Der Talisman. Posse mit Gesang in drei Akten. Johann Nestroy
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TITUS. Mehr dumm als abscheulich. Die Natur gibt uns hierüber die zarteste Andeutung. Werfen wir einen Blick auf das liebe Tierreich, so werden wir finden, dass die Ochsen einen Abscheu vor der roten Farb haben, und unter diesen wieder zeigen die totalen Büffeln die heftigste Antipathie – welch ungeheuere Blöße also gibt sich der Mensch, wenn er rote Vorurteile gegen die rote Farb zeigt!
SALOME. Nein, wie Sie g’scheit daherreden! Das sähet man Ihnen gar nit an.
TITUS. Schmeichlerin! Dass ich dir also weiter erzähl über mein Schicksal! Die Zurückstoßung meines Herrn Vetters war nicht das einzige Bittere, was ich hab schlucken müssen. Ich hab in dem Heiligtum der Lieb mein Glück [19]suchen wollen, aber die Grazien haben mich für geschmackswidrig erklärt. Ich hab in den Tempel der Freundschaft geguckt, aber die Freund sind alle so witzig, da hat’s Bonmots g’regnet auf mein’ Kopf, bis ich ihn auf ewige Zeiten zurückgezogen hab. So ist mir ohne Geld, ohne Lieb, ohne Freundschaft meine Umgebung unerträglich word’n; da hab ich alle Verhältnisse abg’streift, wie man einen wattierten Kaput auszieht in der Hitz, und jetzt steh ich in den Hemdärmeln der Freiheit da.
SALOME. Und g’fallt’s Ihnen jetzt?
TITUS. Wenn ich einen Versorgungsmantel hätt, der mich vor dem Sturm der Nahrungssorgen schützet –
SALOME. Also handelt es sich um ein Brot? Na, wenn der Herr arbeiten will, da lasst sich Rat schaffen. Mein Bruder is Jodel hier, sein Herr, der Bäck, hat eine große Wirtschaft, und da brauchen s’ ein’ Knecht –
TITUS. Was? Ich soll Knecht werden? Ich? Der ich bereits Subjekt gewesen bin?
SALOME. Subjekt? Da hab’n wir auch ein’ g’habt, der das war, der is aber aufm Schub fort’kommen.
TITUS. Warum?
SALOME. Weil er ein schlechtes Subjekt war, hat der Richter g’sagt.
TITUS. Ah, das is ja nit so. Um aber wieder auf deinen Brudern zu kommen – (auf den Brotlaib, den Salome trägt, deutend) hat er dieses Brot verfasst?
SALOME. G’wiss war er auch dabei, wie der Laib – natürlich als Jodel.
TITUS. Ich möcht doch sehen, wie weit es dein Bruder in dem Studium der Brotwissenschaft gebracht hat.
SALOME. Na, kosten Sie’s! Es wird Ihnen aber nicht [20]behagen. (Sie schneidet ein sehr kleines Stück Brot ab und gibt es ihm.)
TITUS (essend). Hm – es ist –
SALOME. Mein’ Ganseln schmeckt’s wohl, natürlich, ’s Vieh hat keine Vernunft.
TITUS (für sich). Der Stich tut weh: Mir schmeckt’s auch.
SALOME. Na, was sagen S’? Nit wahr, ’s is schlecht?
TITUS. Hm! Ich will deinen Brudern nicht so voreilig verdammen. Um ein Werk zu beurteilen, muss man tiefer eindringen. (Nimmt den Brotlaib und schneidet ein sehr großes Stück ab.) Ich werde prüfen und dir gelegentlich meine Ansichten mitteilen. (Steckt das Stück Brot in die Tasche.)
SALOME. Also bleiben S’ doch noch ein’ Zeit da bei uns? Das is recht! Den Stolz muss man ablegen, wenn man nix hat! Und ’s wird Ihnen recht gutgehn da, wenn Ihnen nur der Bäck aufnimmt.
TITUS. Ich hoffe alles vom Jodel seiner Protektion.
SALOME. Es wird schon gehn. (Nach links in den Hintergrund sehend und erschreckend.) Sie, da schaun S’ hin!
TITUS (hinsehend). Das Pirutsch? – ’s Ross lauft dem Wasser zu – Million, alles is hin! (Rennt im Hintergrund links ab.)
Neunte Szene
Salome allein.
SALOME. Er wird doch nicht gar? – Er rennt hin – wenn ihm nur nichts g’schicht – er packt ’s Pferd – ’s reißt ihn nieder! – (Aufschreiend.) Ah! ’s Pferd steht still – er hat’s [21]aufg’halten – das is a Teuxelsmensch! Ein Herr steigt ausm Wagen – er kommt daher mit ihm. Ah, das muss ich gleich dem Bäcken erzählen! Wenn er das hört, nimmt er den Menschen g’wiss! (Läuft rechts ab.)
Zehnte Szene
Monsieur Marquis. Titus.
MARQUIS. Ah! Der Schreck steckt mir noch in allen Gliedern.
TITUS. Belieben sich da ein wenig niederzusetzen!
MARQUIS (sich auf eine Steinbank setzend). Verdammter Gaul, ist in seinem Leben noch nicht durchgegangen!
TITUS. Belieben vielleicht eine Verrenkung zu empfinden?
MARQUIS. Nein, mein Freund.
TITUS. Oder belieben vielleicht sich einen Arm gebrochen zu haben?
MARQUIS. Gott sei Dank, nein!
TITUS. Oder belieben vielleicht eine kleine Zerschmetterung der Hirnschale?
MARQUIS. Nicht im Geringsten – auch hab ich mich bereits erholt, und nichts bleibt mir übrig, als Ihnen Beweise meines Dankes –
TITUS. Oh, ich bitte –!
MARQUIS. Drei junge Leute standen da, die mich kennen, die schrien aus vollem Halse: »Monsieur Marquis! Monsieur Marquis! Der Wagen stürzt ins Wasser!«
TITUS. Was? – Ein’ Marquis hab ich gerettet? – Das is was Großes!
[22]MARQUIS (in seiner Rede fortfahrend). Aber hilfreiche Hand leistete keiner! Da kamen Sie als Retter herbeigeflogen –
TITUS. Allgemeine Menschenpflicht!
MARQUIS. Und gerade im entscheidenden Moment –
TITUS. Besonderer Zufall!
MARQUIS (aufstehend). Ihr Edelmut setzt mich in Verlegenheit. Ich weiß nicht, wie ich meinen Dank – mit Geld lässt sich so eine Tat nicht lohnen –
TITUS. Oh, ich bitt, Geld ist eine Sache, die –
MARQUIS. Die einen Mann von solcher Denkungsart nur beleidigen würde!
TITUS. Na, jetzt, sehen Sie – das heißt –
MARQUIS. Das heißt den Wert Ihrer Tat verkennen, wenn man sie durch eine Summe aufwiegen wollte.
TITUS. Es kommt halt drauf an –
MARQUIS. Wer eine solche Tat vollführt! Es hat einmal einer – ich weiß nicht, wie er geheißen hat – einem Prinzen – ich weiß nicht, wie er geheißen hat – das Leben gerettet; der wollte ihn mit Diamanten lohnen, da entgegnete der Retter: »Ich finde in meinem Bewusstsein den schönsten Lohn!« Ich bin überzeugt, dass Sie nicht weniger edel denken als der, wo ich nicht weiß, wie er geheißen hat.
TITUS. Es gibt Umstände, wo der Edelmut –
MARQUIS.