Die Geschichte von der 1002. Nacht / Сказка 1002-й ночи. Книга для чтения на немецком языке. Йозеф Рот

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Die Geschichte von der 1002. Nacht / Сказка 1002-й ночи. Книга для чтения на немецком языке - Йозеф Рот Klassische Literatur (Каро)

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Keusches und zugleich unsagbar Sündhaftes, es war ein Versprechen, das man nicht zu halten gedachte. Lauter unverschlossene Türen, die man nicht öffnen kann, dachte der Herr von Persien, der mächtige Besitzer des Harems. Jede also halboffene und gleichzeitig abgesperrte Frau, jede einzelne, war lockender als ein ganzer Harem, angefüllt mit dreihundertfünfundsechzig rätsellosen, geheimnislosen, gleichgültigen Leibern. Wie unergründlich mußte die Liebeskunst der Abendländer sein! Welch vertrackte Raffiniertheit, die Gesichter der Frauen nicht zu verhüllen! Was gab es in der Welt, das geheimer und entblößter zugleich sein konnte als das Antlitz einer Frau! Ihre halbgesenkten Augenlider verrieten und verbargen, versprachen und verwehrten, enthüllten und verweigerten. Was war der Glanz der Diademe, die sie im Haar trugen, gegen den schwarzen, braunen, blonden Glanz dieser ihrer Haare selbst, und wieviel Farbentönungen gab es innerhalb dieser Farben! Dieses Schwarz war blau wie eine Hochsommernacht und jenes hart und matt wie Ebenholz; dieses Braun war golden wie der letzte Gruß des versinkenden Abends und jenes rötlich wie das edle Ahornblatt im späten Herbst; dieses Blond war heiter und leichtfertig wie der Goldregen im Frühlingsgarten und jenes matt und silbrig wie der erste Reif einer frühen Morgenstunde im Herbst. Und zu denken, daß jede einzelne dieser Frauen einem einzigen Mann gehörte oder bald angehören würde! Jede einzelne ein behüteter Edelstein!

      Nein! Daran wollte der Schah in diesem Augenblick nicht denken. Peinliche, schädliche Einfälle! Er war nach Europa gekommen, um das Einzige zu genießen, um das Vielfältige zu vergessen, das Gehütete zu rauben, das hier herrschende Recht zu brechen, einmal nur, ein einzigesmal der Wollust des unrechtmäßigen Besitzes teilhaft zu werden und die ganz besondere, raffinierte Art der Europäer, der Christen, der Abendländischen auszukosten. Als der Tanz begann – es war zuerst eine Polka –, verwirrten sich seine Sinne vollends. Er schloß sekundenlang seine großen, schönen, goldbraunen, unschuldsvollen Rehaugen, er schämte sich selbst der Gier und der Neugier, die er in ihnen leuchten wußte. Alle gefielen ihm. Aber nicht das Geschlecht begehrte er. Er hatte Heimweh nach der Liebe, das ewige männliche Heimweh nach der Vergötterten, der Göttlichen, der Göttin, der Einzigen. Alle Freuden, die ihm das Geschlecht der Frauen gewähren konnten, hatte er ja bereits genossen. Ihm fehlte nur noch eins: der Schmerz, den nur die Einzige bereiten kann. Er schickte sich also an zu wählen. Immer mehr von den Frauen im Saal schied er aus. Bei der und jener glaubte er, mehr oder weniger verborgene Fehler entdeckt zu haben. Es blieb schließlich eine, die Einzige: es war die Gräfin W. Alle Welt kannte sie.

      Blond, hell, jung und mit jenen Augen begnadet, von denen man sagen könnte, sie seien eine merkwürdige Art von Veilchen mit Vergißmeinnichtblick, war sie seit drei Jahren, seit ihrem ersten Ball, der Gesellschaft eine Augenweide, den Männern ein ebenso begehrtes wie verehrtes Wesen. Sie gehörte zu jenen Mädchen, die in den längstvergangenen Tagen ohne jedes andere Verdienst als das der Anmut Verehrung genossen und Anbetung erwarben. Man sah ein paar ihrer Bewegungen, fühlte sich reich beschenkt und war überzeugt, daß man ihr Dank schuldig sei.

      Sie war ein spät gezeugtes Kind. Ihr Vater konnte schon zu den greisen Dienern der Monarchie gezählt werden. Er lebte einsam und lediglich seiner Mineraliensammlung ergeben auf seinem Gut in Parditz in Mähren. Manchmal vergaß er Frau und Tochter. In einer jener Stunden, in denen er gerade einen recht seltenen Malachit von einem Freund aus Bozen zugeschickt erhalten und seine Familie völlig vergessen hatte, ließ sich ein ihm unbekannter Sektionschef vom Finanzministerium melden. Es war der Graf W. Es war keineswegs, wie der Alte schon gehofft hatte, etwa ein Liebhaber von Mineralien, sondern lediglich der seiner Tochter. Jeden gewöhnlichen Quarzstein hätte der alte Herr von Parditz wenigstens durch die Taschenlupe betrachtet. Den jungen Mann aber, der seine Tochter begehrte, sah er nur einen Augenblick durch das Lorgnon an. »Bitte!« sagte er ohne weiteres, »werden Sie glücklich mit Helene.«

      Die junge Frau liebte ihren Mann, obwohl sie eine manchmal süße, zuweilen lästige Erinnerung an den charmanten, zu besonderer Verwendung abkommandierten Baron Taittinger behalten hatte. Damals, als sie noch ein Mädchen gewesen war und obwohl sie einen durchaus gerechten Blick für all seine Vorzüge gehabt hatte – sogar, wenn er sprach, schien es, als ob er tanzte –, war er ihr in dem Maße gefährlich erschienen, daß sie eines Tages begann, ihm mit frostiger Laune zu begegnen. Der arme Taittinger hatte zwar Phantasie genug, um sich einzubilden, daß er heftig und rettungslos verliebt sei, aber nicht so viel Ausdauer, wie in jenen Tagen dazu gehört hätte, das übliche Resultat heftiger Liebesbemühungen abzuwarten. Er war ein Kavallerist, zur besonderen Verwendung abkommandiert, hochmütig auch und, besonders nach einer Stunde mit dem Mädchen, in der es ihm gesagt hatte, er möge vorläufig gehn und sie sei nicht aufgelegt, mit ihm noch weiter zu sprechen, vollkommen überzeugt, daß es viele solcher Mädchen schließlich gäbe und daß seine Ehre auch etwas wert sei und vielleicht mehr.

      Es war also, wie er sich sagte, endgültig, »ein Bruch«, und dies machte ihn dermaßen »melancholisch«, daß er sich eines Tages entschloß, zu Fuß durch Sievering zu wandern. Was kümmerte ihn Sievering? Es war noch schlimmer als langweilig: es war nämlich »fad«. Einen Tag später allerdings war es »charmant« geworden. – Das kam von der Mizzi Schinagl.

      VII

      Leider liegen die Tage, in denen unsere Geschichte spielt, schon so weit zurück, daß wir nicht mehr mit Sicherheit festzustellen vermögen, ob der Baron Taittinger recht hatte, als er der Meinung war, die Mizzi Schinagl sehe aus wie eine Zwillingsschwester der Gräfin W.

      Er hatte, traurig und geradezu verzweifelt durch Sievering schlendernd, den lächerlichen Entschluß gefaßt, eine Tonpfeife zu kaufen. Und er trat in den Laden des Alois Schinagl ein. Er war darauf vorbereitet gewesen, einen älteren, würdigen Mann im Laden vorzufinden.

      Die Tür hatte eine grelle Alarmglocke. Auch sie überraschte den Baron Taittinger nicht. Wohl aber überraschte, ja erschreckte es ihn, daß statt des alten Pfeifenhändlers, den er erwartet hatte, ein Wesen hinter dem Ladentisch erschien, das er bereits sehr wohl zu kennen glaubte: wenn es nicht die Gräfin W. persönlich war, so war es gewiß ihre Schwester. Er beschloß zuerst, längere Zeit die Pfeifen zu prüfen, von denen er allerdings gar nichts verstand.

      Es waren lächerliche Pfeifen und lächerliche Preise. Während er vorgab, die Pfeifen zu prüfen, jede einzelne an den Mund führte, durch jede hindurchblies – so wie er es einmal gesehn zu haben glaubte, als er seinen gottseligen Herrn Papa, den alten Hofrat Taittinger, zum Pfeifenkaufen in Olmütz begleitet hatte –, beobachtete er verstohlen, aber inbrünstig das zarte Gesicht der Doppelgängerin. Ja, kein Zweifel, sie sah aus wie die Gräfin W.: das gleiche Veilchenauge mit dem Vergißmeinnichtblick; der gleiche Haaransatz über der niederen Stirn; der gleiche aschblonde Knoten im Nacken – man sah ihn, sooft sich das Mädchen umwandte, um nach neuen Pfeifen auf den Regalen an der Wand zu suchen; der gleiche Augenaufschlag und das gleiche süße und zugleich mokante Lächeln; die gleichen scharfen Eckzähne, die sich bei jedem Lächeln enthüllten; die gleichen Handbewegungen und die gleichen lieben Grübchen an den Armen, zu beiden Seiten der Ellenbogen.

      Die goldenen Knöpfe der Rittmeister-Uniform verbreiteten einen immer stärkeren Glanz im Laden, je tiefer der Abend wurde. Man hätte noch ganz deutlich die Pfeifen sehen können, aber dem Mädchen, der Doppelgängerin der Gräfin W., wurde es unbehaglich, allein, wie sie war mit dem fremden Offizier, und sie entzündete den Rundbrenner über dem Pult, rechts vom Verkaufstisch. Das Licht flackerte und blakte zuerst. Taittinger kaufte fünfzehn nutzlose Tonpfeifen. Er fragte noch: »Was ist eigentlich Ihr Herr Vater, liebes Fräulein?«

      »Der Ofensetzer Alois Schinagl!« sagte das Mädchen. »Pfeifen macht er auch, aber nur nebenbei. Aber die meiste Kundschaft sind halt die Leut’, die Öfen brauchen. Zu uns kommt selten einer ins Geschäft, Pfeifen haben die Leut’ alle eh schon.«

      »Ich komme«, sagte der Baron Taittinger, »morgen noch einmal. Ich brauche viel Pfeifen.«

      Er kam am nächsten Tag mit dem Diener, und er kaufte nicht weniger als sechzig Pfeifen.

      Drei

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