Hybridtheater. Thomas Oberender

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Hybridtheater - Thomas Oberender

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      Hybrides Theater basiert auf digitalen Technologien, die physische und virtuelle Räume zeitgleich adressieren. Die Darstellung auf der Bühne bezieht sich dabei nicht selten auf Material und Vorbilder aus dem digitalen Raum. Dem entspricht das Bestreben hybrider Theaterformen, die eigene Präsentationsform für Publikums-Feedback und Interaktion zu öffnen. Wie ein Ethnologe sammelt und studiert der Performer Arne Vogelgesang die unterschiedlichsten Netz-Communitys und -Phänomene und erschafft gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen von internil aus diesem theatralischen und politischen Material hybride Theaterformate. Fluchtpunkt seiner Arbeit sind die Situation des biologischen Körpers und die Evaluation der Gefühle im digitalen Raum. In seinen Gesprächen mit Thomas Oberender, dessen experimentelle Arbeit als Kurator und Vordenker neuer Formate sich stark mit neuen Raumkonzepten verbindet, diskutieren beide die Auswirkungen des Plattformkapitalismus auf die Kunstproduktion sowie alternative Konzepte von Authentizität, Skript, Figur und politischer Aktion.

      Thomas Oberender und Arne Vogelgesang

      Hybridtheater

      Neue Bühnen für Körper, Politik und virtuelle

      Gemeinschaften

      Drei Gespräche

      Wir danken den Berliner Festspielen für die Zusammenarbeit an dieser Publikation.

      Thomas Oberender und Arne Vogelgesang

      Hybridtheater

      Neue Bühnen für Körper, Politik und virtuelle Gemeinschaften

      Drei Gespräche

      © 2022 by Theater der Zeit

      Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

      Verlag Theater der Zeit

      Verlagsleiter Harald Müller

      Winsstraße 72 | 10405 Berlin | Germany

       www.theaterderzeit.de

      Redaktion: Tobias Kluge

      Lektorat: Nicole Gronemeyer

      Gestaltung: HIT

      Druck: Druckhaus Sportflieger

      Printed in Germany

      ISBN 978-3-95749-403-0 (Paperback)

      ISBN 978-3-95749-413-9 (ePDF)

      ISBN 978-3-95749-412-2 (EPUB)

      Thomas Oberender

       Hybridtheater

      Arne Vogelgesang und Thomas Oberender

       Spiele, von denen wir nicht wissen, dass wir sie spielen

       Gespräch über This Is Not a Game

       Wo gehen all die Versprecher hin?

       Zwei Gespräche über Es ist zu spät

      Arne Vogelgesang

       Profilbilder

       Bildnachweis

      Hybridtheater

      Thomas Oberender

      Was wird man, fragte mich kürzlich mein Sohn, der gerade Geschichte studiert, über unsere Zeit in 200 Jahren sagen? Über Leute wie ihn und mich, die noch das Entstehen des Internets erlebt haben, die den ersten iPod und das erste iPhone gekauft haben, die am Leben waren, als Jeff Bezos zum reichsten Mann der Erde wurde und der Klimawandel eskalierte. Man wird sich fragen, wie wir das alles erlebt und daran mitgewirkt haben – am Klimawandel, an der Digitalisierung und am Ausklingen einer imperialen Weltordnung im Namen der Aufklärung. Man wird sich vorzustellen versuchen, wie es war, als man noch in Flüssen baden konnte. Als man noch Geheimnisse hatte und lesen konnte, ohne gelesen zu werden.

      Wissenschaftler*innen trainieren Maschinen darauf, zu erkennen, worauf Menschen schauen, wenn sie ein Bild betrachten. Wenn Maschinen im digitalen Raum sehen, worauf ich achte, können sie die Darstellung dieser Informationen vergrößern oder weitere Informationen ähnlicher Art hinzufügen. Sie können aber auch bewirken, dass genau das verschwindet, was ich sehen möchte. In dieser Welt könnte ich beobachten, wie alles, was für mich bedeutsam ist, sich vor meinen Augen auflöst – oder vergrößert wird.

      Was von vielen Menschen beachtet und geschätzt wird, kann also durch künstliche Intelligenz in unserem Wahrnehmungsfeld einen zentralen Platz erhalten oder entfernt werden, und dies in Echtzeit, während ich es betrachte, oder sogar noch zuvor. Was mir wichtig erscheint, wird von weniger wichtigen Aspekten der Realität separiert und bereinigt. Es ist eine Auslagerung und Verstärkung (durchaus „normaler“) mentaler Funktionen an Maschinen, die ihrerseits nicht nur die Bilder lesen und sortieren, die sie uns zeigen, sondern auch uns. Menschen mit Gewaltphobien werden im Netz zukünftig vielleicht keine Bilder von Gewalt mehr finden, so wie man im chinesischen Internet schon heute nichts mehr über das Massaker am Tiananmen-Platz findet, „das Netz“ aber bemerkt, wer sich dafür interessiert. Und über kurz oder lang wird „das Netz“ überall sein – in jedem Ding, Prozess, Ort, mit dem ich in Verbindung stehe.

      Wir sind jene Mehrgenerationenschicht, die diese Entwicklungen hervorbringt und in dieser Netzmoderne zugleich noch eine Erinnerung an „früher“ hat, als die Medien noch linear waren und man Briefe schrieb. Schon jetzt entsteht unter den Vorzeichen der Netzkultur eine neue Aufmerksamkeit für das Analoge, Autonome, Vormoderne; aber das Leben, das in seiner Entwicklung stets einen Zuwachs an Intelligenz belohnt hat, so prognostiziert es James Lovelock in seinem Buch Novozän, wird vom biologischen Körper in den technologischen weiterziehen. Die Intelligenz, die Selbstreproduktion und die Evolution werden sich neue „Körper“ erschließen und die Grenzen zwischen Tieren, Menschen und Maschinen werden weniger strikt und weniger ängstlich bewacht, vielmehr wirken die Übergänge zwischen ihnen immer verlockender.

      Die Neuzeit begann nicht damit, dass auf der Globe-Theatre-Bühne Shakespeares plötzlich Ferngläser und Mikroskope benutzt wurden. Shakespeares Theaterbau hatte keine Zentralperspektive. Aber die Perspektive der Figuren auf der Bühne wurde plötzlich eine andere – es war nicht mehr Gott, der ihrem Leben zuschaute, sondern der Mensch selbst. Und er sah Individuen, die zwar Züge ihrer mittelalterlichen Ahnen trugen, die noch halb Trickster oder Zauberer waren, aber nun ihrem

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