Die kapitalistische Gesellschaft. Boike Rehbein

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Die kapitalistische Gesellschaft - Boike Rehbein

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privaten Geschäftsinteressen den Weg bahnen.“23

      Der Kolonialismus gehört insofern der Vergangenheit an, als die Welt nicht mehr von Europa beherrscht wird. Allerdings ist er immer noch aktuell, da die Struktur der heutigen Welt ein Erbe des Kolonialismus ist. Die heute armen Länder sind allesamt ehemalige Kolonien, die während der Kolonialzeit ausgeplündert, versklavt und gesellschaftlich verwüstet worden sind. Die ehemaligen Kolonialherrscher hingegen gehören auch heute noch zu den reichen und mächtigen Ländern. Nur wenige der einstigen Kolonien haben einen Aufstieg geschafft, beispielsweise die USA, Australien, Neuseeland und die asiatischen Tiger; China war nur teilweise kolonialisiert. Darüber hinaus sind die ehemaligen Kolonien bis heute sprachlich, kulturell und politisch mit ihren ehemaligen Herrschern verbunden. Schließlich wurden ihnen der Kapitalismus und die politische Organisation des Nationalstaats aufgezwungen.

      2.3 Der Nationalstaat

      In die Zeit der Entfaltung des Kolonialismus fällt die Entwicklung des Nationalstaats. Bis zum Dreißigjährigen Krieg, der 1648 endete, waren die europäischen Staaten gleichsam Besitztümer von Monarchen. Der Staatsapparat der englischen Königin ElizabethElizabeth I. von England umfasste vor Beginn des Krieges nur wenige hundert Personen und war weitgehend mit ihrem Hof identisch.1 Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde Europa territorial aufgeteilt, und die Staaten entwickelten sich zu Nationalstaaten mit einer unpersönlichen, umfassenden Bürokratie und einer rechtlich geregelten Herrschaft. Diese Organisationsform wurde mit dem Kolonialismus auf den Rest der Welt übertragen.

      Der Nationalstaat ist keine Privatangelegenheit der Monarchen mehr. Erstens ist der Herrscher ein Vertreter der Gesamtheit, also ein Repräsentant und kein persönlicher Machthaber. Zweitens hat der Nationalstaat ein rechtliches Rahmengerüst. Drittens hat er eine territoriale Grenze. Viertens verfügt er über ein Staatsvolk, das seit dem Dreißigjährigen Krieg zunehmend nationalistisch gedacht wurde, also mit einer einheitlichen Geschichte, Kultur und Sprache. In Wirklichkeit gab es zum Ende des Krieges keine Staaten dieser Art, sondern die Herrscher formten die Staaten in diese Richtung um. Die späteren Demokratien, beispielsweise die USA und Frankreich, schlossen daran an.

      Bis zum Kolonialismus waren fast alle globalen Zentren expandierende Stadtstaaten gewesen, beispielsweise Babylon, das Industal, Athen, Rom, Venedig und Genua. Aber erst England war keineswegs mehr ein Hof mit umgebendem Territorium, sondern London wurde im 17. Jahrhundert die Hauptstadt eines nationalen Territoriums mit einem einheitlichen Binnenmarkt.2 Die anderen Staaten der Welt erreichten dieses Maß an Integration erst später. Im Weltmaßstab wurde der Nationalstaat sogar erst im 20. Jahrhundert die allgemeine politische Organisationsform.3

      Der westliche, institutionalisierte Kapitalismus war von Anfang an ein globales Projekt, das von national organisierten Kapitalistengruppen im Verbund mit ihrem Staatsapparat vorangetrieben wurde. Der Staat diente den Kapitalisten als Beschützer, die Kapitalisten dienten dem Staat als Finanziers. Die Staaten und ihre Politik wurden national organisiert. Sie waren eng mit dem Kolonialismus und dem Kapitalismus verknüpft. Der europäische Nationalstaat sollte „seinen“ Kapitalisten überall auf der Welt profitable Möglichkeiten eröffnen und gleichzeitig im Innern die Arbeit organisieren und die Bevölkerung befrieden. Er stellte die Infrastruktur, bildete die Bevölkerung aus, kontrollierte sie und federte die Auswirkungen des Kapitalismus ab. Im Ausland trat er für die Interessen der auf seinem Staatsgebiet angesiedelten Kapitalisten ein.4

      Diese Aufgaben sind bis heute die zentralen des Staatsapparates geblieben. Bis heute werden dazu gegebenenfalls Gewaltmittel eingesetzt. Wie die früheren Kolonialherren von Venedig über Spanien bis England befinden sich die heutigen Staaten, die Anspruch auf die Weltherrschaft oder eine regionale Vormachtstellung erheben, in einem mehr oder weniger konstanten Kriegszustand, um überall günstige Bedingungen für die mit ihrem Nationalstaat verbundenen Kapitalisten durchzusetzen und die anderen Staaten sowie ihre Kapitalisten nach Möglichkeit zu beherrschen.

      2.4 Enteignung

      Vorbedingung für die geografische Verschiebung des Kapitalismus von Oberitalien nach England war die osmanische Eroberung von Konstantinopel. Daraufhin verlagerte sich der europäische Handel vom Mittelmeer an die Atlantikküsten. Portugal, Spanien und die Niederlande profitierten davon und begannen den Handel mit Piraterie und Kolonialisierung zu verbinden. Dieses Projekt wurde mit dem englischen Sieg über die Armada 1588 von England übernommen. Das nordwestliche Europa, vor allem England, beherrschte zunehmend die Welt.1

      Über die nationalstaatliche Organisation hinaus war eine weitere Voraussetzung, die England für die Entwicklung des Kapitalismus prädestinierte, die weitgehende Verwandlung des Landes in Privateigentum. Sie begann damit, dass König Heinrich VIII.Heinrich VIII. von England von England sich scheiden lassen wollte und daher die englische Kirche vom Katholizismus abspaltete, der ihm die Scheidung unmöglich machte. Er ließ seine Ehe 1532 annulieren, heiratete seine neue Liebe Anne BoleynBoleyn, Anne und erklärte sich zum Oberhaupt der englischen Kirche. Der Besitz der katholischen Kirche ging damit in seine Kontrolle über. Viele der riesigen Ländereien der Kirche verkaufte Heinrich VIII., einen Teil verschenkte er an Günstlinge und einen geringen Teil behielt er.2 Die Kaufleute und Adligen, die Geld übrighatten, kauften das Land. Da nicht viele Menschen in der Lage waren, genügend Geld für einen Landkauf aufzubringen, kam es zu einer starken Konzentration des Grundbesitzes. Diese Konzentration nahm noch weiter zu, als im 18. Jahrhundert auch das Gemeindeland in Privateigentum verwandelt wurde.3 Eine kleine Gruppe von Hochadligen eignete sich das Land an. Noch heute sind alte adlige Familien die größten Landbesitzer Englands, darunter auch das Königshaus.4

      Die Privatisierung des Grundbesitzes führte dazu, dass sich die Menschen nicht mehr selbst ernähren konnten, sondern Lohnarbeit suchen und ihre Lebensmittel kaufen mussten. Allerdings gab es im 16. Jahrhundert noch keine Arbeit für sie außerhalb der feudalen Knechtschaft. Eine Industrie entwickelte sich erst Jahrhunderte später. Es kam zu einer Verelendung der vom Land vertriebenen Bevölkerung und es war der Beginn der Auswanderung in die Kolonien. Die Ausdehnung der europäischen Kolonialgebiete gewährleistete einen stetigen Abfluss „überschüssiger“ Menschen aus Europa. Eine große Zahl armer und landloser Gruppen wanderte bis ins 20. Jahrhundert in die Kolonien aus. Die Wanderbewegungen hielten auch nach der Unabhängigkeit der Kolonien an. Erst mit der Entstehung einer Dienstleistungsökonomie und mit der Entwicklung des Sozialstaats gelang es, die eigentumslosen Bevölkerungsmassen in den europäischen Nationalstaaten zu halten. Die Industrialisierung trug – entgegen den allgemeinen Behauptungen – nicht viel dazu bei. Die größten Wellen der Auswanderung fanden während der Blütezeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert statt. Gleichzeitig wurde in England ein Arbeitszwang erlassen, um die Armen in das System zu integrieren.5

      Die Industrialisierung diente ebenso wenig wie der Kolonialismus zur Verbesserung des Lebens der breiten Masse. Zweck der Fabriken war es auch nicht, den enteigneten Menschen Arbeit zu geben, sondern sie sollten Profit erwirtschaften. Nur wo das durch die Ausbeutung von Arbeitskräften möglich war, erhielten Menschen Arbeit. Die staatlich organisierten Gesellschaften von Mesopotamien und Ägypten bis zu dem indischen Reich der Moguln und dem Habsburger Reich schufen persönliche Abhängigkeitsverhältnisse und Knechtschaft bis hin zur Sklaverei. Auf diese Weise schränkten sie die Freiheit der Menschen stärker ein, als das im Kapitalismus der Fall ist. Wo keine Zwangsverhältnisse bestanden, konnten die Menschen sich jedoch meist selbst ernähren und waren nicht darauf angewiesen, Arbeit zu finden. Die Notwendigkeit, Arbeit zu finden, erwuchs aus der Enteignung und der Befreiung der Menschen aus feudalen Verhältnissen.

      Die Folgen der Enteignung können wir noch heute täglich am eigenen Leib spüren. Warum müssen wir eine Arbeitsstelle suchen, warum sind wir von unserem Arbeitgeber abhängig, warum müssen wir das verdiente Geld für den Lebensunterhalt ausgeben? Die Enteignung beantwortet diese Fragen. Bis zum Beginn des westlichen Kapitalismus war Land nur in kurzen Perioden und in begrenzten Gebieten Privateigentum. Fast die gesamte Geschichte hindurch konnten die Menschen sich irgendwo Land suchen,

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