DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband. Ina Kramer
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Lange schwieg er, ganz ergriffen von der Schönheit des Anblicks. Ein Tier jedoch war nicht zu sehen. »Dort ist nichts«, sagte er, »außer Firuns ganzer Pracht. Es gibt auch keine Löwen in Brelak«, wandte er sich belehrend an Damilla, »du wirst einen Schakal gesehen haben, der sich aus den Bergen hierher verirrt hat. Morgen werden wir seine Fährte aufnehmen und ihn, so Firun will, zur Strecke bringen, auf daß er uns nicht die Ziegen reißt. Und nun möchte ich für ein Weilchen mit meiner Frau und meiner Tochter allein sein.«
Als alle den Raum verlassen hatten, ließ Durenald sich auf einem Schemel neben dem Wochenbett nieder und ergriff die Hand seiner Gemahlin. »Mein liebes Herz, ich bin so stolz auf dich, meine tapfere, kleine, große Kriegerin.« Zärtlich betrachtete er ihr schönes Antlitz. »Hast du schon einen Namen für sie gewählt? Tsaiane vielleicht …?«
»Tsaiane ist ein schöner Name«, erwiderte Kusmine, »und seit ich weiß, daß du dir all die Monde lang eine Tochter gewünscht hast, habe ich recht oft über ihren Namen nachgedacht. Ich finde, wir sollten sie nach meiner Tante Melsine und nach deinem Vater Thalion nennen. Melsine und Thalion – Thalionmel.«
2. Kapitel
Die Tribüne der Rennbahn vor den Toren von Methumis war mit Wimpeln, Girlanden und Buketten aus Firunsglöckchen und dem ersten Ilmengrün aufs prächtigste geschmückt, denn zum diesjährigen großen Phex-Rennen erwartete man nicht nur den Herzog – auch der Erzherrscher von Arivor hatte seinen Besuch angekündigt. Und auch die Götter schienen dem Rennen gewogen: Seit Tagen ließ Herr Praios Sein Antlitz hell erstrahlen, die gütige Frau Peraine hatte die Auen in ein Gewand aus frischem Grün mit winzigen bunten Farbtupfern darin gehüllt, Herr Efferd hatte den Fischern einen reichen Fang beschert, und die Luft war erfüllt vom Duft der gebratenen Meerbarsche, Perlbeißer und Silberaale, die an kleinen Ständen rings um die Rennbahn feilgeboten wurden. Herr Phex, dem zu Ehren das Rennen veranstaltet wurde, ließ Kaufleute, Diebe und Bettler zufrieden schmunzeln über die bereits getätigten oder noch zu erwartenden günstigen Geschäfte, und der sinnenfrohen Frau Rahja Gebot hieß heute ganz besonders viele verliebte Paare und Pärchen zum Liebesspiel ins nahe Wäldchen schlendern …
Da Phex der neunte Monat ist, waren, wie jedes Jahr, neun Rennen angesetzt, sechs Bürger- und drei Adelsrennen. Die Bürgerrennen begannen üblicherweise um die zehnte Stunde und endeten, wenn alles gutging und nicht zu viele Unfälle geschahen, um die zweite Stunde nach Mittag. Es waren derbe Volksbelustigungen, und die wenigsten Gäule, die man auf der Rennbahn sah, waren wirkliche Reittiere – von Rennpferden ganz zu schweigen. Da gab es struppige Ponys, magere Karrengäule, Kaltblüter, deren wahre Bestimmung es war, einen Pflug zu ziehen, aber alle waren, genau wie ihre Reiter, aufs schönste geschmückt und herausgeputzt. Teilnehmen durfte ein jeder, sofern er ein Reittier besaß, das nur entfernt an ein Pferd erinnerte, und falls er es schaffte, sich rechtzeitig einen Platz unter den Startenden zu sichern, denn deren Anzahl war auf zehn für jedes Rennen beschränkt.
Für die meisten war die Teilnahme nicht mehr als ein Spaß, und nur die Besitzer der besseren Pferde – wie Fuhrleute, Botenreiter und Pferdehändler – mochten hoffen, die Siegesprämie zu gewinnen: wahlweise ein Faß Bier, gestiftet von der Geweihtenschaft des Phextempels, oder ein Fäßlein Wein, das die Rahjapriesterinnen für den heutigen Tag gespendet hatten. Doch mußte niemand darben, Verlierer nicht und auch nicht die große Schar der Schaulustigen, denn das herzogliche Freibier floß beim großen Phex-Rennen stets in Strömen.
Natürlich blieben die Adelslogen leer bei diesem groben Treiben, und auch die vornehmen Handelsherren und -damen zogen es vor, erst später zu erscheinen. Doch um die dritte Stunde nach Mittag, wenn der Rennplatz längst geräumt war von trunkenen Schustergesellen und zottigen Mähren, füllte die Tribüne sich allmählich. Das war nun für das Volk ein fast noch größeres Ereignis als die vorausgegangene Belustigung – so hohe Herrschaften von Angesicht zu sehen und so prächtige Gewänder zu bestaunen, das war ihm wahrlich nicht alle Tage vergönnt.
Am begierigsten erwarteten die Leute das Erscheinen des Erzherrschers und seiner Gemahlin. Er hatte sich auf seine alten Tage – die Sechzig mochte er bald erreicht haben – noch einmal vermählt, und zwar, wie es hieß, mit einer blutjungen ehemaligen Rahjageweihten aus Belhanka. Und so drängte sich jedermann so dicht zur Tribüne, wie Büttel und Gardisten es eben zuließen.
Unterdessen wurde die Rennbahn für die letzten drei Rennen, die Adelsrennen und das wahre Ereignis des Tages hergerichtet: Nachdem der Platz vom Kot gereinigt war, schleppten livrierte Helfer und Helferinnen buntbemalte hölzerne Gerüste herbei, die zu unterschiedlich hohen Hürden zusammengesetzt wurden. An anderer Stelle wurden schwere Eichenbohlen aus dem Boden der Rennbahn entfernt, und nun sah man, daß sich darunter wassergefüllte Gräben befanden. Die schönsten Hindernisse jedoch waren die Hecken. Dazu wurden immergrüne Sträucher und Äste der Goldpinie so zusammengesteckt und mit Schleifen aus roter Seide geschmückt, daß sie tatsächlich blühenden Rosenhecken glichen. Insgesamt galt es neun Hindernisse zu überwinden: drei Hürden, drei Gräben, zwei Hecken und als letztes und schwierigstes Hindernis eine Hecke, hinter der sich, unsichtbar für das Pferd, ein weiterer Wassergraben befand. Dieser war allerdings so flach, daß ein Pferd auch hineinspringen und hindurchwaten konnte – schließlich sollte nach Möglichkeit keines der kostbaren Tiere verletzt werden.
Das erste Rennen war für die vierte Stunde angesetzt, und die Tribüne hatte sich inzwischen gefüllt. Einzig die für den Herzog und den Erzherrscher reservierten Logen waren leer geblieben. Doch wurde das Volk aufs beste entschädigt durch den Anblick der in ihre kostbarsten Gewänder gehüllten Herrschaften, die je nach Stand, Vermögen und Temperament in prächtigen Kutschen, vergoldeten Sänften oder auf geschmückten Pferden zum Rennplatz gereist waren. Und als nun die Hochgeweihte des hiesigen Rahjatempels, eine zierliche Tulamidin, das Podest am Fuße der Tribüne bestieg, auf dem die Sieger der drei letzten Rennen geehrt werden sollten, da lief ein Raunen durch die Menge, und die Gemahlin des Erzherrschers war vergessen. Hochwürden Ludilla – wie schlecht sich doch der Titel zu Gebaren und Gewandung der Dame fügen wollte! – ist gewiß um vieles schöner als die Erzherrscherin, so dachten die meisten. Die schwarzhaarige Priesterin war dem Brauch des Kultes gemäß in ein kurzes Gewand aus durchscheinender roter Seide gekleidet. Das hüftlange Haar trug sie teils offen, teils zu dünnen Zöpfen geflochten, von denen jeder mit einer goldenen Schleife befestigt war. Goldene Sandaletten umschlossen die zarten Füße, und golden waren auch der Gürtel, dessen Schließe wie eine Weinrebe mit Blättern und Trauben geformt war, und die Armreifen und Fußkettchen, die sie trug. Lächelnd grüßte Ludilla die Gäste auf der Tribüne, die sieben Reiterinnen und Reiter, die soeben ihre Plätze hinter einer markierten Linie bezogen hatten, und schließlich die jubelnde Menge. Dann füllte sie einen von vier reichverzierten silbernen Bechern, die neben ihr auf einem Tischchen standen, mit rotem Wein. Es war ungeweihter Tharf aus dem Tempel, denn den geweihten Wein darf auch eine Priesterin nur innerhalb der Tempelmauern trinken.
»Herrn Phex, dem Listigen, zu Ehren und Frau Rahja, der Schönen, zur Freude soll das heutige Adelsrennen ausgetragen werden!« rief Ludilla mit dunkler, weittragender Stimme. »Mögen die Götter darüber wachen, daß weder Reiter noch Tiere zu Schaden kommen, und mögen die besten drei den Sieg erringen. Hiermit« – bei diesen Worten hob sie den Becher gen Himmel und leerte ihn anschließend in einem Zuge – »erkläre ich das Rennen für eröffnet. Reiter und Reiterinnen, macht Euch bereit!«
Die Menge hatte der kurzen Ansprache schweigend gelauscht, nun erklangen Hochrufe, Pfiffe und Schreie, Mützen und Tücher wurden geschwenkt,