Im Bann des Eichelhechts. Axel Hacke

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Im Bann des Eichelhechts - Axel Hacke страница 2

Автор:
Серия:
Издательство:
Im Bann des Eichelhechts - Axel Hacke

Скачать книгу

dem Wachmann, sehr wichtig schien.

      Traxler verstand die Frage so: Are there gods over there? Wobei der Amerikaner das gods irgendwie texanisch gedehnt aussprach, gaads.

      Traxler erstarrte.

      Was meinte er damit: ob da drüben Götter seien? War das ein Codewort für hohe Nazis oder Generäle?

      Jetzt bloß nichts falsch machen, dachte er, sonst schickt der mich zurück zu den Russen. Er antwortete, wahrheitsgemäß: No, Sir, just ordinary people.

      Und durfte passieren.

      Erst viel später, so Traxler, sei ihm klar geworden, dass der Soldat mit dem zerkauten gaads nicht gods gemeint hatte, sondern guards, Wachen, Wachtposten.

      Das notierte ich damals natürlich, denn es ist ganz wunderbar, dass jemand die Frage, ob sich in der Stadt hinter ihm Götter aufhielten, so ganz selbstverständlich und ernst hinnimmt und auch wahrheitsgemäß beantwortet. Er hätte ja auch nachfragen können: What do you mean by gods? Aber wer traut sich noch nachzufragen, auf der Flucht, in großer Gefahr, vor einem Soldaten stehend, der über das Schicksal entscheiden konnte. Der war ja selbst eine Art Gott, und Göttern stellt man besser keine Fragen.

      Die Notiz mit Traxlers Geschichte legte ich in eine Riesenschachtel in meinem Büro. In dieser Riesenschachtel lag das Material, aus dem jetzt dieses Buch geworden ist. Praktisch jeden zweiten Tag hatte ich etwas dafür in der Post, zehn Jahre lang, nein, fünfzehn: Sprachfunde von Leserinnen und Lesern irgendwo auf der Welt, Inserate, Schilder, Werbungen, Speisekarten, Zeitungstexte, alle mit kleinen, überraschenden Fehlern, Macken, Irrtümern, über die sich die Leute natürlich manchmal schon ihre Gedanken gemacht hatten. Lustige, verspielte, versponnene, nachdenkliche Mails, Briefe, Postkarten waren das. Manchmal bekam ich auch irgendwo etwas erzählt, wie jetzt von Traxler, oder jemand überreichte mir direkt ein Fundstück, garniert mit einer Anekdote, die ich dann in Stichpunkten auf einen Bierdeckel oder eine alte Quittung kritzelte. Oder auf einen Zettel.

      Das wird Ihnen sicher gefallen, sagten oder schrieben die Leute, daraus können Sie vielleicht etwas machen. Aber ich ließ dieses Material lange, lange Zeit einfach liegen.

      Ich habe doch schon das eine oder andere Buch zu einem ähnlichen Thema geschrieben, dachte ich. Außerdem hatte ich immer was anderes vor, ein anderes Buch, meine ich. Das schrieb ich dann eben – und dieses hier nicht.

      Aber natürlich amüsierte ich mich mit dem, was ich da bekam.

      Leserin K. schickte mir zum Beispiel das Foto eines Schildes aus einem Kieler Fußballstadion, auf dem es hieß, der Durchgang zum Stadioninnenbereich sei derzeit nicht möglich.

      Sie fand es bemerkenswert, dass es offenbar neben dem sächlichen Stadion auch eine Stadionin gebe, mit dem Plural Stadioninnen, was für mich zunächst die Frage aufwarf, warum man hier nicht einfach, wie es heute manchmal gebräuchlich ist, StadionInnen geschrieben hatte oder Stadion*innen – bis mir klar wurde, dass eben ausdrücklich nur zur Stadionin kein Durchgang möglich war. Zum Stadion aber wohl.

      Ich behielt solche Erwägungen für mich, dachte nicht weiter darüber nach, wie ich auch die Frage nicht weiter erörterte, die mir Leserin G. aus Regensburg eines Tages stellte. Frau G. hatte einen Biskuitteig zubereiten wollen und dabei auf einer Internetseite im Rezept unter den Zutaten auch Eier vom Tortenhuhn entdeckt.

      Was wohl ein Tortenhuhn sein könne, fragte Frau G. Ich wusste es nicht, aber natürlich stellte ich mir Spezialhühner vor, deren Eier besonders für Biskuitteig geeignet wären. Oder auch ein tortenartig geformtes Huhn, das zusammen mit Kuchenhähnen, Kekshennen und Croissantküken in Spezialzuchtfarmen lebt. Ich schrieb sogar an den Support-Service der entsprechenden Internetseite, um zu fragen, was das sei, ein Tortenhuhn.

image

      Man wisse es nicht, lautete die Antwort.

      Wenn man nun aber nur allein diese drei, eher zufälligen Beispiele aus Tausenden von Leserbriefen zusammenlegt – da entsteht eine ganz eigene Welt, nicht wahr? Jedenfalls lässt sie sich erst einmal in Ansätzen ahnen: eine Welt, in der Götter in Städten leben, in der es Stadioninnen gibt und Tortenhühner, eine Welt von eigenem Reiz und seltsamer Schönheit, geformt allein durch Sprache, Missverständnisse, unaufklärbare Irrtümer. Und das Verrückte war, dass sich diese Welt hier in meinem Büro befand (und noch befindet), dass ich alles nur zusammensetzen musste aus den Mails, Briefen, Postkarten, Notizen, Bierdeckeln, Schnipseln, Fotos – ein unentdecktes Sprachland sozusagen, das immer größer geworden war, an das ich plötzlich jeden Tag dachte und in das ich nun aufbrechen wollte.

      Sprachland – in meiner Vorstellung war das fortan ein weltumspannendes Gemeinwesen, überall und nirgends befindlich, hier in meinem Büro, aber auch in einer Pizzeria in Mailand, auf einem Schild in Neumarkt/Oberpfalz, in einer Mail aus Hamburg, auf einer Postkarte aus Radevormwald oder einer Speisekarte in Phuket: das einzige Land der Welt, das ausschließlich aus Sprache besteht, aus Irrtümern, Falschgehörtem, schlecht Übersetztem, aus Fehlleistungen und aus den Phantasien, die sich daraus ergeben.

      Ein Land, das man jederzeit und ganz unverhofft betreten kann, ohne Reisepass, nur mit offenen Augen und ein wenig Vorstellungskraft ausgerüstet. Und ein Land gleichzeitig, das man, kaum ist man da, unversehens auch schon wieder verlassen hat, denn hier ist man oft nur für einen Moment, für ein kleines Lachen, ein kurzes Irritiertsein, ein plötzliches Nachdenken – und dann ist der Besucher auch schon wieder draußen, über die Grenze, in der schnöden Wirklichkeit korrekten Redens, regelgerechter Sprache, richtigen Schreibens, Hörens, Sehens.

      Das könnte ein schönes Buch sein, dachte ich, ein lustiges, verträumtes, versponnenes, verspieltes Sprachspielbuch. Ich müsste dazu nur erst einmal dieses ganze Material aus den Ecken und Winkeln, den Regalen und Schubladen und aus dem Computer meines Zimmers zusammensuchen und wieder betrachten.

      Wenn mir aber dieser Gedanke kam, so war er stets gefolgt von einem zweiten: Ach, du wartest besser lieber noch ein wenig, bis es noch mehr Material ist, dann wird das Buch interessanter. Als es dann jedoch mehr Material war, hatte ich plötzlich Angst vor diesem vielen Zeug, dem ganzen Papier, vor der Mühe, das alles zu durchforsten. So wartete ich weiter. Was die Sache nicht besser machte. Denn dieses ganze Materialgebilde bekam allmählich etwas Drängendes, Forderndes, Verlangendes.

      Es wurde immer schwieriger, dieses Buch nicht zu schreiben, obwohl doch Nichtschreiben eigentlich die einfachste Sache der Welt ist, viel leichter als Schreiben.

      Aber ich dachte ja nun immer öfter an das Buch.

      Und ich begann es mir vorzustellen.

      Eines Tages kam dann die Mail von Herrn B. Er hatte in Agde in Südfrankreich, am Canal du Midi, das Schild eines Bootsverleihs fotografiert. Man konnte dort Boote mit oder ohne Lizenz leihen, und dann hieß es auf diesem Schild, ganz plötzlich und einfach so: Denken Sie Ein Buch.

image

      Wahrscheinlich solle das bedeuten, schrieb B., »dass man nicht vergessen darf, im Voraus zu buchen«.

      Ja, das ist sicher wahr, dachte ich. Aber irgendwie stimmt es auch so: Man muss eben ein Buch auch wirklich denken, dachte ich, natürlich, man darf das Ganze nicht immer nur so nebenbei im Kopf vor sich hin simmern lassen, sondern muss eine Vorstellung davon entwickeln. (Ich hatte ja damit schon begonnen.)

      Und

Скачать книгу