Systemische Lerntherapie. Mike Lehmann

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Systemische Lerntherapie - Mike Lehmann Systemische Pädagogik

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des Konzeptes

      Das in diesem Buch dargestellte Konzept mit seinen Grundannahmen, Zielsetzungen und Arbeitsformen entwickelt bestehende Ansätze der Lerntherapie weiter und schließt damit auch eine Lücke hinsichtlich der derzeit angebotenen Ausbildungen. Insbesondere sind diese Aspekte wichtig: Zunächst wird die systemische Perspektive stärker berücksichtigt, als das bislang geschehen ist. »Das Kind spiegelt sich in die Welt«, sagt Joachim Bauer (2006, S. 57), und beschreibt damit das bereits unmittelbar nach der Geburt einsetzende permanente wechselseitige Aufnehmen und spiegelnde Zurückgeben von Signalen zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen. Dieses Aussenden von Signalen und der Aufnahme der Reaktion ist vermutlich die wichtigste Grundlage für das gesunde Aufwachsen von Kindern. Damit wird deutlich, welche Bedeutung dem unmittelbaren sozialen Umfeld des Kindes zukommt. Entsprechend muss es in eine lerntherapeutische Arbeit mit einbezogen werden.

      Die zweite Besonderheit besteht in der ganzheitlichen Betrachtung des Kindes, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der seelischen Ebene. Wir sehen als unangemessen wahrgenommenes Verhalten in der Regel als Ausdruck seelischer Nöte an (mehr dazu im Abschnitt 4.3, »Therapeut-Kind-Interaktion«). Der Einbezug der Möglichkeit ungelöster seelischer Konflikte wie Ängsten oder Selbstwertproblemen und ihrer Wirkkraft bezüglich des Verhaltens des Kindes in die Arbeit mit dem Kind und seiner Umwelt ist ein entscheidender Aspekt unseres Verständnisses von Lerntherapie. Wir möchten daher für die innerseelischen Vorgänge der Klienten sensibel machen und Möglichkeiten aufzeigen, auf sie einzugehen. Mehr als bei Erwachsenen, deren Sicht auf die Welt auch sehr unterschiedlich ist, gilt bei Kindern, dass sie buchstäblich in ihrer jeweils individuellen, eigenen Realität leben. Diese individuelle Wirklichkeit, auch die innerseelische, muss wahrgenommen und mit berücksichtigt werden.

      Schließlich möchten wir für praktisch tätige oder in Ausbildung befindliche Lerntherapeuten die Bedeutung der Erfahrungsebene hervorheben, da sie es in erster Linie ist, die das Lernen ermöglicht. Zum Beispiel können Sie einen Text darüber lesen, dass Perspektivenübernahme wichtig ist, also dass Sie sich in die Situation des Kindes hineinversetzen sollen und ihm für das Problem keine Lösung präsentieren sollen – oder Sie können im Rollenspiel Ihrem Gegenüber ein eigenes Problem schildern, hören, wie es sagt »Dann mache mal das und das«, und dann die Abwehr spüren, die Sie gegen diese Lösungsmöglichkeit haben, weil es eben nicht Ihre Lösung ist, sondern die Ihres Gegenübers. Erst dieses Gefühl, dass Sie Ihre eigene Lösung brauchen, macht das Verständnis für das Thema »Perspektivenübernahme« vollständig. Erst dann sind Sie wirklich in der Lage, sich mit Lösungsvorschlägen für die Probleme anderer zurückzuhalten.

       1.1.4An wen richtet sich die systemische Lerntherapie? (Indikationen)

      Die systemische Lerntherapie, wie sie in diesem Buch beschrieben wird, ist gedacht für Kinder etwa zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr und ihre Eltern. Für Familien mit jüngeren oder auch älteren Kindern sind nach unserer Meinung andere Konzepte nützlicher (Familientherapie, individuelle Therapieformen). Die meisten betroffenen Kinder bzw. Eltern kommen zu uns, weil sie Schwierigkeiten mit der Schule haben und denken, dass sie sie nicht allein bewältigen können. Diese Indikation reicht uns aus. Formeller gefasst heißt das: Für Kinder mit Schwierigkeiten beim Lese- und Rechtschreiberwerb, beim Erwerb von Rechenfähigkeiten oder kombinierte Schwierigkeiten beim Erwerb schulischer Fähigkeiten, die nicht auf eine Intelligenzminderung zurückzuführen sind, ist eine systemische Lerntherapie angezeigt. Ebenso sind Kinder und ihre Eltern gut bei einer systemischen Lerntherapie aufgehoben, deren Schwierigkeiten im sozialen Verhalten (Integration/Anpassung an Gruppen) zu Schuloder Leistungsverweigerung, Gewalt oder Rückzug führen und mit einem gleichzeitigen Aufbau von schulischen Defiziten verbunden sind.

      Der Klient in unserer systemischen Lerntherapie ist nicht allein durch das Kind repräsentiert, sondern durch die Familie. Wenn wir sagen, ein Kind kommt zu uns in die Therapie, ist damit das ganze Umfeld des Kindes gemeint und ganz besonders seine Eltern. Der spezielle Aufbau und die Prinzipien einer systemischen Lerntherapie lassen sie für Eltern geeignet erscheinen, die sich darüber im Klaren sind, dass jedes Verhalten ihres Kindes einen »guten Grund« hat und funktionaler Bestandteil der Beziehungen zwischen Kind und Schule sowie zwischen Kind und Eltern ist. Und die sich auch darüber im Klaren sind, dass die Fähigkeit zur »Heilung« in jedem selbst und in den Möglichkeiten der Gestaltung von Beziehungen liegt. Unser Ansatz ist darüber hinaus sehr geeignet für Eltern, die sich über diese Dinge noch nicht im Klaren sind. Ganz besonders ist unser Ansatz für Eltern geeignet, die diese Zusammenhänge abstreiten, denn dafür haben auch sie einen guten Grund, wobei dieser unmittelbar das Verhalten ihrer Kinder auslösen kann und somit eine erste Intervention nahelegt.

       1.2Haltung und Menschenbild

       1.2.1Die Arbeit mit Kindern

      In früheren Zeiten spielten Strenge, Verbote und Bestrafung (z. B. der Lehrer mit dem Rohrstock) im Umgang mit Kindern eine viel größere Rolle als heute. Kinder wurden oft als kleine Erwachsene behandelt, die sich entsprechend zu benehmen hatten. Solcherart Erziehungspraktiken sind heute glücklicherweise weitgehend verschwunden. Andererseits waren Kinder auch viel sich selbst überlassen, konnten alleine draußen spielen und die Umgebung erkunden und mussten Begegnungen mit anderen Kindern ohne elterliche Hilfe regeln und bewältigen. Heute werden Kinder oftmals sehr stark beachtet und mit Aufmerksamkeit bedacht, weil sie etwas Besonderes geworden sind, sodass die selbst initiierte Beschäftigung weniger stattfindet. Sie werden behütet, Verbote und Grenzen zu setzen finden viele Eltern überholt. Eine Vielzahl von Medien lädt zum Konsum ein, viele Kinder leiden unter Bewegungsmangel und einer Unterentwicklung der Koordinationsfähigkeiten. Gleichzeitig sehen sich die Eltern oft überfordert, bedingt durch eigene Ansprüche sowohl an sich als auch an das Kind sowie auch durch gesellschaftliche Normen. Bei manchen Kindern kommt aufgrund von Trennung der Umstand eines abwesenden Elternteils hinzu.

      Worum nun geht es bei der Arbeit mit Kindern? Was ist das Besondere daran? Welches ist der entscheidende Punkt, der diese Arbeit glücken lassen kann? Hier spielen die grundlegenden Annahmen des Lerntherapeuten, wie Kinder sind und wie man sie behandeln muss, eine bedeutende Rolle. Es geht darum, mit welcher inneren Haltung wir Kindern gegenübertreten. Allgemeiner gefasst geht es um das Menschenbild, das wir in uns tragen und von dem aus wir andere Menschen betrachten und mit ihnen umgehen. Mit »Menschenbild« ist der ganz grundlegende Glaube bezüglich dessen gemeint, wie der Mensch ist und funktioniert – zum Beispiel, ob er eher ein rationales oder ein emotionales Wesen ist, ob er unveränderliche Eigenschaften besitzt, ob er gut oder schlecht ist, ob er auf Zusammenarbeit oder Kampf angelegt ist, ob es so etwas wie ein Unbewusstes gibt, ob zu viel Liebe nur verwöhnt, ob man Kinder erziehen muss oder ob sie von alleine wachsen usw. Auf der Basis dieses Menschenbildes gestaltet sich auch die lerntherapeutische Arbeit. Für das bewusste Arbeiten und die Möglichkeit, sich auf den Klienten und seine Wirklichkeit einlassen zu können, ist es gut, das eigene Menschenbild möglichst gut zu kennen. Wir können dafür im Rahmen dieses Buches keine Vorschläge machen, möchten aber dazu ermuntern, darüber zu reflektieren bzw. auch Weiterbildungen oder Selbsterfahrungskurse zu besuchen, die helfen, sich dem Thema weiter zu nähern. Unser Ansatz, das wird in diesem Buch an verschiedenen Stellen deutlich werden, ist von einem humanistischen Menschenbild getragen.

      Im Folgenden möchten wir in diesem Zusammenhang einen Aspekt erläutern, der ein wichtiges Element unseres lerntherapeutischen Verständnisses darstellt. Er gehört einerseits zu unserem Menschenbild und hat andererseits auch praktische Konsequenzen für die lerntherapeutische Arbeit: Unangemessenes Verhalten ist ganz oft Ausdruck ungelöster, meist emotionaler oder seelischer Konflikte im Menschen. Diese Konflikte wiederum liegen meist in Umweltfaktoren (mit) begründet, die die Bedürfnisse

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