About Shame. Laura Späth

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About Shame - Laura Späth

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und Wertlosigkeit. Ich erinnere mich an unzählige Situationen in dem Trainingslager, in denen alle mit irgendjemandem sprechen, außer mit mir. Ich, wie ich ständig alleine trainiere oder herumsitze. Mit wem sollte ich sprechen? Längst ist mir klar, dass mich hier niemand haben will. Dass mich überhaupt niemand irgendwo haben will. Denn ich komme für die anderen einfach nicht vor und wenn, dann nur als Abgrenzungsfolie. Eine Frage brennt sich in meinen Kopf ein: Warum? Warum bin ich hier das ungewollte Kind?

      Ich habe Angst unbemerkt zu sterben, daher beschließe ich, mir Aufmerksamkeit zu verschaffen. Es ist das erste Mal, dass ich glaube, durch eine Lüge mein Leben zu retten. Durch eine gut geschauspielerte Lüge. Denn ich erfinde ein Problem, eine Krankheit, ein Leiden. Ich breche einfach zusammen, werde ohnmächtig. Durch mein Verhalten bekomme ich zum einen Sympathien der Betreuungspersonen, die ab diesem Moment auf mich aufpassen, zum anderen stelle ich sicher, dass mich die anderen Mädchen nicht mehr mies behandeln. Diese Mädchen sorgen zwar weiterhin mit Nachdruck dafür, dass ich mich an keinem Punkt so fühle, als wäre ich Teil ihrer Peergroup, aber zumindest greifen sie mich nicht mehr an. Ich darf einfach auf dem Zimmer liegen, in meinem Bett. Ich darf krank sein. So krank, wie ich mich fühle. So anders, wie ich mich fühle. In der Woche esse ich kaum etwas. Es wiederholt sich, was ich aus meiner Kindergartenzeit noch zu gut kenne: Auf emotionalen Stress reagiere ich mit Erbrechen. Ich hungere mal wieder, mit Absicht. Um die Aufmerksamkeit sicherzustellen, die im Zweifel mein Überleben garantiert. Ich will nicht vergessen werden, in diesem Zelt. Am Ende der Woche steige ich aus dem Bus und beschließe, nie, nie, nie wieder über das, was dort passiert ist, zu sprechen. Als ich meinen Eltern von der Woche erzählen soll, weine ich fast. Meine Familie scheint nichts zu bemerken. Ich vergrabe diese Woche tief in meinen Erinnerungen und erst zehn Jahre später soll sie in Teilen an die Oberfläche dringen. Wodurch sie nach oben dringt? Durch Scham und einen Wiederholungszwang.

      Spätestens seit dieser Woche ist gewiss: Ich bin und denke anders. Ich denke in Welten und Formen und Farben, die nicht zu den Gedanken der anderen passen. Und ich meine das nicht als intellektuelle Überhöhung. Sondern ich verbringe mein Leben ab diesem Moment damit, mir zu wünschen, einmal so denken zu können, wie jene Mädchen. Ich habe nur meine Gedanken, die nie sonderlich erbaulich sind, sondern tendenziell entmutigend, pessimistisch, belastend.

      In diesem Bruchteil meiner Geschichte habe ich über viele unterschiedliche Momente und Ausdrucksformen von Scham geschrieben. Sie sind unterschiedlich intensiv, dauern unterschiedlich lange an und erfordern einen unterschiedlichen Umgang. Über manche Situationen kann ich heute lachen. Aber nicht über die Ausgrenzung, die ich damals erlebt habe. Sie ist ein zentraler Baustein in meiner Geschichte der Scham. Die Scham ist dort, wo der Normbruch ist. Wo die Abweichung lauert. Auch über zehn Jahre später kenne ich das Gefühl von grenzenloser Zugehörigkeit eigentlich nicht. Auch wenn ich seitdem nie wieder absichtlich ausgegrenzt wurde, nie mehr in der Intensität von Ablehnung betroffen war, kenne ich nur zu gut das Gefühl des Andersseins, die Position des »Anderen«.

      »Im Kontext der Scham gibt es keine Wiedergutmachung. Scham ist grundsätzlich nicht verhandelbar. Die unbeabsichtigte Beschämung eines Menschen kann zwar tiefes Bedauern bis hin zu Schuldgefühlen im ›Täter‹ auslösen, ohne dass dieser jedoch irgendeine Form der Entlastung anbieten kann. Er kann nichts weiter tun, als die beschämte Person allein ihrer Scham zu überlassen, da sie den Schutz der Isolation und Einsamkeit benötigt, um die Schmach der Entdeckung zu verwinden. Im Gegensatz zu anderen Emotionen, die durch Beistand gelindert werden können, wie beispielsweise Angst oder Panik, gibt es keine Möglichkeit einen Menschen aus seinem Schamgefühl zu befreien. Dieser Bewältigungsakt kann nur durch die betroffene Person selbst vollzogen werden, und zwar in Form von Rückzug in die Einsamkeit.«28

      Als ich diesen Abschnitt bei Caroline Bohn finde, denke ich sofort an jene Situationen, in denen ich mich ausgeschlossen fühlte und daran, dass manche später versucht haben, sich dafür zu entschuldigen. Aber Bohn hat recht: Wenn man jemanden aufrichtig beschämt oder gedemütigt hat, über Monate oder Jahre hinweg, kann man keine Vergebung erwarten. Der Satz »Es war nicht so gemeint« taugt meist nicht zur Linderung von Schamgefühlen. Trotzdem sagen Menschen das immer wieder, ein Nachsatz zu jeder demütigenden Aussage. Noch schlimmer ist es, wenn man erklärt bekommt, was man nicht alles falsch verstanden hätte, dass man ja letztendlich nur irgendwas in den falschen Hals bekommen hätte. Der Scham sind solche Aussagen egal. Überhaupt sind der Scham Intentionen oft gar nicht so wichtig, denn sie wirkt so oder so.

      Es sind nicht einfach nur ein paar blöde Erlebnisse, mit denen man dann schon irgendwie abschließt. Da wurde am Selbstwert einer Person geschraubt, da wurde ein Mensch essenzieller Sicherheiten beraubt, beispielsweise der Gewissheit, ein Mensch zu sein, der anerkannt wird, der ein Daseinsrecht hat. Der sprechen und sich frei bewegen darf. Und manchmal ist egal, was danach kommt. Man nimmt diese Erfahrung in das spätere Leben mit und wird überall eine Wiederholung erahnen. Ich befürchte, dass ich mich nie wieder jemandem grenzenlos zugehörig fühlen werde.

      Ich gebe die Mädchen auf. Tauche nie mehr im Training auf. Meide die Orte, an denen ich ihnen unbeabsichtigt begegnen könnte. Gebe nichts mehr darauf, wenn eines der Mädchen nett zu mir ist, kommt es durch Zufall doch zu einem Aufeinandertreffen. Will mit ihnen allen nichts mehr zu tun haben. Nach der Isolation und Einsamkeit, die Bohn beschrieben hat, ziehe ich aus der ganzen Geschichte meine ganz eigenen Konsequenzen: Ich gehöre nicht dazu und deshalb will ich auch nicht mehr dazugehören. »Einen Platz in einer Welt zu finden, die für dich keinen Platz hat – Lass mal lieber alles abfackeln, bevor man abkackt.«29 Ich beschließe, die Sache mit der Zugehörigkeit abzuhaken und meine Position nicht zu verändern, sondern umzudeuten und dafür zu sorgen, dass ich wieder in eine Handlungsposition komme: Abgrenzung statt Ausgrenzung.

      Das bedeutet auch bis zu einem gewissen Grad den Blick der Mädchen zu übernehmen, unter dem ich gelitten habe. Ich beschließe, dass sie recht hatten: Sie finden mich nicht nur falsch, ich bin falsch. Aber genau diese Falschheit beginne ich, anders zu bewerten. Beschämung und Demütigung funktionieren umso leichter, je mehr die betroffene Person von der eigenen Wertlosigkeit überzeugt ist, genauso wie die beschämende Person. Erkennt die beschämte Person ihre unterlegene Position als Gedemütigte nicht mehr an, wird es schwierig. Dann öffnet sich ein neuer Raum – der Raum des Widerstands. Ich versuche mein Anderssein neu zu besetzen. Ich verleibe mir die Position des »Anderen« ein und eigne sie mir an, aber nicht als Unterlegenheit. Ich provoziere das Anderssein, schmücke es aus, beharre darauf. Will, dass es ein ganz besonderer Teil meiner Geschichte wird, den ich nicht mehr verschweige.

      Je stärker ich mich aus bestimmten Gruppenkonstellationen heraushalte und versuche eine eigene Haltung zu entwickeln, desto besser geht es mir, desto eher gelingt es mir, etwas zu bekommen, das vielleicht »Selbstbewusstsein« ist. Mit einem Mal sind Abgrenzung und sogar Widerstand die wesentlich sympathischeren Optionen als Anpassung und Zugehörigkeit. Ich will unantastbar sein. Und deshalb suche ich mehr und mehr »das Andere«, das Alleinsein. Denn: »Allein tanz ich am besten.«

      So ganz hat mich diese Perspektive nicht mehr verlassen, auch wenn ich heute anders darüber denke. Aber: Ich gehe gerne allein ins Kino, fahre allein in den Urlaub, sitze allein an meinem Schreibtisch. So verschissen eklig und unnötig diese ganze Ausgrenzungsgeschichte war, so sehr habe ich durch sie gelernt, mit mir selbst allein zu sein und das auch zu schätzen. (Und hier wird die Zitrone zu einer widerlich-süßen Limonade.) Viele finden es seltsam, wenn ich auf Partys irgendwo allein herumstehe und andere beobachte, oder wenn ich lieber allein heimgehe. Für mich ist das ein Raum geworden, den ich für mich einfordere. Ja, ich fordere phasenweise Einsamkeit als Freiraum. Meine Scham gehört mir.

      ADiese Unterscheidung ist in der Forschung relativ gängig und ganze Kulturen wurden danach voneinander unterschieden. Vgl. Benedict, Ruth: Chrysantheme und Schwert. Formen der japanischen Kultur. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2014. Der Satz »Shame is about the self; guilt is about things.« stammt von Helen B. Lewis, die jene Unterscheidung maßgeblich mitgeprägt hat. Neckel, Sighard: Die Macht der Unterscheidung. Essays zur Kultursoziologie der modernen Gesellschaft.

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