittinger seit einer Stunde im Vestibül befinde, in der Kammer des Lakaien, beschäftigt mit der Tochter Wesselys, des Kommandierenden der Garderoben. Der Polizeipräsident ging unverzüglich an den angegebenen Ort. Der zur besonderen Verwendung abkommandierte Rittmeister erhob sich, als es klopfte. Er ging zur Tür. Er fürchtete sich keineswegs etwa vor der Schande, auf einer jener Missetaten ertappt zu werden, die nicht nur selbstverständlich waren, sondern sogar geboten erschienen: es handelte sich ihm darum, vor der Welt zu verbergen, daß er sich mit der Wessely abgab, der Tochter des Garderobemeisters. Er wußte nicht, der arme Taittinger, daß der Geheime Vondrak ihn längst schon beobachtete.

      Taittinger richtete seine Bluse und ging zur Tür. Er erkannte den Polizeipräsidenten, schloß daraus, daß man bereits von der kleinen Wessely wußte, und bemühte sich infolgedessen auch gar nicht mehr, die Tür hinter sich zuzuziehn, als er in den Korridor trat.

      »Baron, ich bitte Sie, sofort!« sagte der Polizeipräsident.

      »Servus!« rief Taittinger zur offenen Tür hinein der Wessely zu.

      Er fragte, während er neben dem Polizeipräsidenten die flachen Stufen emporstieg, nicht, warum man ihn gerufen hatte. Er ahnte schon, daß es sich um eine äußerst schwierige Angelegenheit handeln würde, eine Angelegenheit im Zusammenhang mit seiner Verwendung.

      Ja, nicht umsonst hatte man ihn seinerzeit abkommandiert. In gewöhnlichen Situationen versagte er vielleicht; in außergewöhnlichen funktionierte seine Phantasie. Dort, wo die drei Herren entgeistert und ratlos waren, im kleinen Zimmer, erschöpft vom Nachdenken, bleich aus Furcht, beinahe krank vor Ratlosigkeit, erschien der Rittmeister Taittinger munter wie ein junger Wind. Und nachdem ihm die andern in ängstlich geflüstertem Französisch ihre Sorgen erzählt hatten, rief er, wie gewöhnlich, als säße er beim Tarock, in seinem ärarischen Deutsch, das an alle Kronländer der Monarchie gleichzeitig zu erinnern schien: »Aber meine Herren! Das ist ja sehr einfach!«

      Alle drei horchten auf.

      »Es ist sehr einfach!« wiederholte Taittinger. Im Nu, in der gleichen Sekunde, in der er gehört hatte, daß es sich um die Gräfin W. handelte, war in ihm ein ihm bis dahin noch fremd gewesener Haß erwacht, eine Art erfinderischer Rachsucht, einer äußerst erfinderischen, einer phantasiereichen, einer geradezu dichterischen Rachsucht. Sie sprach aus ihm: »Meine Herren!« sagte er. »Es gibt viele, unzählige, es gibt unzählige Frauen in Wien! Seine Majestät, der Schah – ich will nicht sagen, daß er einen schlechten Geschmack hat, im Gegenteil, ganz im Gegenteil! Aber Seine Majestät hat begreiflicherweise niemals Gelegenheit gehabt zu erfahren, was es für – für – sagen wir, Annäherungen gibt.«

      Er dachte an sich und selbstverständlich an Mizzi Schinagl. Es schien ihm auf einmal – und zum erstenmal in seinem unbeschwerten, leichtfertigen Leben schien es ihm, daß er Herz und Seligkeit für immer verloren habe. Ein unerklärlicher Haß gegen die Gräfin W. ergriff ihn, und es erfüllte ihn der ihm selbst noch weniger erklärliche Wunsch, der Schah möchte sie wirklich besitzen. Eine nie gekannte Wirrnis wütete in seiner Seele: während er noch wünschte, die Frau, die er geliebt hatte und die er in diesem Augenblick aufs neue zu lieben glaubte, möchte schändlicherweise dem Perser ausgeliefert werden, begehrte er auch schon und im gleichen Augenblick, diesen schimpflichen Vorgang um jeden Preis zu vermeiden. Er erfuhr plötzlich, daß er immer noch unglücklich liebte; daß er rachsüchtig war – aus unglücklicher Liebe; daß er aber zugleich den Gegenstand seiner Rachsucht und seiner Liebe zu bewahren hatte, als gehörte er ihm allein; daß er nicht einmal die Doppelgängerin der geliebten Frau, die Schinagl nämlich, ausliefern durfte; und daß er dennoch, auf einem Umweg zwar, aber dennoch, verraten, verkaufen, beschämen und beschimpfen müßte.

      »Es ist leicht, meine Herren«, sagte er, und während er dieses aussprach, schämte und freute er sich zugleich, »es ist leicht, Doppelgänger im Leben zu finden. Fast jeder von uns – nicht wahr, meine Herren? – hat einen. Die Damen haben Doppelgängerinnen, warum auch nicht? Die Damen haben Doppelgängerinnen – nun, sagen wir: auch unter den kasernierten Damen. Der Herr Polizeipräsident wird wissen, was ich meine! – Dadurch ersparen wir uns sehr viel Ärger. Ich meine, wir ersparen uns eine äußerst peinliche, um nicht zu sagen: penible Belästigung Seiner Majestät, alle Ratlosigkeit, alle Unfreundlichkeit.« Er hielt »penibel« für stärker als »peinlich«.

      Die Herren verstanden im Nu, um was es sich handelte. Sie sahen nur, ein wenig besorgt, den Großwesir an, der aber sein konstantes, höfliches Lächeln nicht aufgab. Er wollte – man begriff es – nicht zugeben, daß auch er verstanden hatte. Auch er bewunderte die

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