Kreativität und Innovation (E-Book). Manfred Pfiffner

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Egoismus beziehungsweise Ethnozentrismus; Intoleranz und mangelnde Solidarität innerhalb eines Kollektivs Erziehung, die immaterielle Werte und Gemeinschaftssinn lehrt und fördert Fehlende Möglichkeiten zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und zur aktiven Mitgestaltung der Gesellschaft Verkleinerung der zentralen politischen Einheiten; stärkere Verankerung direktdemokratischer Prozesse Kurzsichtige Denkstrukturen und Handlungsweisen Gezielte und verantwortungsvolle Nutzung von Technologien ohne Zerstörung der Natur Wirtschaftsweise, die auf beständiges Wachstum und radikalen Wettbewerb setzt Wirtschaftssystem, das Kooperation und Tausch hervorhebt

      Abbildung 2: Gegenüberstellung von Zeitkritik und Alternativideen (nach Maahs 2019, S. 221, eigene Darstellung)

      Diese Modelle utopischer Gesellschaften kann man als naiv bezeichnen, aber genau dieser Schimmer Hoffnung, Glaube und Wunschvermögen macht eine positive Utopie aus (vgl. ebd., S. 227). Damit verbunden ist auch die ewige Sehnsucht nach einem neuen Menschen. Dafür werfen wir einen Blick in die Vergangenheit.

      2.1 Der neue Mensch

      Die Idee des neuen Menschen kann bis in die Antike zurückverfolgt werden. Bereits damals wurden in utopischen Reiseberichten Menschen beschrieben, die sich durch besondere körperliche Eigenschaften von anderen abheben, beispielsweise durch größere Köpfe oder Körper, längere Zungen oder ein höheres Lebensalter. In der Religion waren Vorstellungen eines neuen Menschen meist verknüpft mit der Aufforderung zur Umkehr oder Besserung. Der neue Mensch sollte moralischer, vernünftiger, gesamthaft gottähnlicher handeln (vgl. Maahs 2019 S. 227f.). Die Vergöttlichung des Menschen findet sich aber auch in der Philosophie, wie beispielsweise in der Forderung des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche nach einem sogenannten «Übermenschen» in «Also sprach Zarathustra» (vgl. Busch 2003 zitiert in Maahs 2019, S. 229). Auch die marxistische Philosophie forderte einen neuen Menschen, wobei dieser nicht nach Übermenschlichem streben, sondern selbstbewusst und ohne religiöse Bevormundung seine eigene Menschlichkeit schätzen sollte. Im 20. Jahrhundert verkam die Idee des neuen Menschen zur Obsession und zeigte in den Ideologien der großen totalitären Systeme ihren menschenverachtenden und rassistischen Gehalt. Mit Drill, Gewalt und Propaganda sollte in den Diktaturen ein Mensch geschaffen werden, der in ein bestimmtes Weltbild passt. Persönlichkeit und Individualität gingen verloren. Wer dem Bild nicht entsprechen konnte oder wollte, wurde verfolgt, Millionen von Menschen starben (vgl. ebd., S. 229ff.).

      Durch den technischen Fortschritt lassen sich die menschlichen Fähigkeiten nicht mehr nur durch menschliche Eigenschaften optimieren, sondern vermehrt auch durch künstliche Hilfsmittel. Die zeitgenössische utopische Literatur bezieht den aktuellen Entwicklungsstand der Forschung mit ein und antizipiert die technische Innovation der Zukunft. Dabei wird der technische Fortschritt bezüglich seiner Vor- und Nachteile reflektiert. Thematisiert werden zum Beispiel Szenarien einer außer Kontrolle geratenden Technik. Als Antwort darauf werden etwa Rechte für die Entwicklung künstlicher Intelligenz, mögliche Reaktionsformen für den Fall des Ausfalls zentraler Technik sowie ethische Grundsätze zur Vertretbarkeit der Genmanipulation ausgearbeitet. Die Utopie des Fortschritts schlägt hier rasch in eine Dystopie um, die aber auch die Stärke in sich trägt, auf die Gefahren technologischer Phänomene hinzuweisen. Damit wird ein literarisches Narrativ geschaffen, das nicht ein unausweichliches Katastrophenszenarium verkündet, sondern eine Perspektive für mögliche positive Entwicklungsvarianten offenlegt. Die diesen Erzählungen zugrunde liegende Haltung gegenüber den jüngsten technologischen Fortschritten ist somit meist ambivalent. Auf der einen Seite will man die neuen Technologien nutzen, auf der anderen Seite nicht komplett von ihnen abhängig werden (vgl. ebd., S. 229–232). Das Internet stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Die körperliche Präsenz und die realen Fähigkeiten des neuen Menschen werden weniger wichtig, da dieser vermehrt im Cyberspace agiert. Gleichzeitig entstehen dadurch neue Angriffsmöglichkeiten, was die Entwendung und Manipulation von Daten betrifft. Die weltweite Vernetzung kann von Friedensaktivisten und -aktivistinnen bis zu Terrorgruppierungen gleichermaßen genutzt werden. Soweit die Darstellung in literarischen Werken. Es gibt aber auch Menschen, die nicht länger auf entlegene Auswege in der Literatur setzen, sondern ihre Utopien hier und jetzt umsetzen wollen (vgl. ebd., S. 232ff.).

      2.2 Gelebte Utopie

      Die nachfolgend beispielhaft erläuterten Utopien sind Ergebnisse menschlicher Kreativität, die von der Suche nach einem besseren Leben für die Menschen einer bestimmten Gruppe getrieben werden (vgl. Maahs 2019, S. 235).

      Zunächst kann auf existierende Kommunen, Kibbuze und Ökodörfer verwiesen werden, deren Bewohnerinnen und Bewohner anders leben, arbeiten und wirtschaften als der Mainstream und die damit tatsächlich eine gesellschaftliche Alternative darstellen. Diese Lebensgemeinschaften bleiben in der Regel wenig beachtet von der Allgemeinheit und streben umgekehrt auch keine gesamtgesellschaftlichen Veränderungen und Utopien an. Politische Organisationen wie Occupy und Attac hingegen treten bewusst an die Öffentlichkeit, bezwecken eine gesamtwirtschaftliche Utopie und kreieren mit ihren Protestcamps Alternativorte inmitten der Gesellschaft (vgl. ebd., S. 236). Ein weiteres eindrückliches Beispiel ist die Bewegung Operation Libero.

      Operation Libero formierte sich am 14. Februar 2015, fünf Tage nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative[2], um sicherzustellen, «dass die Zivilgesellschaft nie wieder eine derartige Abstimmung verschlafen würde» (Grassegger 2016). Mitte Oktober 2015 schien der Moment gekommen, um aktiv zu werden. Die Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative stand bevor. Mit der Durchsetzungsinitiative sollte ein langer Katalog von direkt anwendbaren, detaillierten Bestimmungen zur Ausschaffung von straffällig gewordenen Ausländerinnen und Ausländern in die Bundesverfassung aufgenommen werden. Die ersten Umfragewerte vom 10. November 2015 stellten für die junge Gruppierung eine desaströse Ausgangslage dar: 66 Prozent Zustimmung für die Durchsetzungsinitiative, drei Prozent der Befragten waren sich noch unsicher, der kleine Rest war klar dagegen. Von den Wirtschaftsverbänden war keine große Unterstützung zu spüren, die NGOs hatten weder Geld noch Personal. Einzig Amnesty International versprach, 10000 Franken beizusteuern. Operation Libero startete ihre Kampagne im Netz und gründete drei Facebook-Gruppen. Die permanente Vernetzung machte Operation Libero wendiger als ihre Gegenspieler, die sich konventioneller koordinierten. Die Kommunikation lief über Facebook, Twitter sowie die Website des NGO-Gegner-Komitees. Fallbeispiele für die Konsequenzen des neuen Verfassungsartikels wurden ausgearbeitet und Memes mit Antworten auf Behauptungen der Befürworterinnen und Befürworter der Initiative produziert. Rund um die Uhr wurde das Netz durchforstet und Angreifbares aufgespürt. Als ein Politiker – ein Befürworter der Initiative – auf einem Lokalsender eingestand, dass er nicht genau wisse, was in der Initiative stehe, wurde daraus ein 20-Sekunden-Spot, der viral ging. Mitte Dezember organisierte Operation Libero einen Vortrag mit einer Völkerrechtlerin, wenig später unterzeichnete ein Großteil der Ständeräte und Ständerätinnen eine Erklärung gegen die Initiative. Mit der Zeit gingen immer mehr Spenden ein. Mitte Januar verkündeten 120 Schweizer Rechtsprofessorinnen und Rechtsprofessoren ihren Widerstand gegen die Initiative. Dafür beriefen sie sich auf die von Operation Libero genannten Gründe (vgl. ebd.). Nach weiteren Aktionen wurde am 28. Februar 2016 die Durchsetzungsinitiative abgelehnt. Eine fünfköpfige Gruppe junger Leute hatte dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet. Einem zunächst utopisch scheinenden Vorhaben wurde zum Erfolg verholfen.

      2.3 Potenziale utopischen Denkens

      Die kreative und konstruktive Umsetzung einer Utopie bedingt – wie am Beispiel der Operation Libero gesehen werden kann – ein entsprechendes Verständnis dieses Begriffs. Negative Konnotationen, die mit diesem Begriff verbunden sind, beruhen auf dem Verständnis, dass es sich bei etwas Utopischem um etwas Realitätsfernes handelt. Utopien

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