Kein Trost, nirgends?. Hans-Jürgen Benedict

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Kein Trost, nirgends? - Hans-Jürgen Benedict

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der Kirche in der Judenfrage. Man kann die ganze Hilflosigkeit der Kirche nur von daher erklären, daß sie das Dasein der Juden nicht mehr theologisch als Glaubensfrage verstand und sich deshalb vom Nationalsozialismus ihre Behandlung als Rassenfrage aufdrängen ließ. Damit war ihr Widerstand schnell gebrochen und sie mußte sich auf die Rolle des ‚barmherzigen Samariters‘ zurückziehen, die nicht sehr effektiv sein konnte.“ (129) Hermann Diem berichtet in seinen Erinnerungen, wie sehr „bei jedem Eintreten für die Juden die Frage der Legalität vielen unter uns zu schaffen machte, das heißt, ob es uns als Christen erlaubt sei, gegen die staatlichen Gesetze zu verstoßen (…) Um den untergetauchten Juden zu helfen, mußten Lebensmittelkarten gedruckt, Pässe gefälscht werden usw. Aber auch solche unter uns, die jedes persönliche Opfer und Risiko zu übernehmen bereit waren, scheuten vor diesem aktiven Schritt in die Illegalität zurück.“ (131) Eine Auswirkung von Röm 13 und der lutherischen Zweireichelehre. Diem berichtet, wie in einer von dem reformierten Pfarrer Kurt Müller organisierten Aktion aus Berlin geflüchtete Juden als „Bombenflüchtlinge“ im Sommer 1943 getarnt in sein Haus kamen, so die Frau eines jüdischen Kantors mit zwei Kindern. In Absprache mit dem Bürgermeister sollten sie polizeilich angemeldet und die Kinder zur Schule geschickt werden. Doch dann erhielt Diem aus Stuttgart die Nachricht, dass die Gestapo aufgrund eines Briefes aus Berlin seinen Gästen auf der Spur sei. Diem wusste nicht, wohin er die Familie so schnell bringen sollte. So wurde die Mutter verhaftet. Am nächsten Morgen mussten er und seine Frau die weinenden Kinder zum Bahnhof bringen, wo die Mutter in Begleitung eines Polizisten auf sie wartete, der sie nach Stuttgart transportierte. „Ich konnte nichts mehr tun, als sie mit dem aaronitischen Segen zu verabschieden – demselben Segen, den ich jeden Sonntag über meine Gemeinde sprach und doch niemandem von ihr zumuten konnte, die Flüchtlinge zu verstecken. Auf das Verstecken jüdischer Flüchtlinge stand die Todesstrafe. Die Spuren der Familie konnte ich hinterher nur noch auf dem Weg nach Auschwitz verfolgen. Es hat mich lange beschwert, daß ich die Polizei bei ihrem – angeblichen Glauben ließ, daß ich nicht gewußt hätte, daß die Frau eine Jüdin war. Doch was war, hinterher gesehen, ‚richtig‘?“ (132) Eine bewegende und ehrliche Geschichte, die zeigt, dass Hilfe für die verfolgten Juden möglich und doch sehr schwierig und gefährlich war.

      Denn was geschah nach dem Krieg? Trotz ihres Versagens haben die Kirchen nach dem Krieg sich schnell reorganisiert. Doch was als kirchliche Organisation wiederauflebte, war, zugespitzt formuliert, nur noch Hülle ohne den Inhalt, dass nämlich der Gott Israels in dem Juden Jesus aus Nazareth Mensch geworden ist, um durch dessen Leiden die Welt mit sich zu versöhnen. Auf den Punkt gebracht: Wo die Kirche es hinnimmt, dass das Volk Gottes, aus dem der Erlöser stammt, umgebracht wird, hat sie ihre Existenzberechtigung verwirkt. Oder vorsichtiger gesagt: Ist ihre Versöhnungsbotschaft nicht mehr glaubwürdig. Sie kann als Organisation weiterbestehen, predigen, taufen, Gottesdienste halten, Abendmahl feiern, Nächstenliebe üben, kann sich staatskirchenrechtlich absichern mit staatlichem Kirchensteuereinzug, Staatsleistungen aufgrund der §§ 137 ff. der Weimarer Verfassung, Beamtenstatus der Pastoren, Sendezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dem grundgesetzlichen Recht auf Religionsunterricht – das Versagen in der „Judenfrage“ hat ihr eigentlich die Grundlage entzogen.

      „Mit dem letzten Juden (verschwindet) auch das Christentum aus Deutschland“, dieser Satz von Elisabeth Schmitz sollte in den Kirchen endlich in seiner prophetischen Bedeutung, als negatives heilsgeschichtliches Datum, ernst genommen werden. Dann kann auch der kirchliche Neuanfang, den es trotz des Versagens gegeben hat, dankbar gewürdigt werden. Theologisch wird der Neuanfang mit der Gnade Gottes und seinem Verzeihen erklärt. Weltlich gesprochen ist er auf das Verhalten der westlichen Alliierten zurückzuführen, die der BRD die Chance gaben, in den Kreis der zivilisierten Völker zurückzukehren und einen demokratischen Rechts-und Sozialstaat mit staatskirchenrechtlich privilegierten Kirchen zu errichten.

      Was hätte in den Kirchen anders gemacht werden können? Bonhoeffer hat aus dem Versagen der Kirche angesichts der Judenverfolgung radikale ekklesiologische Konsequenzen gezogen, und zwar in dem „Entwurf einer Arbeit“ aus dem Jahr 194417: „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Um einen Anfang zu machen, muss sie alles Eigentum den Notleidenden schenken, die Pfarrer müssen von freiwilligen Gaben der Gemeinde leben, evtl. einen weltlichen Beruf ausüben.“ Und dann ganz wichtig: „Sie muß an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend. Sie muß den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt, ‚für andere da zu sein‘“.18 Bonhoeffer hat aus dem Versagen der Kirche angesichts des Unrechtsregimes des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung Konsequenzen gezogen und eine neue arme und solidarische Kirche gewollt, nicht die Wiederherstellung des kirchlichen Zustands vor 1933.

      Wir wissen, dass die Entwicklung anders gelaufen ist. Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 ermordet und konnte bei der Neuausrichtung der Kirche nach der Befreiung vom Faschismus nicht mehr mitwirken. Die Vertreter der Bekennenden Kirche, die dann in den wiederhergestellten Landeskirchen oft an wichtiger Stelle saßen wie Martin Niemöller als Kirchenpräsident der hessisch-nassauischen Kirche, mussten sich zum einen mit den konservativen Kräften der sog. intakten lutherischen Kirchen arrangieren, um so die kirchliche Einheit zu bewahren. Zum anderen dachten sie ekklesiologisch nicht so basisgemeindlich wie Bonhoeffer. Sie kannten ja dieses Konzept Bonhoeffers auch nicht. Es wurde erst 1951 veröffentlicht und entfaltete dann erst langsam seine Wirkung, da war die Rekonstruktion der alten Kirchenstrukturen schon abgeschlossen.

      Gab es in der Kirche eine Einsicht in die Größe und Schwere des eigenen Versagens? Sicher – der Rat der EKD hat in dem Stuttgarter Schuldbekenntnis von Oktober 1945, in Anwesenheit von Vertretern der Ökumene, seine Schuld und sein Versagen im Nationalsozialismus einbekannt. Einleitend heißt es, und damit wird eine Reaktion formuliert, die dann für spätere Stellungnahmen der EKD prägend werden sollte: „Wir wissen uns mit unserem Volk nicht nur in einer Gemeinschaft der Leiden, sondern auch in einer Solidarität der Schuld. Mit großem Schmerz sagen wir: durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus. Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat, aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“

      Doch dieses Schuldbekenntnis geht über die tiefer reichenden Konsequenzen des Versagens zügig hinweg und verschweigt das ungeheure Verbrechen der von der Kirche hingenommenen Judenvernichtung und anderer Untaten. Es geht relativ schnell zur Tagesordnung der Neuordnung der Kirchen über. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis erreicht nicht die Qualität jenes radikalen, nichts beschönigenden Schuldbekenntnisses, das Bonhoeffer in seiner Ethik von der Kirche forderte: „Die Kirche bekennt, schuldig geworden zu sein an den Unzähligen, deren Leben durch Verleumdung, Denunziation und Ehrabschneidung vernichtet worden ist.“19

      Beschämend ist auch, dass sich die Kirchen nach dem Stuttgarter Schuldbekenntnis schnell gegen die Siegermächte und ihre Entnazifizierungspolitik aussprachen. Es entstand das von ihnen mitgeprägte Narrativ von der Sieger- und Rachejustiz. Im Februar 1948 rief Kirchenpräsident Martin Niemöller sogar zum Boykott der Spruchkammerverfahren auf und wies die hessisch-nassauischen Pfarrer an, nur noch als Entlastungszeugen daran teilzunehmen. Die tatsächlichen Zahlen der in Entnazifizierungsverfahren Bestraften widerlegen jedoch eindeutig die Propaganda von der Rachejustiz. Von etwa einer Million Verfahren in der US-Besatzungszone wurden gerade mal 1 586 (0,2 %) Überprüfte als Hauptschuldige und 22 122 (2,3 %) als NS-Aktivisten eingestuft. Der Historiker Clemens Vollhans kommt in seiner Veröffentlichung der Dokumente 1989 zu dem Schluss: „Der Fürsprache für die Täter im engeren und weiteren Sinne stand in den ersten Nachkriegsjahren kein einziges Wort der Kirchen gegenüber, das sich für die Wiedereingliederung und materielle Entschädigung des Millionenheeres der NS-Opfer einsetzte.“ Es ist bekannt, dass katholische Stellen die Emigration, besser Flucht von NS-Verbrechern nach Südamerika unterstützten. Auch die evangelische Kirche setzte sich für mutmaßliche Massenmörder und Kriegsverbrecher ein. Über

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