Systemische Lerntherapie. Mike Lehmann

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Systemische Lerntherapie - Mike Lehmann Systemische Pädagogik

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stellt unseres Erachtens das Fundament dar, auf dem die therapeutische Arbeit aufbaut. Der Therapeut weiß nicht von vornherein, was für den Klienten das Richtige oder am besten ist. Aber sie sehen sich gemeinsam an, was los ist, und gehen von dort aus weiter. Diese Haltung ist nicht in allen therapeutischen Ansätzen zu finden, sie verbreitet sich jedoch immer mehr und ist in der systemischen Therapie besonders ausgeprägt. Nicht umsonst ist die systemische Therapie von dem zuständigen wissenschaftlichen Gremium (dem Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie) im Dezember 2008 als wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren eingestuft und 2018 vom Gemeinsamen Bundesausschuss als viertes Richtlinienverfahren in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen worden – ein Status, den nur wenige Psychotherapieverfahren erreichen. Diese neueren, in unseren Augen guten Möglichkeiten der therapeutischen Arbeit möchten wir ein Stück weit auf das Feld der Lerntherapie übertragen und damit der lerntherapeutischen Arbeit neue Impulse geben.

       1.3.2Anwendungsfelder der Lerntherapie

      Eine lerntherapeutische Begleitung kann in verschiedenen Kontexten stattfinden. In ihnen gelten jeweils spezifische rechtliche Bedingungen, die unter anderem regeln, wer Kostenträger ist, das heißt, wer die Kosten der lerntherapeutischen Begleitung übernimmt. Grundsätzlich ist der Begriff »Lerntherapeut« nicht geschützt, im Prinzip darf also jeder diese Tätigkeit ausüben. Eine lerntherapeutische Begleitung muss im rechtlichen Sinne keinen besonderen Anforderungen genügen, und es ist auch keine bestimmte Berufsausbildung vorgeschrieben. Jedoch können die Kostenträger im Rahmen ihrer Zuständigkeit Mindestqualifikationen verlangen.

      Die unterschiedlichen Kontexte mit ihren jeweiligen Merkmalen werden in Tabelle 2 überblicksartig dargestellt und anschließend erläutert.

      Ist der Leistungserbringer eine Einrichtung, dann arbeitet der Lerntherapeut im Auftrag einer Einrichtung und für diese Einrichtung, die meistens nicht nur lerntherapeutische, sondern auch andere Aufgaben hat. Er kann dort angestellt (das ist der Regelfall) oder als freiberuflicher Mitarbeiter tätig sein. Die letztendliche Verantwortung für die Durchführung der lerntherapeutischen Begleitung liegt bei der Einrichtung. Sie nimmt den Auftrag für die Begleitung entgegen und regelt die finanziellen Fragen. Der Lerntherapeut erhält den Auftrag für eine konkrete lerntherapeutische Begleitung und führt sie durch. Dafür wird er von der Einrichtung bezahlt. Die Einrichtung wählt ihre Mitarbeiter aus und legt dabei auch fest, welche Qualifikationen vorliegen müssen. Aus der Sicht des Lerntherapeuten initiiert die Einrichtung die lerntherapeutischen Begleitungen, er muss sich nicht selbst darum bemühen. Solche Einrichtungen können zum Beispiel Nachhilfeinstitute, Schulen mit sozialpädagogischer Nachmittags- oder Hausaufgabenbetreuung, Träger der Jugendhilfe und viele mehr sein.

       Tab. 2: Kontexte der Lerntherapie

      Für die Arbeit der psychosozialen Beratungsstellen bildet das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), das weitgehend dem Achten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) entspricht, die rechtliche Basis, und zwar in § 27, »Hilfe zur Erziehung«, und den folgenden bis § 35a, »Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche«. Mit der Umsetzung dieser Regelungen sind die Jugendämter beauftragt. Ziel ist es, solchen Familien Hilfe zukommen zu lassen, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind oder deren Kinder eine seelische Beeinträchtigung aufweisen, die die Eltern allein nicht auffangen können. Wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen, besteht auf diese vom Jugendamt finanzierte Hilfe ein Rechtsanspruch.

      Eine freie lerntherapeutische Praxis ist einerseits Anlaufstelle für diejenigen Eltern, bei denen das Jugendamt aus welchen Gründen auch immer nicht als Kostenträger auftritt und deren Kinder auch nicht in einer Einrichtung betreut werden bzw. die eine zusätzliche lerntherapeutische Begleitung wünschen. Dementsprechend tragen sie die Kosten für die Lerntherapie selbst. Andererseits kann die freie lerntherapeutische Praxis auch vom Jugendamt beauftragt werden, die Lerntherapie durchzuführen. Die im Anhang A beschriebenen rechtlichen Grundlagen (KJHG) gelten entsprechend.

      Der freiberufliche Lerntherapeut unterliegt keinen Vorgaben oder Beschränkungen, als selbstständig Tätiger arbeitet er eigenverantwortlich und genießt weitgehende Freiheiten in seiner Arbeit, solange er die Grenzen zu den Domänen anderer Berufe nicht überschreitet. Dies verschafft ihm eine sehr unabhängige Position mit einem hohen Maß an gestalterischer Freiheit in der Ausübung seines Berufes.

      Lerntherapie, wie wir sie verstehen und wie sie im Allgemeinen ausgeübt wird, gilt rechtlich als Beratung und kann daher frei angeboten werden, ohne dass gesetzliche Voraussetzungen oder Einschränkungen zu beachten wären. Die Abgrenzung zur Psychotherapie regelt das Psychotherapeutengesetz (PsychThG), das definiert, was Psychotherapie ist, welche nur von dafür speziell ausgebildeten Personen vorgenommen werden darf. Beratende Tätigkeiten außerhalb der Psychotherapie sind demgegenüber frei durchführbar und rechtlich nicht reglementiert. Mehr Informationen dazu finden sich im Anhang B.

       1.4Vorstellung der Fallbeispiele

      Im Folgenden möchten wir Ihnen zwei Kinder vorstellen,4 die wir lerntherapeutisch begleitet haben. Im weiteren Verlaufe des Buches werden wir diese beiden Fälle immer wieder aufgreifen, um die beschriebenen theoretischen Aspekte praktischer darzustellen.

      Sonja kam durch einen freien Träger der Jugendhilfe zu uns. Sie war elf Jahre alt, eher etwas schüchtern und wohlgenährt. Ihr Hobby waren die Dinosaurier. Alles, was mit Dinosauriern zu tun hat, begeisterte sie. Durch ihren Betreuungshelfer erfuhren wir, dass sie (und somit auch ihre Familie) mit einer Dyskalkulie-Diagnose bedacht worden war. Er berichtete, dass Sonja ein sehr umgängliches Kind sei, er allerdings Probleme habe, mit ihr über schulische Dinge zu sprechen, besonders über Mathematik. Bei einem ersten Hausbesuch erfuhren wir, dass ihre Mutter, Frau Katzenbacher, mit ihrer Tochter allein zusammenlebte. Die Trennung der Eltern lag zwei Jahre zurück. Sonja hatte unregelmäßigen Kontakt zu ihrem Vater. Frau Katzenbacher berichtete auch, dass es ihr sehr schwerfalle, mit Sonja Hausaufgaben zu machen, besonders Mathematik. Durch ihre Klassenlehrerin erfuhren wir, dass Sonja sehr beliebt in der Klasse war und wunderschöne Bilder malte. Ihre Klassenlehrerin war von ihren künstlerischen Fähigkeiten beeindruckt. Ihre schulischen Leistungen waren unterdurchschnittlich. Gleich in mehreren Fächern hatte sie Probleme damit, den Anschluss zu halten, besonders in Mathematik.

      Mit Aaron sind wir über das zuständige Jugendamt in Verbindung gekommen. Er war neun Jahre, recht tollpatschig und äußerst agil. Seine Leidenschaft war es, allein oder mit seinem Helfer Fußball zu spielen, wann immer es möglich war. Für die Familie war durch das Jugendamt eine Familienhilfe installiert worden. Von dieser Familienhilfe erfuhren wir, dass Aaron zusammen mit seinem kleinen Bruder, seiner Mutter und ihrem neuen Lebensgefährten zusammenwohnte. Seine Mutter und ihr neuer Lebensgefährte erwarteten außerdem Familienzuwachs. Aaron verfügte über die Diagnose ADHS, die ihm, zur großen Erleichterung seitens der Schule, von einem niedergelassenen Arzt ausgestellt worden war. In Gesprächen mit seiner Klassenlehrerin erfuhren wir, dass seine schulischen Leistungen anfangs überdurchschnittlich gewesen waren, zuletzt allerdings erheblich nachgelassen hatten. Obwohl die Förderlehrerin sowie auch die Familienhelfer davon sprachen, eine gute Beziehung zu Aaron aufgebaut zu haben, fiel es doch beiden schwer, ihn bei seinen schulischen Aufgaben zu unterstützen und sich mit ihm in den häufig vorkommenden Krisensituationen (etwa bei handgreiflichen Auseinandersetzungen mit anderen Schülern oder wenn er von zu Hause

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