Windhauch und Wein. Georg Schwikart

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Windhauch und Wein - Georg Schwikart

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Lockruf und frage mich dann jedes Mal, was ich in diesem lauten, teuren und schmutzigen Moloch suche. Immer mich selbst.

      In jedem Monat war ich schon da, in glühender Hitze und im Schnee (dem Rom hilflos ausgeliefert scheint). Ohne Lieblichkeit zeigt sich Rom im November. Das Wetter trüb, zum Draußen-Sitzen zu kühl, auch das warme Licht fehlt, das die Ewige Stadt in ihren unvergleichlichen Glanz hüllt.

      Rom im November – das könnte auch als poetische Umschreibung dienen für den Zustand jener Religion, die sich nach der Metropole benennt. Die römisch-katholische Kirche möchte den Eindruck erwecken, alles sei ganz wunderbar und laufe prima wie immer. Der Prunk lässt kaum vermuten, dass sich diese größte Glaubensgemeinschaft der Welt in einer schweren Krise befindet. In Deutschland ist das allerdings sehr offensichtlich.

      Die Veränderungsprozesse innerhalb der katholischen Kirche betrachte ich aus einer heilsamen Distanz. Ich leide mit den katholischen Schwestern und Brüdern unter ausbleibenden Reformen. Das II. Vatikanische Konzil ließ von einer anderen Kirche träumen. Doch die Bewegung erlahmte wieder in den letzten Jahrzehnten. Unter Papst Franziskus hat zwar ein kirchlicher Klimawandel eingesetzt, man darf über vieles diskutieren. Nur, substantielle Fortschritte sind nicht wahrnehmbar. Eigentlich ist das nun wirklich nicht mein Thema. Allein, die fortschreitende Entfremdung meiner katholischen Familienangehörigen und Freunde von ihrer Institution bedrückt auch mich.

      Sich als Nicht-Katholik klammheimlich an den Schwierigkeiten der römischen Variante zu ergötzen wäre dumm. Von einer starken und lebendigen katholischen Kirche profitieren auch Protestanten und Orthodoxe.

      Ich versuchte auch zu verstehen, wo der Unterschied zwischen Weisheit und Dummheit liegt. Aber ich begriff: Auch diese Mühe ist so sinnlos wie der Versuch, den Wind einzufangen. Denn je größer die Weisheit ist, desto größer ist auch die Mutlosigkeit, und je größer die Erkenntnis wird, umso mehr steigert sich auch die Enttäuschung. (Prediger 1,17–18)

      Elmar, ein katholischer Diakon, verheiratet und Vater zweier Kinder, gehört durch sein Amt zur kirchlichen Hierarchie. Er ist ein sympathischer Offizieller seiner Kirche: kommunikationsfreudig, intelligent, engagiert und von tiefer Frömmigkeit. Der Mann ist beliebt.

      Dann passiert etwas, das einfach nicht vorgesehen ist. Elmar verliebt sich in eine andere Frau. Die Ehe wird geschieden, und da er mit seiner Freundin zusammenlebt, muss er sein Amt ruhen lassen. Die Ehe wird nach einigen Jahren annulliert. Heißt in der Lesart seiner Kirche: Diese Ehe hat nie bestanden. (Die Kinder behalten allerdings den Status „ehelich“.) Nun kann Elmar seine Freundin heiraten und seinen Dienst als Diakon wieder aufnehmen, die Kirche braucht Leute wie ihn. … Zu früh gefreut! Da seine erste Ehe nie bestand, ist er unverheiratet Diakon geworden. Wer verheiratet geweiht wird, darf verheiratet bleiben. Wer ledig Diakon wird, muss den Zölibat versprechen. Elmar hat sich also zu entscheiden: sein Diakonenamt wieder aufzunehmen oder die Ehe mit seiner neuen Liebe einzugehen.

      Storys dieser Art erzähle ich ohne Schadenfreude, sondern mit großem Bedauern für Elmar und für seine Kirche. Die bringt sich aufgrund ihrer speziellen Rechtsauffassung um gute Leute, die sie den Gläubigen vorenthält. Wie Elmar berichten mir auch andere Amts- und Funktionsträger tief bedrückt vom Leiden an ihrer Institution. Ihre detaillierte Kenntnis der Realität steigert ihre Enttäuschung. Sie sehen Stagnation, ja Rückschritt. Sie nehmen eine Verweigerung der Wirklichkeit wahr, ein Versagen aufrichtiger Kommunikation. Es liegt dann (ausgerechnet) an mir, sie zu trösten und zu ermutigen durchzuhalten.

      Der Katholizismus verdient eine differenzierte Betrachtung. Unter dem Begriff „Katholische Kirche“ wird ein buntes Sammelsurium an Kirchen und Gemeinschaften, Theologien und Liturgien, Kulturen und Philosophien zusammengefasst. Diese Buntheit hat etwas Faszinierendes. Damit dieses hochkomplexe Gebilde irgendwie zusammengehalten wird, drängt die Kirchenleitung auf die Einhaltung bestimmter Regeln, die dem Kirchenvolk oft genug abstrus vorkommen.

      Mancher Katholik gibt sich deswegen der Novemberstimmung hin, sieht alles nur noch düster und nebelig. November kann melancholisch machen, sogar depressiv. Dass ab und zu die Sonne durchbricht, erreicht das Gemüt vieler Kirchenmitglieder nicht mehr.

      Ich darf anders auf diese Kirche blicken, entspannter. Ich erwarte weniger und empfange daher mehr. So schätze ich mich glücklich, mit einem Priester befreundet zu sein, der in Rom als Professor der Theologie an der päpstlichen Universität wirkt. Als wir uns zuletzt an einem Samstag im November in einer Bar trafen, fragte er unvermittelt: „Magst du morgen bei mir predigen?“ Ich sagte zu. Am nächsten Tag stand ich in der Albe neben ihm, er stellte mich als seinen evangelischen Freund vor und übersetzte meine Predigt Satz für Satz.

      Beim Friedensgruß beseelten mich die fast zärtlichen Berührungen der Menschen, die hier Gottesdienst feierten, inklusive einiger Ordensschwestern. Ihr Lächeln und ihre Worte ließen erkennen: Uns trennt nichts! Mit absoluter Selbstverständlichkeit empfing ich die Kommunion in den Gestalten von Brot und Wein. In Köln wäre das nicht möglich gewesen. Geschichten dieser Art könnte ich viele erzählen.

      Die katholische Kirche verstehen wollen? „Auch diese Mühe ist so sinnlos wie der Versuch, den Wind einzufangen“, würde Kohelet entgegnen. Albert Einstein hat es handfest ausgedrückt: „Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich nur in ihr zurechtfinden.“ Sich im Katholizismus zurechtzufinden gleicht einer Herausforderung. Die Katholikinnen und Katholiken müssen sie mutig annehmen. Ich möchte sie dabei unterstützen.

      Wir können doch voneinander lernen. Und gemeinsam den Frühling erwarten.

       Der mittlere Weg

      Hennings Vater arbeitete als Professor in Bangkok, so lebte seine Familie ein paar Jahre lang in Thailand. Als er Jugendlicher war, kam sie zurück nach Deutschland. Henning wurde in meiner Bonner Kirchengemeinde konfirmiert und engagierte sich in der Gruppe für behinderte Menschen. Nach dem Studium zog es ihn zurück in den Fernen Osten. Er wandte sich der Lehre des Buddha zu, wurde Mönch und sogar Abt eines Klosters in der thailändischen Provinz Ubon, weitab von den Touristenmagneten.

      Henning heißt als Mönch Kevali: „der das Absolute erreicht hat“. Das weist Kevali bescheiden von sich. Denn ein Mönch ist immer unterwegs. Zwar wächst die Erkenntnis, aber die Disziplin fordert ihn täglich.

      Ein Buddhist folgt dem Weg des Buddha. „Buddha“ ist ein Ehrentitel und bedeutet etwa „der Erwachte“. Zuvor war sein Name Siddharta Gautama. Er lebte um 500 vor Christus in Indien als Prinz eines kleinen Königreiches. Was wir von ihm wissen, ist von Legenden überwuchert. Doch all die schönen Geschichten haben die Funktion, seine wundersame Lebenswende noch dramatischer erscheinen zu lassen.

      Demnach standen Siddharta Gautama drei Paläste zur Verfügung, für den Sommer, für den Winter und für die Regenzeit dazwischen. Dort unterhielten ihn Tänzerinnen und Musiker. Er war verheiratet und Vater eines Sohnes. An Vergnügungen mangelte es ihm nicht. Doch er fand im Luxus keine Erfüllung. So machte er heimlich vier Ausfahrten mit der Kutsche. Am ersten Tag sah er einen Kranken und kam erschrocken heim: Krankheit würde auch ihm nicht erspart bleiben. Am zweiten Tag fiel ihm ein Alter auf; ihn würde das gleiche Schicksal treffen, alt zu werden. Bei der dritten Ausfahrt wurde er mit einem Toten konfrontiert, den man gerade zum Verbrennungsplatz brachte; das gleiche Ende erwartete ihn. Bei der vierten Ausfahrt entdeckte er einen Mönch. Dieser ließ sich von der belastenden Wirklichkeit nicht beeindrucken. So wollte er auch werden!

      Siddharta Gautama verließ seine Familie und die Paläste, zog vom „Haus in die Hauslosigkeit“ und suchte die Wahrheit zu ergründen. Er fastete sich beinahe zu Tode, doch die Weisheit stellte sich nicht ein. Als er sein Vorhaben aufgeben wollte, setzte er sich enttäuscht unter einen Baum – und wurde „erleuchtet“: Was man unbedingt

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