Nächte mit Bosch. Axel Hacke

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Nächte mit Bosch - Axel Hacke страница 4

Автор:
Серия:
Издательство:
Nächte mit Bosch - Axel Hacke

Скачать книгу

– klackklackklack . . .

      »Wahnsinn«, flüsterte ich. Mein Onkel zog einen armlangen Begriff aus dem Eimer.

      »Pénzbedobós távbeszélökészülék.«

      Wir standen stumm da und betrachteten die Worte. »Es heißt ›Münzfernsprecher‹«, flüsterte mein Onkel. »Verstehst du jetzt? Nur das Ungarische hat solche Begriffe. Und das Walisische natürlich. Aber walisische Worte passen nicht mehr durch die Windungen der Röhren, so lang sind sie. Dafür müsste die Maschine doppelt so groß sein oder die Buchstaben kleiner.«

      Er schüttete Säckchen auf Säckchen in den Trichter.

      »Öblök.«

      »Die Buchten«, sagte mein Onkel.

      »Öklök.«

      »Die Fäuste.«

      »Ötvösök.«

      »Die Goldschmiede. Sie macht nur noch Pluralformen«, sagte mein Onkel. »bloß noch Plurale. Weiß der Himmel, warum! Ick hätte gern eine Geschichte über die Einsamkeit einer alten Frau mitten in Budapest gemacht. Was soll ick mit dem ganzen Pluralzeugs?«

      »Ördögök.«

      »Die Teufel.« Irgendwo in der Maschine knirschte es, und ein rotes Lämpchen begann zu blinken. Mein Onkel griff hastig nach einem Säckchen, das unter dem Tisch lag. »Das kommt davon«, schimpfte er, »natürlich sind zu wenig Umlaute in dem Säckchen. Wenn sie aber auch nur noch Plurale macht, immer -ök, -ök hinten dran an die Worte, da reichen natürlich die Umlaute nicht.« Er schüttete einen ganzen Haufen Ös in den Trichter. Das Knirschen hörte auf, das Lämpchen erlosch. Der Geruch von heißem Metall hing in der Luft.

      »Örület!«, murmelte ich. Mein Onkel schaute mich verwundert an.

      »Kannst du Ungarisch?«, fragte er.

      »Nein . . . nein«, sagte ich, »ich weiß nicht . . . ich weiß nicht, woher das jetzt kam. Was heißt es denn?«

      »Wahnsinn!«, sagte mein Onkel. Er schraubte schon wieder irgendwo in der Maschine herum, nahm dann den weißen Eimer und schüttete die einzelnen Buchstaben darin, die für die bisherigen Worte nicht verbraucht worden waren, in den Trichter. »Ick will nicht, dass etwas umkommt«, sagte er, »alles soll verwertet werden.«

      »Warum hast du das Ding gebaut?«, fragte ich.

      Er zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich doch, weil ick Worte so mag. Ick kann stundenlang dasitzen und mir ein Wort ansehen. Es ist blöd, aber es ist nun mal so. Ick erzähle es ja auch niemand, halten einen ja alle für verrückt. Nur du weißt es jetzt. Ick hab’s dir erzählt, weil du einer bist, der auch die Klappe halten kann.«

      »Broileri«, klockerte in den Eimer.

      »DDR-Deutsch kann sie?«, fragte ich verblüfft.

      »Das ist wieder Finnisch«, sagte Onkel Oskar, »aber ›Hähnchen‹ heißt es auch.«

      Es klockte und klackte ununterbrochen, lauter Worte mit einfachen Vokalen jetzt, Resteverwertung. »Pappi« sei der Pfarrer, erklärte mein Onkel, »Tutti« der Schnuller, »Banaani« die Banane, alles Finnisch.

      Ich besuchte ihn von nun an, so oft ich konnte. Wenn ich kam, gingen wir jetzt stets sofort in das Zimmer mit der Buchstabiermaschine und ließen sie surren und schnurren und lagen davor auf dem Boden und kicherten über die Worte. Sobald mein Onkel dieses Zimmer betrat und anfing, an seiner Maschine zu schrauben und zu wienern und sie in Betrieb zu nehmen, war er nicht mehr schweigsam und wortkarg, und nie schaute er abwesend in die Ferne. Er hörte gut, und manchmal schaute er mich lachend an und klopfte mir fest auf die Schulter. Es musste mit den Worten zusammenhängen, eine andere Erklärung wusste ich nicht.

      Wenn wir bei schönem Wetter zusammen in seinen Garten hinübergingen, schenkte er Kindern auf der Straße kleine Worte. Manche steckten sie ein, andere sagten, von fremden Männern dürften sie keine Worte nehmen. Seine Tochter kam immer noch, aber nie betrat sie das Zimmer mit der Buchstabiermaschine, und nie redete sie. Einmal sah ich durch den Türspalt, wie mein Onkel sie auf dem Flur lange und still umarmte. Ein andermal, später, als wir uns wochenlang nicht gesehen hatten, erzählte er mir, er sei in der Schweiz gewesen und zeigte Bilder vom Matterhorn, murmelte immerzu das Wort »Chuchichäschtli« vor sich hin und wollte, dass die Buchstabiermaschine auch schwyzerdütsche Worte machte.

      Sächsisch konnte sie schon, und ich lernte, dass es ein schöneres Sächsisch gab als das hochnäsige Marienborner Vopo-Sächsisch, das mir von meinen Transitfahrten in den Ohren klang. »Morchngonzärrd« klockte heraus und »Babbgardong, Gwargguchn, Rodgohl, Zebbelin, Gamelhaarmandl«. Mein Onkel kam gar nicht nach, so oft blinkte die rote Lampe, und so viele Bertas und Doras und Gasimiers musste er oben in den Trichter nachfüllen. »Bluddurschd hat sie«, sagte er dann.

      Wenn er ganz tief in den Apparat hineinkroch und lange an den verschiedensten Schrauben drehte, spuckte der Schlauch Tiernamen in den Eimer:

      »Blaulappenhokko, Halsbandschnäpper, Odinshühnchen, Spießflughuhn, Langschnabelbrillenvogel,

      Rallenreiher, Gelbkopfgeier,

      Kanaren-Schmätzer, Kabylen-Kleiber,

      Schwarzstirnwürger, Langschwanzdracke, Rübenschwanzgecko, Achtzehnfleckiger Ohneschild-Prachtkäfer, Linienhalsiger Zahnflügelprachtkäfer, Veränderlicher Edelschnarrkäfer, Zottiger Bienenkäfer,

      Furchenlippige Kerbameise,

      Schwarze Hochglanzeule, Eichen-Nulleneule, Standfuß’ Zackenbindeneule,

      Zürgelbaum-Schnauzenfalter,

      Quenselis Alpenbär.«

      Sie hörte überhaupt nicht mehr auf. Mein Onkel sagte, man müsse sparsam sein mit Worten und jedes einzelne genießen. »Ick will Respekt haben vor jedem Wort«, sagte er, »und ick will es mir genau anschauen.« Aber dann saßen wir doch da und fraßen Worte und hatten am Ende so ein Das-hättest-du-nicht-tun-sollen-Gefühl von Reue und Fettheit. »Sie ist gefährlich«, sagte Onkel Oskar, »sie hört nicht mehr auf mit den Worten. Man muss aufpassen, sonst überschwemmt sie alles.«

      Ein paar Tage später ließ er trotzdem Pflanzennamen ausspucken, und es war wieder dasselbe. Wir trugen Säckchen um Säckchen die Stehleiter hinauf und konnten nicht genug bekommen: »Zarter Gauchheil, Breitblättriger Stinkstrauch, Warziger Tragant, Gewöhnliche Brillenschote, Langstrahliges Laserkraut, Großfrüchtiger Kohl, Drüsige Zwergfetthenne, Zottige Fahnenwicke, Starknerviges Gliedkraut, Johnstons Schnabelsenf . . .«

      Es war zum Wortekotzen, so übel war uns am Abend! Gab es solche Pflanzen wirklich? Hatte ich Johnstons Schnabelsenf nicht schon mal im Regal des Supermarktes gesehen?

      »Sie erfindet nie etwas«, sagte mein Onkel, »für jedes Wort gibt es irgendwo auch einen Gegenstand.« Würden diese Pflanzen einmal aussterben, so selten wie sie sich anhörten? So herrliche Namen, und sie würden nichts mehr bezeichnen und müssten ebenfalls verschwinden!

      Es klingelte.

      »Hat es geklingelt?«, fragte Onkel Oskar. Er verließ das Zimmer, um zu öffnen. Ich hörte Stimmen auf dem Flur, die meines Onkels und die zweier Männer.

      »Wollen

Скачать книгу