Die Suche nach Tony Veitch. William McIlvanney

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Die Suche nach Tony Veitch - William  McIlvanney

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sah einen Verdacht bestätigt, den er längst geschöpft hatte. Es war Eck Adamson. Und wenn er nicht so gut wie tot war, dann war Laidlaw unsterblich.

      Ein Arzt schob sich zwischen Laidlaw und das Bett. Er war Inder, jung, zart und hübsch. Seine Stimme bildete einen erstaunlich angenehmen Kontrast zu den Glasgower Kehllauten, seine Konsonanten waren weich und die Aussprache originell.

      »Sie dürfen mit Ihrem Freund reden, wenn Sie wollen. Wir werden ihn gleich an ein Beatmungsgerät anschließen. Im Moment ist es vor allem wichtig, die Lungenfunktion zu stabilisieren. Wenn Sie zu ihm durchdringen, versuchen Sie herauszufinden, was passiert ist.«

      Laidlaw nickte. Zuerst fiel ihm auf, dass er Eck nie zuvor so sauber gesehen hatte. Sie hatten ihn zum Sterben schön gemacht. Nur der mehrere Tage alte Bart ließ darauf schließen, aus welchem Winkel des Lebens Eck stammte; der Bart und sein Blick. Schreckhaft war er immer schon gewesen, aber jetzt spielte er komplett verrückt, sprang mal hierhin, mal dorthin, als wüsste Eck endlich mit Sicherheit, dass es die Welt auf ihn abgesehen hatte. Der Arzt und die Schwestern warteten darauf, ihn von sich selbst zu erlösen.

      »Eck«, sagte Laidlaw. »Ich bin’s, Jack Laidlaw.«

      Als er es noch mal wiederholte, streifte ihn Ecks Blick mehrmals, kehrte immer wieder zu ihm zurück, bis er auf ihm ruhte, noch unstet, aber immerhin auf derselben Umlaufbahn wie Laidlaw. Er blieb nicht auf seinem Gesicht haften, sondern schien unterschiedliche Körperteile abzusuchen, als wollte Eck Laidlaw wie ein Puzzle zusammensetzen. Eck wollte etwas sagen.

      »Gut«, hörte Laidlaw.

      »Gut«, erwiderte er.

      »Gut.«

      »Gut.«

      Eck zuckte vor Anstrengung mit dem Kopf.

      »Schreib auf«, glaubte Laidlaw verstanden zu haben. Er fand einen Umschlag in seiner Tasche und nahm einen Stift.

      »Was ist passiert, Eck?«

      Aber er hätte sich genauso gut mit einem Fernschreiber unterhalten können. Eck empfing keinerlei Nachrichten mehr. Mit dem letzten Rest, der von ihm übrig war, sandte er Informationen aus. Dass er Schmerzen hatte, war offensichtlich. So wie er die Worte daran vorbeipresste, mussten sie ihm sehr wichtig sein. Laidlaw hörte zu und fragte sich, warum.

      Eck redete unzusammenhängend. Er sprach wie jemand, der einen Schlaganfall erlitten hatte, in Zeitlupe und unterbrochen von den Knacklauten des Betrunkenen, was das physische Trauma verschlimmert, weil es die Betroffenen zu Idioten macht. Laidlaw glaubte, aus den verzerrten Äußerungen, die einer zu langsam abgespielten Platte ähnelten, eine ständig wiederholte Aussage herauszuhören. Er schrieb mit, mehr aus Respekt vor der in Auflösung befindlichen Person denn aufgrund einer Bedeutsamkeit, die er den Worten beimaß: »Der Wein, den der mir gegeben hat, das war gar keiner.«

      Das war alles, was er verstand. Als würde man einen Aufruhr belauschen. Eck wurde in seiner Not immer verzweifelter und der Arzt trat dazwischen.

      »Der Herr kann in meinem Zimmer warten«, sagte er.

      Die Schwester führte Laidlaw in einen kleinen abgetrennten Bereich am Ende der Station. Hier war gerade genug Platz, um sich hinzulegen. Laidlaw setzte sich auf das Einzelbett.

      Er betrachtete die Rückseite des Umschlags, der Letzte Wille und das Testament von Eck Adamson. Er erinnerte sich an einen Artikel über eine Putzfrau in einer Anwaltskanzlei. Auf ihrem Totenbett hatte sie Juristenlatein vor sich hin genuschelt. Eck war nicht weit davon entfernt.

      Vielleicht passte es, dass Ecks letzte Information wie Sanskrit rüberkam. Als Spitzel war er nie besonders wertvoll gewesen. Aber Laidlaw hatte ihn immer gemocht, und einmal, im Fall Bryson, hatte Eck ihm unwissentlich sehr geholfen.

      Hinter der Trennwand war es still geworden und der Arzt tauchte wieder auf. Er schüttelte den Kopf.

      »Tut mir leid«, sagte er mit der förmlichen Getragenheit, die einem eine fremde Sprache zu schenken vermag.

      Laidlaw steckte den Umschlag ein.

      »War er ein Freund?«

      Laidlaw dachte nach.

      »Möglich, dass er keinen besseren hatte. Woran ist er gestorben?«

      »Kann ich im Moment noch nicht sagen. Wer war er?«

      »Alexander Adamson. Ein Penner. Im Winter hat er in billigen Absteigen gehaust. Im Sommer da, wo er konnte. Angehörige nicht bekannt. Tolle Grabinschrift.«

      Laidlaw erinnerte sich, dass er Eck eines Nachts schlafend auf einem Belüftungsgitter draußen vor der Central Station gefunden hatte. Er hatte sich die Wärme zunutze gemacht, die aus der Küche des Central Hotel aufstieg. Jetzt fand hier die Totenfeier am Ende eines trostlosen Lebens statt, sie beschränkte sich auf wenige zwischen Fremden gewechselte Sätze.

      »Zum Schluss war es nicht mehr schlimm für ihn«, sagte der Arzt. »Er ist friedlich gestorben.«

      Laidlaw nickte. Wie ein Blatt.

      »Ich will eine staatsanwaltliche Obduktion.«

      »Natürlich. Das ist Vorschrift.«

      »Heute noch? Ich hätte das Ergebnis gerne heute.«

      »Wir werden sehen.«

      »Ja, das werden wir.«

      Auf dem Weg zum Wagen schaute Laidlaw noch einmal in der Notaufnahme vorbei. Der Junge mit der blutverschmierten Jacke war weg. Eine Schwester zeigte Laidlaw Ecks Habseligkeiten in einem braunen Umschlag; eine leere Dose mit krümeligen Tabakresten, eine stehen gebliebene Armbanduhr, sieben einzelne Pfund und ein schmutziger Zettel. Laidlaw strich den Zettel glatt und las die handschriftliche Botschaft.

      Der puritanische Trugschluss besteht darin zu glauben, Tugendhaftigkeit würde von alleine erreicht. Man macht das Richtige, weil man es nicht anders kennt. Das ist die Woolworth-Moral der Gesellschaft, ein billiger Ersatz. Wahre Moral beginnt mit einer Entscheidung: je größer die Entscheidungsvielfalt, desto größer die Moralität. Nur diejenigen können wahrhaft gut sein, die ihre Fähigkeit, Böses zu tun, genau überprüft haben. Idealismus ist Zensur der Realität.

      Fein säuberlich notiert, darunter eine Adresse in Pollokshields und die Namen Lynsey Farren und Paddy Collins in schwarzem Kugelschreiber, außerdem »The Crib« und die Nummer 9464 946.

      Laidlaws erste Reaktion war eine praktische. Ihm fiel auf, dass die Handschrift dieselbe, der Text aber mit blauem Stift notiert worden war. Er vermutete, dass die hausgemachten philosophischen Überlegungen bereits auf dem Zettel gestanden hatten, als deren Verfasser weitere Informationen hinzugefügt hatte. Für wen aber? Für Eck?

      Der erste Teil war sicher nicht für ihn bestimmt gewesen. Aber auch die Adresse schien nicht zu passen. Pollokshields, wo das Geld auf Bäumen wächst, war wohl kaum Ecks Gefilde. Die Nummer sagte Laidlaw nichts. Nur »The Crib« ergab Sinn.

      Dann überkam Laidlaw ein leichter Schauder, als er den Zettel in Händen hielt und Menschlichkeit seine Professionalität zu verdrängen drohte. In dem Versuch, diesem Gefühl auf den Grund zu gehen, las er den Absatz noch einmal. Vielleicht lag es an der hier spürbaren, gefährlich verzerrten Form jener calvinistischen

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