Die Suche nach Tony Veitch. William McIlvanney

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Die Suche nach Tony Veitch - William  McIlvanney

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hab gehört, hier wurde jemand eingeliefert, der nach mir gefragt hat. Jack Laidlaw. Ein Mann. Unrasiert. Wahrscheinlich betrunken.«

      Der Alte hatte Zuflucht bei einer Schwester gefunden. Der Blick des Arztes ruhte jetzt auf dem Boden. Er sah zu Laidlaw auf, als wollte er ihn auf eine unwahrscheinliche Verbindung prüfen.

      »Sie meinen den alten Säufer?«

      »Kann sein.«

      »Ja. Ich glaube, das war tatsächlich der Name, den er erwähnt hat. Hat ihn ständig wiederholt. Ich dachte, dass er vielleicht selbst so heißt. Hab sonst nichts aus ihm rausbekommen. Er hat Probleme mit den Atemwegen. Gott war der dreckig. Wusste nicht, ob ich ihn erst an die Dialyse hängen oder kauterisieren soll. Eine wandelnde Beulenpest.«

      »Was ist passiert?«

      »Es ging ihm immer schlechter. Anscheinend hat er sich mit letzter Kraft hergeschleppt. Wir haben ihn erst mal gewaschen.«

      »Und was fehlt ihm?«

      Der Arzt schüttelte den Kopf.

      »Alles?« Sein Blick wanderte erneut im Raum umher. »Eine bessere Diagnose, als dass er sterben wird, haben die Kollegen nicht hinbekommen. Seine Atmung verschlechtert sich rapide. Anstatt ihn hier zu intubieren, haben wir ihn auf die Intensivstation verlegt. Ist gerade eben weg.«

      »Wo ist die Intensivstation?«

      »Neben der chirurgischen Abteilung, das ist …«

      »Ich weiß.«

      »Wahrscheinlich sind Sie dort nicht erwünscht.«

      »Macht nichts«, sagte Laidlaw.

      Auf dem Weg nach draußen warf er dem jungen Mann im Rollstuhl noch eine Zigarette zu. Um die Götter zu besänftigen.

      4

      DRAUSSEN WAR ES KALT. Laidlaw musste sich erst mal orientieren. Im mittleren, jetzt dunklen Teil des Hauptgebäudes war die Verwaltung untergebracht. Rechts, nicht weit vom Tor, die medizinische Abteilung. Er ging nach links.

      Beim Überqueren des Hofs dachte er an den Arzt. Wahrscheinlich war es wirklich eine ruhige Nacht. Alles ist relativ. Laidlaw hatte einen einfachen Stoßdämpfer, der ihm half, fertig zu werden mit dem, was er zu Gesicht bekam. Er erinnerte sich an Glaister’s Medical Jurisprudence and Toxicology – ein unauffälliger Name für eines der grauenvollsten Bücher, in denen er je geblättert hatte. Darin wurden die entsetzlichsten ungewöhnlichen Todesarten sachlich beschrieben, dazu Abbildungen erstklassig fotografierter Enthauptungen, Strangulationen und Genitalverstümmelungen. Die Darstellung willkürlicher und vorsätzlicher Brutalität ließ den Marquis de Sade wie den Touristen erscheinen, der er war. Hat man erst einmal verstanden, in was für einer Welt wir leben, muss man sich auch den Dingen stellen, die man lieber nicht sehen möchte.

      Laidlaw hatte das akzeptiert. Er stieg die gewundene Treppe hinauf in den ersten Stock. Auf einem blauen Schild mit weißen Buchstaben las er »Intensivstation«. Er trat durch die Schwingtüren und stand in einem kurzen, breiten Gang vor einer weiteren Schwingtür. Sofort schaute eine Frau aus einem Zimmer. Ihr Gesichtsausdruck wurde zum Verbot, zeugte von der Verärgerung einer Fachkraft über das unbeholfene Eindringen eines Laien. Laidlaw kam sich vor, als hätte er eine Kamera um den Hals. Sie kam heraus und richtete sich wie eine Schusswaffe auf ihn.

      »Ja?«

      »Entschuldigung. Ich glaube, hier wurde gerade jemand herverlegt. Er hat darum gebeten, mich zu sprechen. Mein Name ist Laidlaw. Detective Inspector Laidlaw.« Er zeigte seinen Ausweis.

      »Und?«

      »Ob ich den Patienten wohl sehen kann?«

      Sie stieß ein knappes, einsilbiges Lachen aus, es klang wie das weit entfernte Bellen eines Wachhunds und ebenso humorvoll. Anschließend schüttelte sie auf Beamtenart den Kopf und setzte den strengen, herablassenden Blick auf, der alle Uneingeweihten zu den Rettungsbooten fliehen lässt.

      »Ist das Ihr Ernst?«

      »Ich gebe mir Mühe«, sagte Laidlaw.

      »Das hier ist eine Intensivstation.«

      »Für ein Café habe ich es nicht gehalten. Und ich hab’s eilig.«

      Sie starrte Laidlaw an, schätzte ihn vermutlich neu ein: kein Durchschnittsidiot – vielmehr ein Ärgernis ersten Grades. In solchen Fällen mag es notwendig sein, eine Fassade aus minimalen Fakten aufzubauen, vorzugsweise unverständlichen.

      »Der Ventilator wird vorbereitet. Möglicherweise ist eine Dialyse unerlässlich.«

      »Ist er bei Bewusstsein?«

      »Er ist sehr durcheinander.«

      »Aber bei Bewusstsein.«

      »Im Augenblick, ja.«

      »Na, dann«, sagte Laidlaw. »Wenn er mich sprechen will, muss es ihm wichtig sein. Ich gehe davon aus, dass er trotz allem gewisse Rechte hat. Wenn Sie nicht wollen, dass ich zu ihm reingehe, überlegen Sie sich lieber, wie Sie’s verhindern.«

      Er ging an ihr vorbei. Sie holte ihn ein, bevor er die Schwingtür erreicht hatte.

      »Warten Sie bitte hier«, sagte sie und ging weiter. Wenige Augenblicke später kam sie heraus und nahm einen frisch gewaschenen Krankenhauskittel von einem Stapel. Es machte ihr Spaß, Laidlaw zu beobachten, der dahinterzukommen versuchte, wie man den Kittel anzog. Da er die richtigen Filme gesehen hatte, zog er den Kittel falsch herum an. Sie bot ihm nicht an, ihm beim Zubinden zu helfen, weshalb er ihr mit den Händen auf dem Rücken folgte und dabei fürchtete, die Urheberrechte des Duke of Edinburgh zu verletzen.

      Hinter der zweiten Schwingtür sagte sie: »Warten Sie hier, bitte.«

      Das Licht im Raum war gedämpft. Rechts befanden sich mit Glasscheiben voneinander getrennte Kabinen. Aus manchen drangen leise Geräusche. Man hatte das Gefühl, hier auf Zehenspitzen zu leben. Zwei Schwestern bewegten sich beinahe geräuschlos hin und her, Vestalinnen dieses Allerheiligsten.

      Die Geräte waren Gott. Auf einem Monitor zuckten drei gezackte Linien. In der Mitte lag der für Laidlaw einzig sichtbare Patient, wie auf einem Altar. Er war entsetzlich bewegungslos und an eine Beatmungsmaschine angeschlossen, ein belüfteter Leichnam. Als er ihn betrachtete, erinnerte sich Laidlaw, dass er irgendwo einmal gehört hatte, dass sich solche Patienten wund liegen, wenn sie nicht alle zwei Stunden eingeölt und umgebettet werden. Von seinem neuen Standpunkt aus, hielt er die Leute in der Notaufnahme für größenwahnsinnige Statisten. Ihre Einschätzungen wirkten jetzt unerhört grob. In ihrer Unerbittlichkeit waren sie Anfänger. Dieser Mann legte Zeugnis für uns alle ab, ohne Melodram. Er war auf das Atmen reduziert und stellte keine weiteren Ansprüche, seine Demut war absolut. Zog man den Stecker, starb er.

      Aus der ersten Kabine ganz rechts drangen Geräusche. Laidlaw nahm an, dass dort sein Mann sein musste. Und tatsächlich, die Schwester, die ihn wie ein Bakterium behandelt hatte, winkte ihn nun heran.

      Als er beklommen einen Bogen um die Trennwand machte und in die Nische trat, ereilte ihn derselbe Schrecken, wie wenn man einen Bekannten sterben sieht. Alle vorangegangenen Momente der Zuversicht

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