Kein Trost, nirgends?. Hans-Jürgen Benedict

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Kein Trost, nirgends? - Hans-Jürgen Benedict

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sie ihre judenchristliche Gemeinschaft aufsuchen müssen, „weil unsere Kirche eine deutsche Volkskirche ist.“3 Das war eine zynische Empfehlung, denn eine judenchristliche Gemeinde gab es in Stormarn nicht, was der Propst natürlich wusste. Sie bildete sich aber im Ghetto Theresienstadt, und in dem Bericht des ehemals zum Kirchenkreis Stormarn gehörenden Christen Arthur Goldschmidt wurde von ihrer Existenz eindrucksvoll Zeugnis abgelegt. Es dauerte aber 65 Jahre, bis auch die kirchliche Öffentlichkeit in der inzwischen Nordelbischen Kirche davon Kenntnis erhielt. Das war in der Wander-Ausstellung „Kirche, Christen, Juden, in Nordelbien 1933–1945“ aus dem Jahr 2011, in der nach anfänglichen Schwierigkeiten, worüber sich sein Sohn Georges Arthur Goldschmidt zu Recht noch heute ärgert, Arthur Goldschmidts Bericht zusammen mit seinen Bleistiftzeichnungen in einer Black Box ausgestellt wurde.

       „Mit dem letzten (deportierten) Juden verschwindet auch das Christentum aus Deutschland.“

      Elisabeth Schmitz’ mutiges Eintreten für die Juden und das Versagen der Kirche

      An jedem Sonntag der schrecklichen zwölf Jahre von 1933 bis 1945 wurde in zehntausenden katholischer und evangelischer Gemeinden Gottesdienste gehalten. Es wurde gepredigt, gesungen, das Abendmahl gefeiert, gebetet, getröstet, ermahnt. Diese Gottesdienste blieben, von der Machtübernahme im Januar 1933 bis zum Kriegsende im Mai 1945, als viele Kirchen zerstört und die Pfarrer oft an der Front waren, die größte nicht nazistische Öffentlichkeitsveranstaltung, die das gleichgeschaltete Dritte Reich kannte. Doch diese massenhafte Predigt bewirkte offensichtlich unter den Christen keine Bereitschaft zum Protest gegen die verbrecherische Politik der Nationalsozialisten. Und es gab nur wenige Ausnahmen von der eher unpolitischen Tendenz dieser Predigten – ich nenne die Predigt des württembergischen Pfarrers von Jan nach der Reichspogromnacht 1938, der inhaftiert wurde und ein Predigtverbot erhielt, und die des Lübecker Pastors Karl Friedrich Stellbrink, der am Palmsonntag 1942 die verheerenden Bombenangriffe auf Lübeck als „Gottesgericht“ bezeichnete, inhaftiert und 1943 mit drei katholischen Kaplänen in Hamburg ermordet wurde1. Weder die Errichtung von Konzentrationslagern für politische Gegner noch die sich ständig steigernde Ausgrenzung der jüdischen Mitbürger aus dem gesellschaftlichen Leben von 1933 bis 1938 wurden von den Kanzeln oder von den Kirchenleitungen als mit dem christlichen Glauben unvereinbar kritisiert. Die Pastoren und die Bischöfe schwiegen. Aber das nicht, weil diese Ausgrenzungspolitik nicht bekannt war. Zunächst mit dem Arierparagraphen, dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums und dann mit den Nürnberger Rassegesetzen wurden die jüdischen MitbürgerInnen in Deutschland in aller Öffentlichkeit ausgegrenzt und diskriminiert. Es gab 1933 den Boykott jüdischer Geschäfte. Es gab 1935 eine schlimme Welle antisemitischer Aktionen. Und spätestens im November 1938 in der sog. Reichskristallnacht hätte jeder ‚Volksgenosse‘ die mörderische Bereitschaft der Nazis erkennen können. 1400 Synagogen wurden angesteckt und zerstört, 7500 Geschäfte demoliert, hunderte von Juden umgebracht und siebenundzwanzigtausend jüdische Männer in Konzentrationslager deportiert. Hitler erklärte im Januar 1939 im Reichstag: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas noch einmal gelingen sollte, die Völker in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“ Nach dem Überfall auf Polen sagte Hitler in einer öffentlichen Rede: „Dieser Kampf wird mit der Ausrottung des Judentums in Europa sein Ende finden.“2

      Hitlers Absicht der Judenvernichtung, die dann im Januar 1942 mit der Wannseekonferenz von der Naziführung organisatorisch in die Wege geleitet wurde, war also den Bischöfen und Pastoren der Kirchen wie den Gemeindemitgliedern bekannt. Trotzdem hat sich bis auf einzelne Ausnahmen die christliche Bevölkerung Deutschlands mit dem Mordregime abgefunden. Auch die Bekennende Kirche hat nach anfänglichem Protest vor allem versucht ihren Bestand zu retten und ist öffentlich nicht für die verfolgten Juden eingetreten. Immerhin verhalf die 1938 im Auftrag der Bekennenden Kirche gegründete Hilfsstelle für Nichtarier mit christlicher Taufe, das sogenannte Büro Grüber, ca. 2000 Juden in Zusammenarbeit mit den regionalen Hilfsstellen zur Auswanderung3. Nach Grübers Verhaftung 1940, seiner Einlieferung in das KZ Sachsenhausen und der Schließung des Büros konnte die von der Wohlfahrtsabteilung geleistete Hilfe nur noch im Untergrund und beschränkt durchgeführt werden. Es gab aber weiter einzelne Christen mit „ungewöhnlicher Zivilcourage“, vor allem Frauen, die auch danach „Mut und Phantasie bei der Rettung jüdischer Frauen und Kinder bewiesen.“4

      Man schaute weg, weil man es nicht sehen wollte. Eine, die genau hingeschaut hat und was sie sah, dokumentierte, war die Berliner Lehrerin Elisabeth Schmitz. Eine liberale Protestantin, 1893 in Hanau geboren, die bei Ernst von Harnack in Berlin studierte und bei dem Historiker Friedrich Meinecke promovierte, war seit 1929 im Höheren Schuldienst und mit Juden befreundet. Als große Teile der evangelischen Kirchen mit ihrem völkischen Protestantismus die Machtergreifung durch Hitler begeistert begrüßen, ist sie entsetzt. 1934 schließt sie sich der Bekennenden Kirche an, die das Führerprinzip und die Anbetung von Rasse und Volk in ihrem Barmer Bekenntnis im Mai 1934 entschieden ablehnt, aber kein Wort zu den Judenverfolgungen sagt. An ihrer nichtarischen Freundin, der evangelisch getauften Ärztin Martha Kassel, mit der sie eine Zeitlang zusammen wohnt, bis es ihr verboten wird, erlebt sie hautnah das Geschehen der Ausgrenzung jüdischer Mitbürgerinnen. Dagegen muss die Kirche doch ihre Stimme erheben, denkt sie und wird aktiv. Sie beschwört wichtige Kirchenführer und Theologen wie Karl Barth, Friedrich von Bodelschwingh, Martin Niemöller und Walter Künneth in eindringlichen Briefen, gegen Unrecht und Verfolgung besonders der Juden öffentlich aufzutreten. An den bekannten Theologieprofessor Karl Barth schreibt sie Anfang 1934: „Sollten die Gesetze, so wie sie heute sind, längere Zeit bestehen bleiben, so würde das das glatte Todesurteil bedeuten für hunderttausende, vielleicht für Millionen.“5 Doch ihre Warnungen sind vergeblich. So entschließt sie sich, als im Juli 1935 eine neue antisemitische Welle mit fast pogromhaften Zügen durch Deutschland geht, eine Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ zu verfassen und anonym in mehreren Exemplaren zirkulieren zu lassen. Zu diesem Zweck schafft sie sich eine kleine Schreibmaschine vom Typ Erika an. In dieser Denkschrift fordert sie ein öffentliches Eintreten der Bekennenden Kirche für die Juden. Sie schildert die „innere Not“ der verfolgten Juden, dann ihre „äußere Not“ und fragt schließlich nach der „Stellung der Kirche“ dazu: „Was soll man antworten auf all die verzweifelten Bitten, Fragen und Anklagen? Warum tut die Kirche nichts? Warum läßt sie das namenlose Unrecht geschehen? Wie kann sie immer wieder freudige Bekenntnisse zum nationalsozialistischen Staat ablegen, die doch politische Bekenntnisse sind und sich gegen das Leben eines Teils ihrer Mitglieder richten? Warum schützt sie nicht wenigstens die Kinder? Sollte denn alles das, was mit der heute so verachteten Humanität schlechterdings unvereinbar ist, mit dem Christentum vereinbar sein?“ Ausdrücklich verurteilt sie den theologischen Antijudaismus, der in der Verfolgung und Ausgrenzung der Juden meint, dem Judentum das Gericht und die Gnade Gottes verkündigen zu können: „Seit wann ist es etwas anderes als Gotteslästerung zu behaupten, es sei der Wille Gottes, daß wir Unrecht tun?“6 Eine Zeitlang wurde vermutet, dass ihr Text der dritten altpreußischen Bekenntnis-Synode in Berlin-Steglitz im September 1935 übergeben, aber nicht behandelt worden sei. Doch das ist inzwischen zweifelhaft.7 Vermutlich kursierte das anonyme Papier zunächst nur in wenigen Exemplaren. Aber es gibt wieder keine öffentliche Reaktion der Bekennenden Kirche (BK).

      Schmitz entschließt sich, weiteres Material zu sammeln und die um einen Nachtrag, „Folgen der Nürnberger Gesetze“, erweiterte Denkschrift im Mai 1936 erneut unter die Leute zu bringen. In der Zwischenzeit hatte sie einen Vervielfältigungsapparat erworben. Diesmal schrieb sie den Text auf Matrizen und stellte eigenhändig 200 Exemplare her, die sie an wichtige Personen wie den BK-Pfarrer Wilhelm Niesel, an die Vorläufige Leitung der BK und an die Provinzialbruderräte schickt. Aus einem Bericht der Londoner Times übernimmt sie den Begriff „cold Pogrom“ und belegt dieses kalte Pogrom durch den Hinweis, dass es inzwischen in den jüdischen Gemeinden zwischen Sterbefällen und Geburten ein Verhältnis von sechs zu eins gebe.8 Sie betreibt

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