Nächte mit Bosch. Axel Hacke

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Nächte mit Bosch - Axel Hacke

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      »Und warum?«, brummte mein alter Freund, dem die Untersuchung auf geheimnisvolle Weise schon zur Kenntnis gelangt war. »Weil sie die Geräte getreten und beschimpft haben. Weil sie ihnen die Getränke aus dem Leib schütteln wollten. Da kippen sie halt um. Sollen sie sich alles gefallen lassen?«

      Ich lief ins Wohnzimmer, um den ersten Band meines geliebten Lexikons zu holen. Ein Automat, definierte ich, erregt das Buch schwenkend, sei eine Vorrichtung, die vorbestimm te Handlungen nach einem Auslöseimpuls selbstständig und zwangsläufig ablaufen lasse; nichts anderes sei ihm gegeben.

      »Stimmt das denn?«, fragte mein Gegenüber.

      Natürlich stimme es nicht, brüllte ich, heiser vor Wut, aber man müsse darauf mal wieder zurückkommen. Wie oft habe so ein Ding schon mein mühsam zusammengepumptes Kleingeld ohne Gegenleistung gefressen! Wie oft sei am Kaffeeautomaten der Pappbecher leer geblieben! Und wenn es mal genug Kaffee gebe, garantiert seien dann die Pappbecher alle! Die Cola-Automaten habe man doch nicht grundlos geschüttelt. Nie mache ein Automat, was ich wolle, nie!

      »Siehst du«, seufzte Bosch und schüttelte sich, dass die Flaschen klirrten, bevor sein Summen erstarb.

      Die in Europa stationierten GIs, so hieß es in dem Artikel, würden durch eine Informationskampagne davor gewarnt, Automaten zu misshandeln. Wer aber warnt die Automaten? Wer sagt ihnen, dass sie nicht ohne Gegenleistung unsere Münzen für sich behalten dürfen? Wir sollen friedlich sein – und sie? Ich musste an den Getränkeautomaten in der Fernsehserie »Kottan ermittelt« denken, der mit den Menschen in seinem Büro so zerstritten war, dass er einigen von ihnen grundsätzlich nichts mehr servierte. Also haben sie doch – eine Seele? So viele Fragen in der Nacht. »Bosch! Bosch!! Sag mir, ob das Licht in deinem Innern wirklich aus ist«, flehte ich den Kühlschrank an.

      Keine Antwort. Es war dunkel, und die Krokodile glotzten. Morgen würde ich den Voice-Control-Wecker anschreien, und er würde zurückbrüllen, ich sei ein Schinder und ein Säufer und solle ins Bad verschwinden. Den Kopf auf dem Arm schlief ich ein und träumte, dass einarmige Banditen mich ausraubten.

       MENSCH, DANKE, ONKEL OSKAR

      MEIN ONKEL OSKAR lebte vor vielen Jahren in Westberlin, und als ich 16 war, besuchte ich ihn zum ersten Mal. Wir gingen morgens um zehn in die Kantine des Blumengroßmarktes beim Checkpoint Charlie, und Onkel Oskar sagte:

      »Was willst’n haben?«

      »Kaffee«, sagte ich.

      Onkel Oskar tippte mit dem Zeigefinger hinter sein rechtes Ohr, wo ein fleischfarbenes Hörgerät saß, und ich wiederholte laut: »Kaffee!«

      Er nickte der Bedienung zu, die mittlerweile an unserem Tisch stand. Sie trug einen ärmellosen weißen Kittel, hatte dünne graue Locken und eine grob gefurchte, großporige Gesichtshaut. Sie notierte. Was Onkel Oskar für sich selbst wünschte, wusste sie offenbar, denn er sagte und sie fragte nichts. (Dennoch war ich sicher, dass sie eine heisere, überanstrengte Stimme hatte.) Als sie sich umdrehte, fasste Onkel Oskar, ohne sie anzusehen, rasch ihr Handgelenk und sagte zu mir:

      »Willste was essen?«

      Ich überlegte.

      »Iss mal was!« Er sah wieder zu der Bedienung hoch und sagte: »Bringste ihm mal Eier mit Schinken!«

      Dann schwiegen wir. Es war mühsam, mit Onkel Oskar zu reden, er war wirklich sehr schwerhörig. Sein Blick war oft in die Ferne gerichtet, und wenn man etwas zu ihm sagte, war es, als ob man ihn erst weckte. Immer musste man wiederholen, einmal, zweimal.

      Ich betrachtete die kleinen Biere auf den Tischen nebenan und dachte, dass es nebenan in der Markthalle sicher einen Obststand gäbe, und dass Onkel Oskar dort bestimmt immer Bananen gekauft hatte, natürlich, wo denn sonst?

      Mein Onkel Oskar hieß in unserer Familie »der Bananen-Onkel«. Er besuchte uns in der kleinen Stadt 200 Kilometer von Westberlin alle paar Jahre einmal, immer unverhofft und ohne jede Anmeldung. Dann stand er vor der Tür und sagte: »Tach.« Wir sagten: »Ach, Onkel Oskar«, und bekamen die Bananen mit den Worten: »Da ist was für euch, ’n paar Bananen.« Später, wenn kein Erwachsener guckte, drückte er mir immer hastig zehn Mark in die Hand und sagte: »Steck ein.«

      »Mensch, danke, Onkel Oskar.«

      »Steck weg!«

      Wir wussten nie genau, wie er gekommen war. Es hieß oft, er sei getrampt, eine Reiseform, die auf der Skala der Unvorstellbarkeiten in unserer Familie denselben Platz einnahm wie ein Ufo-Flug.

      Getrampt? Onkel Oskar war, seit ich ihn kannte, immer mindestens 75 gewesen.

      Er fahre mit irgendwelchen Lastwagen von Berlin hierher, steige an der Autobahnabfahrt aus und komme dann zu uns, sagte mein Vater. Zu Fuß? Mit dem Taxi? Keine Ahnung. Er hätte auch vom Himmel heruntersteigen oder aus dem Erdboden wachsen können, und heute bin ich ziemlich sicher, dass er genau das tat.

      Einmal vergaß er seine Brieftasche auf dem Küchentisch, als er aufs Klo ging, und hinterher wusste man, dass sie dick gewesen war und voller Geldscheine. Das sicherte ihm den Respekt der Erwachsenen, aber das Unverständnis für seine Schrulligkeiten vergrößerte es auch. Hätte er doch auch mit der Bahn fahren können! Am Geld konnte es nicht liegen mit der Tramperei! Woher er es wohl hatte?

      »Er ist ein Filou«, sagte mein Vater. Verkaufe vielleicht Blumen an Berliner Straßenecken. Oder so was eben.

      Ich besuchte Onkel Oskar in Berlin, sobald man mich allein von daheim wegfahren ließ, und ein halbes Jahr später besuchte ich ihn wieder und dann alle paar Wochen. Anfangs fuhr ich, sobald ich genug Geld gespart hatte, mit dem Interzonenzug. Später bin ich getrampt, jedenfalls auf der Rückfahrt. Onkel Oskar brachte mich zum Großmarkt, ging mit mir zu einem Lastwagenfahrer, und der nahm mich mit. Einmal sah ich, wie mein Onkel ihm hastig 20 Mark zusteckte, und hörte, wie er sagte:

      »Pass bisschen auf den auf!«

      Wenn er verreiste, um uns zu besuchen, war mein Onkel gut gekleidet. Er trug dicke wollene Anzüge mit Weste, schwarze, hoch geschnürte Stiefel und Krawatte. In der Westentasche hatte er eine alte Taschenuhr mit einem Deckel, der bei Knopfdruck aufsprang. Wenn er uns nicht besuchte, also fast immer, sah er anders aus: kein Anzug, keine Krawatte, statt dessen ein hellblauer, verwaschener Kittel um seinen langen, hageren Körper, ob im Garten oder in seiner Wohnung.

      Nur ein paar Meter vom Großmarkt entfernt hatte er einen Kleingarten, noch näher am Checkpoint Charlie gelegen als die Markthalle, an einer Stelle mitten in Gesamtberlin, an der heute keine Gärten mehr denkbar sind. Dort stand ein hölzernes grünes Gartenhaus, in dem sogar Platz für einen Tisch und ein Sofa war, und wenn die Sonne schien, saß mein Onkel Oskar vor diesem Häuschen auf einer schmalen Holzbank und sah aus, als ob Walter Trier ihn gezeichnet hätte, der Illustrator von Erich Kästners Kinderbüchern: ein alter, weißhaariger Mann (mein Onkel, nicht Walter Trier) mit einer runden Nickelbrille und einem gelben Strohhut und einem Kittel. Ich setzte mich dann neben ihn, blinzelte in die Sonne, sah hinüber zum Großmarkt und dachte an Spiegeleier mit Schinken und an Kaffee.

      Seine Wohnung lag auch in Kreuzberg, einige Straßenzüge weiter, ganz in der Nähe der Möckernbrücke. Man ging durch den Torbogen eines alten Hauses, dessen Wände grau und rissig waren, und überquerte auf einem Plattenweg einen sandigen, kahlen Hinterhof, der, ohnehin ringsum von hohen Mauern umgeben, durch eine riesige Kastanie gänzlich verschattet wurde. Da standen immer alte

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