Die kapitalistische Gesellschaft. Boike Rehbein
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Eine zentrale Maßnahme aller Kolonialherren und der späteren Entwicklungspolitik war es daher, das Land in den eroberten Gebieten in Privateigentum zu verwandeln. Das führte einerseits zur Konzentration des Grundbesitzes und andererseits zur Erzeugung völlig machtloser Arbeitskräfte. In El Salvador beispielsweise gehörte das Land traditionell den Dorfgemeinschaften. Daher wurde 1881 auf Druck der USA ein Gesetz erlassen, das Privateigentum an Land zur einzig rechtlichen Form des Besitzes erklärte. Damit war das Land der Dorfgemeinschaften fortan herrenlos. Kaffeeunternehmen eigneten sich das Land an, vertrieben die Indigenen und stellten sie später teilweise als Landarbeiter an. El Salvador wurde in der Folge von einer Oligarchie von 14 Familien beherrscht, die wiederum eng mit den USA kooperierte.6 Ähnliches geschah in jedem kolonialen und postkolonialen Staat der Welt.
2.5 Staatsfinanzen
Die spezifische Konfiguration des Kapitalismus entstand durch die zunehmende Abhängigkeit der Monarchen vom Kapital, das die Kriege finanzierte. In früheren Monarchien monopolisierte der Herrscher selbst das Vermögen. Wo er, wie in Norditalien während der Renaissance, auf Kreditgeber angewiesen war, übten entweder diese selbst die Funktion des Monarchen aus oder wurden letztlich von der Zentralmacht unterworfen und in die Schranken gewiesen. Die Medicis in Florenz waren zuerst Bankiers, stiegen dann zu einer Dynastie auf und wurden am Ende vom Papst unterworfen.1 Im späteren Kapitalismus wurden die Staaten hingegen vom Finanzkapital abhängig, das die Staatsschulden verwaltete.
Die vorherrschende Meinung lautet, dass die Herrschaft des Finanzkapitals eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte gewesen sei. Tatsächlich waren die Händler immer die treibende Kraft des Kapitalismus, vom Kolonialismus bis zur Welthandelsorganisation. Und hinter den Händlern stand stets das Finanzkapital, weil die Händler ihre Investitionen selten vollständig aus eigener Tasche bezahlen können. Über die Kredite kontrollierte das Finanzkapital die Handelsunternehmen und über die Staatsschulden die Regierungen.2 Das Verhältnis zwischen ihnen veränderte sich allerdings ständig, da neue Instrumente, Organisationsformen und Prozesse entwickelt werden.
Im 16. Jahrhundert wurden die Wechsel, die auf Papier notierten Handelskredite, zunehmend an Dritte abgegeben, also gehandelt. Der Kreditnehmer verkaufte das Stück Papier, auf dem die Kreditsumme vermerkt war, weiter und konnte dabei einen Profit einstreichen, beispielsweise wenn er es in einer anderen Währung verkaufte, deren Wert im Verhältnis zur Ursprungswährung stieg, oder indem er Zinsen verlangte. Der Käufer konnte mit dem Papier das Gleiche machen. Das klingt wie ein Schneeballsystem, tatsächlich aber mussten die Parteien davon ausgehen, dass der ursprüngliche Kredit am Ende zurückgezahlt wurde. Dennoch wurde teilweise reine Finanzspekulation betrieben, ohne dass der Kredit in den Handel investiert wurde, genau wie an den heutigen Börsen.3
Eine besondere Form des Kredits entstand mit den Staatsschulden. Wegen der vielen Kriege im Ausland, wegen des Bürgerkriegs im Inland und wegen der Ausweitung des Kolonialismus häufte der englische Staat im 17. Jahrhundert beträchtliche Schulden an. Der Krieg gegen Frankreich allein verdoppelte die englischen Staatsschulden.4 Auch die Kosten der Kolonialkriege, die England zwischen dem späten 16. Jahrhundert und Mitte des 20. Jahrhunderts überall auf dem Erdball gleichsam kontinuierlich führte, waren enorm. Das Geheimnis dieser Schulden besteht darin, dass sie nie wirklich zurückgezahlt werden, sondern einen ständigen Zinsfluss vom Staat an die Kapitalisten begründen.
Dieser Prozess begann 1694, als im Anschluss an die englische Revolution die Bank of England als Aktiengesellschaft geschaffen wurde.5 Sie verwandelte die Staatsschulden in Anleihen und verkaufte diese. Die Quittungen waren die „Bank of England Notes“, die zu den ältesten Banknoten zählen. Die Besitzer dieser Noten erhielten vom Staat Zinsen über eine festgelegte Laufzeit. Am Ende der Laufzeit sollten die Banknoten (oder Anleihepapiere) vom Staat zum Nennwert zurückgekauft werden. Dadurch machten die Kapitaleigner einen Gewinn, der bei hohen Zinsen und einer langen Laufzeit die Investition sogar verdoppeln konnte. Der Staat bezahlte die Schulden am Ende der Laufzeit jedoch selten, sondern finanzierte die Rückzahlung durch den Verkauf neuer Anleihen, die wiederum einen Zinsfluss an die Kapitaleigner schufen.
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich die Staatsanleihe zum Grundstein des Kapitals, insbesondere des Finanzkapitals.6 In Europa sind die Rothschilds, die vermutlich bis heute reichste Familie der Welt, das Paradebeispiel für Wohlstand durch die Verwaltung von Staatsschulden. Robert MorrisMorris, Robert, William BinghamBingham, William, Stephen GirardGirard, Stephen und John Jakob AstorAstor, John Jakob sind bekannte Vertreter für die Spekulation mit Staatsanleihen in den USA, wo die Entwicklung von Alexander HamiltonHamilton, Alexander und William DuerDuer, William vorangetrieben wurde, die allesamt britischer Herkunft waren, hohe politische Ämter innehatten und Anleihen über die Bank of the United States organisierten.
Das Prinzip der Staatsanleihe ist noch heute von großer Bedeutung. Die Staatsschulden bewirken einen ständigen Zinsfluss an die Eigentümer der Anleihen, also an die Kapitalisten. Die Zinsen werden bezahlt durch die Steuern, also höchstens zur Hälfte von den wenigen Reichen und zur anderen Hälfte von der großen Masse der Bevölkerung. Allerdings erhalten die Reichen am Ende ihre eigenen Steuern und die Steuern der Masse in Form der Zinszahlungen auf die Anleihen, während die Armen keinen Anteil an den Zinsflüssen haben. Darüber hinaus verfällt die Kreditsumme normalerweise nicht, sondern bildet gleichsam den Kapitalsockel der Investoren.
Der Staat hätte die Macht, Geld ohne Rückgriff auf Schulden zu drucken oder die gemachten Schulden einfach zu streichen. Das wurde tatsächlich im Anschluss an große Kriege und Umwälzungen immer wieder vorgeschlagen und teilweise auch durchgeführt. Meist aber wird diese Lösung durch Finanzminister und andere hohe Regierungsmitglieder verhindert, die entweder als Privatpersonen selbst Staatsanleihen besitzen oder vom Großkapital beeinflusst werden. Dafür ist Finanzminister Alexander HamiltonHamilton, Alexander in der Gründungsphase der USA ein Paradebeispiel.7
2.6 Technologie und Industrie
Die wissenschaftliche Ausbeutung der Wirtschaft ist ein weiteres Kennzeichen des Kapitalismus, das sich parallel zu dem Kolonialismus, der Enteignung und der Entwicklung des Nationalstaats herausbildete. Die Grundlagen der neuzeitlichen Wissenschaft wurden zunächst von Handwerkern wie Galileo GalileiGalilei, Galileo und Johannes KeplerKepler, Johannes gelegt.1 Sie deuteten das Universum als einen Mechanismus, der mathematisch berechnet und technologisch verwertet werden kann. Die Anwendung dieser neuen Naturwissenschaft wurde sodann in England und Frankreich vom niederen Adel vorangetrieben, der mit dem Apparat des Nationalstaats verknüpft war.2 Erst die Möglichkeit, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in einer Massenproduktion anzuwenden, führte zur industriellen Revolution. Diese Möglichkeit ergab sich aus der Verbindung frei verfügbarer Arbeitskraft mit großen Märkten.
Der Kapitalismus durchdrang die gesamte Gesellschaft nicht vor der Ausbeutung formal freier Lohnarbeit.3 Mit dem Kolonialismus wurde der Kapitalismus zum Prinzip nicht nur der Kaufmannskaste, sondern der herrschenden Klasse. Der größte Teil der Gesellschaft aber lebte weiterhin in feudalen, subsistentiellen und anderen Strukturen. Auch wenn sich der Kapitalismus durch die Kolonialisierung über den ganzen Erdball ausbreitete, blieben alte gesellschaftliche Strukturen sowohl in Europa als auch in den Kolonien größtenteils bestehen. Der Kapitalismus benötigte die Menschen nicht, und daher lebten die Menschen außerhalb kapitalistischer Strukturen. Geld wurde durch Ausbeutung von Rohstoffen und Sklaven, Handel sowie Finanzgeschäfte gemacht. Erst die Entwicklung der Industrie erzeugte einen Bedarf an Arbeit. Da freie Arbeiter letztlich billiger waren als Sklaven, sie selbst alle Risiken und die Last der Versorgung trugen, und ihnen bei Bedarf gekündigt werden konnte, löste Lohnarbeit die Sklaverei weitgehend ab.4
In Schulbüchern wird der westliche Kapitalismus gerne mit der Industrialisierung verbunden oder sogar auf sie zurückgeführt. Die industrielle Revolution