ad Hannah Arendt - Eichmann in Jerusalem. Werner Renz
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Den nachfolgenden Vernehmungen, zunächst von zwei Angehörigen der Israel-Polizei7 und einem Historiker (Salo Baron), sodann von sogenannten »Hintergrundzeugen« (EJ, S. 269) und Überlebenden, galt Arendts Interesse in geringem Maße. Kaum eine Vernehmung scheint sie beeindruckt zu haben. Eine der wenigen Ausnahmen war die Aussage von Zyndel Grynszpan (EJ, S. 271–273), dessen Sohn Herschel 1938 in Paris das Attentat auf den Botschaftsmitarbeiter Erich vom Rath verübt hatte.8 Nicht jede Sitzung scheint Arendt überdies im Gerichtssaal präsent gewesen zu sein.9 Am 5. Mai 1961, nach 17 im Gericht verbrachten Tagen, reiste sie recht unverrichteter Dinge ab.10 29 von insgesamt 121 Gerichtssitzungen11 (Sessions) hatte sie besucht und 38 von insgesamt 110 Zeugen12 gehört. Private Planungen hatten Vorrang gegenüber einer möglichen Fortsetzung der Prozessbeobachtung.13
Eichmann war bis zu Arendts Abreise noch nicht zu Wort gekommen. Sein bei jedem der 15 Anklagepunkte in der 6. Gerichtssitzung vorgetragener Satz »Im Sinne der Anklage nicht schuldig«14 war die längste Verlautbarung des strammstehenden Angeklagten im Glaskasten.15 Vom Tonband des Polizeiverhörs war er allerdings während der Vernehmung von Avner Werner Less (1916–1987) ausführlich zu hören gewesen.16
Eichmann kam erst nach dem Ende der Beweisaufnahme ausführlich zu Wort.17 Seine Befragung im Zeugenstand durch seinen Verteidiger nahm 14 Sitzungen in Anspruch. Das Kreuzverhör durch die Anklagevertretung dauerte noch eine Sitzung länger. Auf zwei Sitzungen beschränkten sich die drei Richter bei ihrer Befragung.18 Aus Sicherheitsgründen hatte das Gericht auf Antrag der Anklagevertretung beschlossen, dass Eichmann in seiner Glaskabine verblieb und nicht im ungeschützten Zeugenstand Platz nahm.
Nur zu Beginn von Eichmanns Einvernahme durch seinen Rechtsbeistand war Arendt nochmals für wenige Tage (20. bis 22. Juni 1961, drei Gerichtssitzungen) nach Jerusalem zurückgekehrt, um »Eichmann on the witness stand zu sehen«.19
Festzustellen ist mithin, dass Arendt, gleich dem Historiker, nicht aber dem genuinen Gerichtsreporter, weitgehend über ein papierenes Wissen von Eichmann und seinem Prozess verfügte, auch wenn anzunehmen ist, dass sie die Fernsehberichterstattung über den Prozess in den USA verfolgte. Unrichtig will es deshalb scheinen, von der »Arendtschen Augenzeugenschaft«20 bzw. von »Augenzeugen-Geschichtsschreibung«21 zu sprechen.
Die drei Sitzungen, in denen Arendt im Juni 1961 Eichmann bei seiner Vernehmung durch seinen Verteidiger »erlebte«, haben schwerlich ausgereicht, sich ein Bild von dem Angeklagten in natura zu machen.22 »Mitangehört« (EJ, S. 100) hat sich Arendt, wie dargelegt, nur rund ein Viertel der Gerichtsverhandlung, »beigewohnt […] der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit« (EJ, S. 300)23 hat sie während des Kreuzverhörs durch Anklagevertretung und Gericht gerade nicht. Zurecht bemerkte deshalb Deborah Lipstadt: »But she was not in the courtroom during the most crucial moments of« Eichmanns »testimony. In fact, she was absent for much of the trial.«24
Diese Feststellung ist freilich kein genereller Einwand gegen Arendt, sondern dient allein der Darlegung der Entstehungsgeschichte ihres Reports. Gleichwohl ist zu bemerken, dass sie sich über die Dauer ihrer Präsenz im Gerichtssaal ausschweigt. Es wäre fraglos ein Gebot der Redlichkeit gewesen, den Unterschied zwischen Prozessbeobachtung vor Ort und dem in New York am Schreibtisch erfolgten Studium und Auswertung der ihr zugegangenen umfangreichen Prozessunterlagen deutlich zu machen. Selbst in ihrem Briefwechsel mit dem umstrittenen Zeugen Fülöp Freudiger lässt Arendt Transparenz vermissen. Das während seiner Aussage von einem Prozessbesucher angefeindete Mitglied des Budapester Judenrats (EJ, S. 160 f.) meinte in einem Brief an Arendt, sie habe ihn im Verhandlungssaal gehört.25 In ihrer Antwort klärte sie das Missverständnis nicht auf.26 Freudiger war drei Wochen nach Arendts Abreise in den Zeugenstand getreten. Arendts Darstellung des Zwischenfalls liest sich freilich so, als ob sie ihn tatsächlich erlebt hätte.
Bereits wenige Tage nach der Prozesseröffnung (11. April 1961) hatte sich Arendt schon ein recht persönliches, von Affekten und Ressentiments nicht freies Bild von den Akteuren in Jerusalem gemacht. Eichmann erschien ihr »wie ein Gespenst«, nicht »einmal unheimlich« und »nur darauf bedacht, die Haltung nicht zu verlieren«.27 Chefankläger Hausner, sein Eröffnungsplädoyer (17./18. April 1961) hatte er noch gar nicht gehalten, war ihr schlicht »ein galizischer Jude, der ohne Punkt und Komma spricht, sich dauernd wiederholt und widerspricht, gelehrt tut, wie ein beflissener Schüler, der zeigen will, was er alles weiß«.28 Gegenüber Jaspers meinte sie despektierlich, Hausner sei »typisch galizischer Jude, sehr unsympathisch, macht dauernd Fehler. Vermutlich einer von denen, die keine Sprache können«.29 An ihren Mann Heinrich Blücher schrieb sie gar: »Übrigens der Prosecutor wird immer ekelhafter«.30 Hausner, 1915 in Lemberg geboren, war 1927 nach Palästina ausgewandert.31 Schwerlich anzunehmen, dass sein Hebräisch schlechter war als das der drei Richter, die 1933 ins Exil nach Palästina gegangen und älter als Hausner waren.
Mit welchen Vorurteilen Arendt im Gerichtssaal saß, macht auch folgende, äußerst befremdliche Bemerkung deutlich: »Mein erster Eindruck: Oben die Richter, bestes deutsches Judentum. Darunter die Staatsanwaltschaft, Galizianer, aber immerhin noch Europäer.«32 Hausners Kollegen Gabriel Bach (*1927) und Yaakov Bar-Or (1916–2008) waren in Halberstadt und Frankfurt am Main geboren.
Nicht zu übersehen und nicht zu tabuisieren ist mithin, dass »Arendts Bemerkungen über Israel und die Israelis« in ihrer Korrespondenz »nachgerade rassistische Untertöne«33 aufweisen. Eichmanns Verteidiger Servatius zeichnete sie als »ein[en] ölige[n], geschickte[n] und sicher durch und durch korrupte[n] Herr[n], aber erheblich gescheiter als der Staatsanwalt«.34
Wie wenig Geduld sie für den Verlauf des Strafverfahrens aufbrachte, wie wenig sie sich wirklich auf die Rolle einer Prozessbeobachterin einließ, belegen ihre Einlassungen nach gerademal fünf Gerichtssitzungen. An Blücher schrieb sie, sie sitze »vorläufig […] von morgens bis abends im Gerichtssaal, hoffe aber doch, daß dies in der nächsten Woche nicht mehr nötig sein«35 werde. Wenige Tage später musste sich die erstaunlich unwillige Gerichtsreporterin in ihrer fraglos ungewohnten Rolle eingestehen, dass das »Gespenst in der Glaskiste« ihr immer noch unbegreiflich sei: »Das Ganze stinknormal und unbeschreiblich minderwertig und widerwärtig. Verstehen tue ich es noch nicht, aber mir ist, als ob der Groschen irgendwann einmal fallen wird, nämlich bei mir.«36
Arendts Erkenntnisverlangen stand mit ihrem Wunsch, möglichst bald Jerusalem verlassen zu können, in Widerstreit, meinte sie doch, sie wolle »so schnell wie möglich weg, aber auch nicht so, daß ich etwas Wesentliches versäume«.37 Vergegenwärtigt man sich die Tatsache, dass Arendt die Überlebenden der Vernichtungslager Chełmno, Sobibór, Treblinka, Auschwitz und Majdanek (vom Todeslager Bełżec wohnte kein Überlebender in Israel)38 und viele andere überaus wichtige Zeugen nicht gehört, die Kreuzverhöre der Anklagevertretung und des Gerichts nicht erlebt hat, liegt die Feststellung nahe, dass sie entgegen ihrem Wunsch doch sehr Wesentliches versäumt hat.
Arendts Quellen
Auf welchen Materialien basiert Arendts Bericht? Ihr standen »›wörtliche, unkorrigierte und unredigierte Niederschriften der Simultanübersetzung‹« der in hebräischer Sprache geführten Verhandlung in Englisch, Französisch und Deutsch zur Verfügung, die, wie Arendt weiter zitiert, »›keinerlei