Die ganze Geschichte. Yanis Varoufakis

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Die ganze Geschichte - Yanis Varoufakis

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Das ist nicht schön, aber ein außergewöhnlicher Kampf um die Wiedererlangung der Souveränität erfordert außergewöhnliche Maßnahmen. Und hier kommt die gute Nachricht: Wenn ihr bereit seid, maßvolle, vernünftige Forderungen zu stellen und gleichzeitig Nein zu sagen zu neuen Krediten (und bei dem Nein zu bleiben!), dann werden die EU und der IWF ziemlich sicher an den Verhandlungstisch kommen – finanziell und politisch hätten sie zu viel zu verlieren.

      Ich wusste sehr wohl, dass seit 2010 die Reaktion der Troika auf jeden Vorschlag zu einer Restrukturierung der Schulden grausam gewesen war, denn eine Restrukturierung hätte bedeutet, dass Kanzlerin Merkel die Wahrheit über ihre eigentlichen Gründe für die Griechenlandrettung hätte sagen müssen. Die gleiche Reaktion wäre bei uns zu Hause, in Griechenland, zu erwarten. Für die launischen griechischen Banker lief meine Kampagne für eine Restrukturierung der Schulden darauf hinaus, dass ich ihre Liquidierung betrieb, weil die Kontrolle über ihre Banken auf die Institutionen der Europäischen Union und die Eigentümerschaft auf die europäischen Steuerzahler übertragen werden sollte. Überdies stand hinter den Banken eine ganze politische Klasse, die daran gewöhnt war, ohne Sicherheiten, Garantien und echte Prüfung gewaltige Kreditsummen von ihren Banker-Kumpeln zu bekommen. Ich erinnere mich nicht mehr, inwieweit Alexis die ganze Tragweite dieser Strategie begriff, aber ich weiß noch, dass ich ihm sehr genau erklärte, worauf er sich gefasst machen musste, wenn er meine Empfehlung befolgte: nichts weniger als Krieg. Kein Wunder, dass er zögerte, sich auf meinen Vorschlag einzulassen.

      »Rätst du mir, dass ich dazu aufrufe, die griechischen Banken an Ausländer zu geben? Wie soll ich Syriza davon überzeugen?«, fragte mich Alexis später bei einem Treffen im Hauptquartier von Syriza.

      »Ja, genau das musst du tun«, erwiderte ich.

      Wenn er eine Vereinbarung haben wolle, bei der Griechenland in der Eurozone bleiben würde, dann müsse er eine grundlegende Wahrheit akzeptieren: Der griechische Staat hatte nicht das nötige Geld, um die griechischen Banken wieder flottzumachen. Ergo blieb als einzige Alternative zum Grexit, der immer noch möglich war, oder zur dauerhaften Schuldknechtschaft, dem schlimmsten denkbaren Szenario, die Übertragung der Banken in europäischen Besitz. Tatsächlich, sagte ich, müsse das sowieso passieren: Genau wie es Unsinn sei, innerhalb der Dollarzone von einem kalifornischen oder texanischen Bankensystem zu sprechen, sei es lächerlich sich vorzustellen, wir könnten innerhalb der Eurozone getrennte nationale Bankensysteme haben.

      Das leuchtete Alexis ein. Aber es gefiel ihm nicht, besonders da das Zentralkomitee von Syriza natürlich die Verstaatlichung der Banken favorisierte. Während die griechischen Medien aufschreien würden: »Alexis gibt unsere Banken an Ausländer!«, würden die linken Kräfte von Syriza ihn kritisieren, dass er ihren langjährigen Feldzug beendete, das Finanzwesen unter staatliche Kontrolle zu bringen. Ich spürte seinen Schrecken angesichts der unvermeidlichen Gegenreaktion und warnte ihn, er werde sich mit der Befreiung Griechenlands mächtige Feinde machen, nicht nur all jene, deren politischer Auftrag lautete, uns im Zustand einer Schuldenkolonie zu erhalten, sondern auch bei den Syriza-Mitgliedern, die von ihm erwarteten, innerhalb der Eurozone ein sozialistisches Paradies zu errichten. Aber das war sowieso unmöglich. Als einzige Möglichkeit innerhalb der Eurozone blieb, Griechenland aus dem Schuldgefängnis herauszuholen. Um das zu erreichen, musste er eine Mehrheit der Deutschen dazu bringen, sich als Partner bei unserer Erholung zu betrachten und nicht länger als diejenigen, die immer mehr Geld in unser schwarzes Loch warfen. Sie sollten ihr Geld in die griechischen Banken stecken, darum musste er ihnen Anteile an diesen Banken anbieten. Nur dann würden sie den Eindruck haben, dass die Erholung Griechenlands auch für sie wichtig war. Mit diesem einen Hieb würde er das sündige Dreieck zerschlagen.

      Alexis lächelte. Er habe kein Problem damit, den Bankern die Stirn zu bieten, sagte er. Aber ohne jeglichen Einfluss auf die in Griechenland tätigen Geschäftsbanken wäre es unmöglich, eine stringente Industriepolitik zu verfolgen oder einen Plan für Entwicklung und Wiederaufbau. Er könne sich einfach nicht vorstellen, dass Syrizas Zentralkomitee das akzeptieren werde. Das war ein Argument.

      Ich schlug ihm vor, es auf folgende Weise zu versuchen: Als echte Internationalisten und fortschrittliche Europaanhänger würden wir korrupten griechischen Privatleuten ihre bankrotten Banken wegnehmen und sie dem Volk Europas übertragen, eben jenen europäischen Staatsbürgern, die jetzt schon ihr Geld in diese Banken pumpten. Gegenwärtig könnten die Banken das erforderliche Investitionskapital nicht aufbringen, um Griechenlands Erholung und Wachstum zu finanzieren, deswegen könnten wir durch die Übertragung der Banken und ihrer Verbindlichkeiten an die Europäer nur gewinnen. Unterdessen könnten wir von Grund auf eine neue öffentliche Entwicklungsbank errichten und die verbliebenen Vermögenswerte des griechischen Staats bei ihr deponieren. Sie könnten dann als Sicherheit für neue Investitionen zur Finanzierung von Entwicklungsprojekten dienen, möglichst in Kooperation mit der Europäischen Investitionsbank.

      Alexis gefiel die internationalistische, progressive Stoßrichtung, aber gefiel sie ihm so gut, dass er sie dem Zentralkomitee von Syriza vortragen und Dragasakis davon überzeugen würde? Das Dilemma des jungen Parteichefs war geprägt von all den Missständen, die schließlich im Frühjahr 2015 unseren Schlachtplan aushöhlten. An jenem Nachmittag im Hauptquartier von Syriza konnte ich es ihm ansehen. Auf der einen Seite war ihm klar, dass mein Vorschlag der einzig gangbare Weg war, wenn Griechenland in der Eurozone bleiben wollte. Aber zugleich brachte er es nicht über sich, mit dem Establishment von Syriza zu brechen.

      Ich für mein Teil war davon überzeugt, dass meine Vorschläge abgelehnt werden würden, und betrachtete das als perfekte Entschuldigung, um Syriza gegenüber Distanz zu wahren. Solange Alexis ein Gefangener von Syrizas Illusionen war, würde ich an der Seitenlinie bleiben, kritischen Rat geben, falls und wann immer ich danach gefragt würde, aber ansonsten erleichtert sein, dass ich nichts mit alldem zu tun hatte. Drei Tage später, am 24. Mai, wuchs meine Erleichterung noch, als ich Alexis’ Rede las, in der er Syrizas wirtschaftspolitische Vorstellungen darlegte. Die Kluft zwischen dem, was sie vorhatten, und was in der Eurozone tatsächlich erreicht werden konnte, war abgrundtief. Innerhalb einer Stunde schickte ich eine lange, vernichtende E-Mail an Alexis und an Pappas. Ich benannte die zahlreichen logischen Fehler in ihren Wahlversprechen und teilte ihnen mit, wie ich über Dragasakis’ Fähigkeiten dachte, ein überzeugendes Wirtschaftsprogramm zusammenzustellen.17

      Alexis’ verwirrende öffentliche Äußerungen, die hysterische Ablehnung der Oligarchie gegenüber Syriza und dazu die unverhohlenen Drohungen von Kanzlerin Merkel gegen eine griechische Regierung unter der Führung von Syriza bescherten uns ein Wahlergebnis, das dafür sorgte, dass Alexis in der Opposition blieb.18 Ich war erleichtert und traurig zugleich: erleichtert, dass er eine weitere Legislaturperiode Zeit haben würde, seine Vorstellungen zu ordnen, und traurig, weil die zu erwartende neue Koalitionsregierung, die brav nach der Pfeife der Troika tanzte, nun vermutlich Bailoutistan 2.0 in Stein meißeln würde.19

      Die letzten Zuckungen einer Freundschaft

      Yannis Stournaras und ich wurden Freunde, bald nachdem ich von Australien zurück nach Griechenland gezogen war. Im Jahr 2000 verließ ich die Universität Sydney und wechselte auf einen Lehrstuhl an der Universität Athen, wo Stournaras bereits Professor für Wirtschaftswissenschaften war.20 Zusammen mit Giorgos Krimpas, einem emeritierten Professor für Wirtschaftswissenschaften, und Nicholas Theocarakis, einem erstaunlichen Wissenschaftler und engen Freund, bildeten wir ein informelles Quartett von Ökonomen. Stournaras und Theocarakis hatten bei Krimpas studiert, ich war der Neuling in der Runde. Ich folgte Krimpas als Leiter der volkswirtschaftlichen Fakultät nach, der wir alle vier angehörten.

      Stournaras lehrte nur wenige Stunden, weil er noch für die sozialistische PASOK-Regierung arbeitete, die Griechenland in die Eurozone führte. Während der Beitrittsverhandlungen in den 1990er-Jahren, als Berlin darauf aus war, Griechenland draußen zu halten, leitete Stournaras den Wirtschaftsbeirat, ein wichtiges Organ des Finanzministeriums, das er geschickt

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