Die ganze Geschichte. Yanis Varoufakis
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Das ganze Jahr 2011 über hatte ich meinen persönlichen Kreuzzug geführt, um gemeinsam mit zwei investigativen Journalisten die Verbindungen zwischen den Rettungskrediten für Griechenland, den internationalen Institutionen, die sie vergeben hatten, den bemerkenswerten »Innovationen« unserer Banker und dem griechischen politischen System aufzudecken. Offensichtlich konnte diese Art der Einmischung interessante Telefonanrufe früh am Morgen provozieren.
Von Zungen und Bogen
Wenn ausländische Journalisten mich interviewen, wollen sie mich in der Regel dazu bringen, dass ich Griechenlands endemische Korruption einräume und zugebe, dass ich den Anteil der EU, des IWF und ihrer Troika an unserer Misere übertreibe. Seltsamerweise scheinen sie nie daran interessiert, die zentrale Rolle der Medien bei diesen Vorgängen zu diskutieren.
In einem der vielen Fernsehinterviews, die ich während meiner Zeit als Finanzminister gegeben habe, kam es zu einem bemerkenswerten Geständnis. Es war ein langes Interview, bei dem fast alle denkbaren Themen angesprochen wurden. Zunächst hatte der Interviewer schwere Geschütze aufgefahren, jede Frage mit bösartigen Unterstellungen garniert und mir für meine Antworten höchstens vier oder fünf Wörter gelassen, bevor er mich mit der nächsten Frage bombardierte. In der Werbepause flüsterte er mir ins Ohr: »Herr Minister, es tut mir sehr leid, aber Sie wissen, wie schwierig unsere Lage ist. Aris’ Bank ist die einzige, die noch Werbezeit bei uns einkauft.« Ich antwortete, dass ich ihn verstünde. Danach ging das Interview entspannter weiter, und ich hatte eine Chance, meinen Standpunkt zu formulieren. Mir schien, dass zumindest bei der Gelegenheit genug getan worden war, um dem Sender sein täglich Brot zu sichern.
Gerechterweise konnte man das nur erwarten. Die griechischen Fernsehsender hatten schon vor 2008 in der Krise gesteckt. Tatsächlich hatte kein Fernsehsender jemals Gewinn gemacht, ebenso wenig wie die griechischen Zeitungen und Radiosender. Wären es selbstständige Unternehmen gewesen, hätten sie schon vor langer Zeit Bankrott anmelden müssen. In den Jahren des nicht nachhaltigen, schuldengetriebenen Wachstums waren die griechischen Medien ein wichtiger Hebel für die Bauunternehmer gewesen, die sie besaßen: Minister der Regierung konnten ihre Besitzer entweder bei lukrativen staatlichen Aufträgen berücksichtigen oder mussten damit rechnen, dass die Sender und Printmedien sie in der Luft zerrissen. Das ist einer von vielen Gründen, warum Griechenland Autobahnen bekam, die dreimal so viel kosteten, wie sie in Deutschland gekostet hätten, dass die Medikamente in Krankenhäusern überteuert waren, dass U-Boote sich wie der schiefe Turm von Pisa neigten, sobald sie zu Wasser gelassen wurden, dass sich Berge von Geld auf Offshore-Konten sammelten und Medienkonzerne stetig Verluste schrieben, aber niemals geschlossen wurden.
Der Silberstreif bei unserem Staatsbankrott 2010 war, dass der Trog, aus dem die Bauunternehmer gefüttert wurden, sich leerte und ihre Sprachrohre auf einmal für sich selbst sorgen mussten, eine unmögliche Aufgabe, weil die Erlöse aus Werbung schwanden und ein nicht tragfähiges Geschäftsmodell unterging. Trotzdem schloss in dem Krisenjahr nur ein Sender, der Rest machte weiter, obwohl sich die Verluste auftürmten. Wie war das möglich? Aris und ein oder zwei andere Banker liefern die Antwort.
Ganz einfach: Die Banker übernahmen die Finanzierung der Medien, um die öffentliche Meinung zu manipulieren und so das politische Spiel zu beeinflussen, das ihnen die Kontrolle über ihre bankrotten Banken sicherte. Aber im Gegensatz zu den Bauunternehmern waren die Banker so clever, dass sie es vermieden, Eigentümer der insolventen Fernsehsender und Zeitungen zu werden. Stattdessen hielten sie die Medien am Leben, indem sie ihnen lächerliche Summen dafür bezahlten, dass sie Werbung für ihre Banken machten, und, noch wichtiger, indem sie ihnen immer wieder verlängerte große Kredite gewährten, genau wie die Kredite, die sie sich gegenseitig gaben, und wie die Kredite von EU und IWF an unseren Staat.
Damit war das sündige Dreieck komplett: Die insolventen Medien wurden von Zombie-Banken in einem Zombie-Zustand erhalten, die Zombie-Banken wurden von einer bankrotten Regierung in ihrem untoten Zustand erhalten, und die Regierung wurde von den Rettungskrediten der EU und des IWF im Zustand des permanenten Bankrotts gehalten. Ist es da ein Wunder, dass die Medien von Bailoutistan die Vorzüge der Rettung besangen und die Banker als Opfer eines unzuverlässigen Staats darstellten, während sie zugleich jeden dämonisierten, der zu sagen wagte, was wirklich vor sich ging?
Während ich mitten in meinem Kampf steckte, brachte mich Bill Black, ein amerikanischer Kollege, der eine führende Rolle bei der Aufdeckung des Savings-and-Loan-Schwindels in den 1980er- und 1990er- Jahren in Amerika gespielt hatte, eines Tages mit einer E-Mail zum Lachen. Sie enthielt nur ein kurzes Zitat, das ich als Botschaft der Solidarität interpretierte: »Sie machen ihre Zunge zu einem gespannten Bogen; Lüge, nicht Wahrhaftigkeit herrscht im Land. Ja, sie schreiten von Verbrechen zu Verbrechen.« (Jeremia 9,2)
Der junge Prinz
Psirri, das Stadtviertel, in dem abends junge Leute in Feierlaune unterwegs sind, ist tagsüber ganz anders. Kleine Werkstätten, die Schrauben, Muttern, Schalter, Werkzeuge und anderes herstellen, kämpfen ums Überleben, weil ihre Waren in unserer globalisierten Wirtschaft wertlos geworden sind. Die Luft ist erfüllt von einer Kakofonie geschäftiger Geräusche und den köstlichen Gerüchen, die Bäckereien verströmen und hin und wieder ein Jasminstrauch. Dazwischen ertönen die melancholischen Lieder von Roma-Musikern, die mit ihren Akkordeons, Hörnern und Violinen durch die Straßen wandern und von nostalgischen Passanten die eine oder andere Münze bekommen.
Ich kenne Psirri gut, weil mein einstiges Büro an der Universität nur ein paar Hundert Meter entfernt war und Danaes Studio mitten in dem Viertel liegt. Ganz in der Nähe, am Rand von Psirri, befindet sich der heruntergekommene Sitz der Koalition der Radikalen Linken, allgemein bekannt unter dem Namen Syriza. Deshalb war es absolut einleuchtend, dass Nikos Pappas, der engste Mitarbeiter des jungen Parteivorsitzenden, bei seinem Anruf Anfang 2011 ein Treffen in Psirri vorschlug.
Wir trafen uns in einem diskreten Boutique-Hotel, einer jener Investitionen in dem Viertel, die jetzt vom trügerischen Beginn der Gentrifizierung zeugen, der 2010 abrupt endete. Das Hotel wurde zu unserem regelmäßigen Treffpunkt; in seinen pastellfarben getünchten Wänden führten wir unsere Gespräche, die an jenem Tag in gemächlichem, geradezu akademischem Tempo begannen, aber Anfang 2012 gewichtig und zielgerichtet wurden. Doch an jenem ersten Tag und noch einige Zeit danach hatte ich keinen Grund anzunehmen, dass unser Treffen sich wiederholen würde.
Alexis Tsipras hatte ich zum ersten Mal auf den Plakaten gesehen, mit denen er für seine Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters bei den Kommunalwahlen 2008 geworben hatte. Danae, die diese spezielle Richtung der griechischen Linken seit Langem unterstützte, war begeistert, dass ein Vierunddreißigjähriger sich um ein Amt bewarb, das in der Regel viel ältere, langweilige Politiker innehatten, weil