Im Bann des Eichelhechts. Axel Hacke

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Im Bann des Eichelhechts - Axel Hacke

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style="font-size:15px;">      Heut ist Gottes Sohn geboren,

      heut ward er den Menschen gleich.

      Dazu bekam ich etliche Briefe, allesamt von Menschen, die den Text an einer winzigen, doch bedeutsamen Stelle falsch verstanden hatten, sie hatten als Kinder bei dem Wörtchen wart sozusagen ein großes W gehört, Wart also.

      Menschen, die ihr Wart verloren.

      Aber was das sein könnte, dieses Wart, das da verloren gegangen war, das wusste sich niemand zu erklären. Es war auch irgendwie egal, »Trost und Rettung nahte ja durch die Geburt Jesu«, schrieb mir Frau D. (Immerhin schien übrigens nie jemand das zweite ward falsch verstanden zu haben, es wird ja auch mit d geschrieben, vielleicht liegt es daran.)

      Verblüffenderweise passt aber auch das groß geschriebene Wart bestens in den Text, und zwar in fast allen Schattierungen seiner früheren Bedeutungen. Ganz ursprünglich war darunter ja ein Hüter oder Wächter zu verstehen, wie er heute noch als Wortteil im Kassenwart oder Torwart existiert und wie wir ihn in jenen Menschen sehen, die in der Werkstatt unser Auto warten, und wie er dann eben in der Warte wiederkehrt, von der aus man ins Land schauen kann: den Zinnen, den Türmen, den Festen, den Wällen, den Mauern, den Dämmen.

       Von Jerusalem die Warten

      Lagen schon in rothem Duft.

      Stand der Patriarch im Garten,

      Glockenklang ging durch die Luft.

      So dichtete Eichendorff, und bei August Graf von Platen war die Wart dann endgültig eine Art Leuchtturm. Er schrieb:

      Wenn ich bei Nacht die finstre See befahre,

       Wer zündet Licht mir auf den hohen Warten?

      Natürlich sind die Worte wart verloren im menschheitsschicksalhaften Sinne weit umfassender als das doch eher kindlich-konkrete Wart verloren, aber letztlich …

      Ach, letztlich …

      Beim Herumstöbern entdeckte ich dann noch ein Gedicht Friedrich von Matthissons, der Zeitgenosse und Freund Hölderlins war, auch von Schiller und übrigens Beethoven hoch geschätzt. (Doch nach seinem Tode war Matthisson rasch vergessen.) Das Todtenopfer heißt dieses Gedicht, darin die Zeilen:

       Aus Warten und aus Klüften

       Fleugt scheu die Eul’ empor;

       Es gehn aus ihren Grüften

       Die Geister leis’ hervor;

      Still tanzen, in Ruinen,

      Die Gnomen und die Fey’n,

      Vom Glühwurm bleich beschienen,

      Den abendlichen Reih’n.

      Ach, wer je des Nachts vom Glühwurm bleich beschienen war, der wird verstehen, wie ich diese Art des Reisens schätze: Man startet mit einem Kirchenlied und kommt bei einem längst vergessenen Dichter an.

       ZEIT

      Es ist sehr lange her, dass mir Frau S. aus Bad Godesberg schrieb: »In meiner frühen Jugend gab es noch Straßensänger. Sie sangen in Hinterhöfen von Mietshäusern, oft von einem Ziehharmonika- oder Geigenspieler begleitet. Wir wurden als Kinder öfters zu einer Schneiderin gefahren, die in einem solchen Mietshaus im – vielleicht – dritten Stock wohnte und uns Kleider nähte, resp. umänderte. Das war für uns langweilig, doch dann kamen meistens die Straßensänger in den Hof, es wurden Münzen in ein Zeitungspapier gewickelt und runtergeworfen. Das Faszinierendste und Zauberhafteste, das ich da hörte und nie vergessen habe, lautete:

      Das muss ein Stück vom Himmel sein,

       wie wunderfein, wie wunderfein …

      Über Jahre habe ich gerätselt, was es wohl mit diesem wunderfeinen Stück Himmel auf sich haben könnte, und erst viele Jahre später, als erwachsener Mensch erfuhr ich die ernüchternde Lösung:

      Es hieß nicht ›wie wunderfein‹ im Liede, sondern ›Wien und der Wein‹.«

      Das Schöne an Sprachland ist aber nun, dass wir die ernüchternde Lösung hier ignorieren können, ja, wir müssen sie nicht einmal zur Kenntnis nehmen. Für uns gibt es sie einfach nicht.

      Wir leben nämlich in einem Land, in dem eine kleine Münze wirklich ein Stück vom Himmel ist, ja, der Himmel ist voller Bargeld, und es wird der Tag kommen, an dem auch mal ein Hunderter von oben herabsegelt und sanft auf unserem Scheitel landet – und noch einer und noch einer …

      Wie wunderfein das sein wird!

      Aber es ist, andererseits, nicht wichtig.

      Sprachlandbewohner sind erstens an Geld nicht interessiert, sondern an Poesie, an Irrtümern, an Missverständnissen. Und zweitens ist es eben so: Wenn sie Geld benötigen, singen sie ein Lied – und Münzen wie Scheine fallen auf sie herab.

      Das ist einfach selbstverständlich.

      Und weil das so ist, haben sie Zeit. Sie können schlafen, bis sie wirklich wach sind, kein Wecker holt sie aus dem Dämmer, sie haben keine Termine und wenn doch …? Wenn also wider Erwarten eine Verabredung im Kalender stehen sollte, dann stecken sie diese einfach in den Mund und essen sie auf, weg ist die Verabredung, so wie auf jenem Frühstücksbuffet, auf dem es Dates gab. Was einerseits Datteln bedeutet, aber eben auch, wie man auf dem kleinen Hinweisschild über der Dattelschale sofort erkannte, weil es dort geschrieben stand: Termine.

      Also, gehen wir heute einfach auf den Markt oder ins Obstgeschäft, kaufen ein paar Dates und essen die, sie sind reich an Ballaststoffen und Antioxidantien, enthalten kaum Fett, aber viele Vitamine, auch Kalium und Magnesium, zudem die Aminosäure Tryptophan, die der Körper schnurstracks in das Hormon Melatonin umwandelt.

      Das beruhigt die Nerven und lässt uns gut schlafen.

      Man isst Termine und schläft wie ein Baby.

      Und so liegen wir in Sprachland oft im Gras und zwinkern ins Licht, beobachten ein paar Scheine, die uns direkt in die Börsen segeln, und schauen in den Himmel, wo die Vögel sind, die Wildgänse zum Beispiel, ja, genau sie: aus Walter Flex’ einst berühmtem, von Robert Götz vertontem Gedicht Wildgänse rauschen durch die Nacht, das von Wandervögeln und Wehrmacht, von Pfadfindern wie Hitlerjungen gleichermaßen gesungen wurde.

      Wildgänse rauschen durch die Nacht,

      mit schrillem Schrei nach Norden.

      Unstäte Fahrt,

       Habt Acht, habt Acht!

      Die Welt ist voller Morden.

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      Dazu

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