Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg

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Reportagen 1+2 - Niklaus Meienberg

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übrigens ist viel einfacher als «Finnegans Wake». Verglichen mit «Finnegans Wake», ist «Ulysses» so einfach zu lesen wie ein Buch von Siegfried Lenz. «Ulysses», der grosse Klassiker, ein Tag im Leben des Leopold Bloom, Inseratenacquisiteur in Dublin, die Odyssee des Alltags. Verschiedene Körperfunktionen sind genau beschrieben, man muss sie also nicht mehr beschreiben, Fäkalien kommen vor, schon ganz am Anfang wird der Darm auf eine sehr zufriedenstellende, fast lustvolle Weise entleert, nachher wird am Strand, angesichts eines in die Höhe gerutschten Rocks, und begleitet vom Feuerwerk einer Kilbi, gewixt und gespritzt, schlussendlich eine Menstruation im Detail beschrieben. Gemessen am ganzen Tagesablauf, nehmen die sogenannten Obszönitäten nicht viel Platz ein, sind eingebettet in andere Alltäglichkeiten: Essen, Reisen (durch Dublin), Reden, Denken, acquirieren; so ein Tag, so wunderschön wie heute.

      Wie wurde der grosse Klassiker behandelt, als er noch ein Manuskript war?

      Sind die Anglisten und die Plüsch- und Bildungsbürger in ein Juhui ausgebrochen, so wie heute, wenn sie seinen Namen hören?

      Und hat die Klassik ihren Mann ernährt?

      Der Mann musste mit seinem klassisch irischen Dick-, Queer-, Sperr-, Brummschädel auf wüsteste Art durch alle Mauern stieren und hat den pingeligen Blättern, die ihn heute derart über den grünen Klee loben (oder sagen wir: den Vorfahren jener Blätter, dem erz- und arschbürgerlichen Kulturbetrieb), gar nicht gefallen wollen; und zu fressen und zu wohnen hatte er auch nichts sein Leben lang. Noch in Zürich, am Ende seines Lebens, wollte die Polizei ihn ausweisen: nicht aus politischen Gründen, sondern weil er der Allgemeinheit zur Last hätte fallen können (kein nachgewiesenes Minimaleinkommen). Das war zu einer Zeit, als er auf der ganzen Welt schon weidlich berühmt war und sogar gelesen wurde, wirklich, nicht nur in Fachkreisen. Früher, in Paris, hat er sich durchgehungert, ständiger Wohnungswechsel, nicht genannt sein wollende Wohltäter haben ihm zeitweise unter die Arme gegriffen (in Zürich: Carola Giedion-Welcker). Er lebte in Paris so bescheiden und lebte so genial, dass das Honorar für einen einzigen Joyce-Jubiläums-Artikel (NZZ, 1982) ihn ein ganzes Jahr ernährt hätte, schätzungsweise. Auch hatte er kein anständiges Stipendium von der englischen Regierung* * Während des 1. Weltkrieges hat Joyce zwar einmal 100 Pfund bekommen (privy purse). Damals war sein Ruf als Nestbeschmutzer noch nicht gefestigt., das gerade nicht, denn sein Englisch war ein Aufstand des katholisch-revolutionär-irischen Englisch gegen das klassisch-puritanisch-imperialistisch-viktorianische Englisch, eine Subversion im Sprachleib, eine Ratte in den innersten Gedanken-Innereien des Imperiums. Ein Guerillakrieg gegen die klirrende Sprache (sie klirrt immer noch unwidersprochen, auch in unsern Köpfen), die keinen Widerspruch duldet. Die Wörter seziert, auf ihre lateinischen, griechischen, keltischen Komponenten zurückgeführt, die ganze Sprachgeschichte hinauf und hinunter geklettert, dann die Rutschbahn in den Slang, neue Brocken aus allen europäischen Sprachen dazugemixt, die Sätze in die Sätze gebracht, in einen neuen Rhythmus, die müde Sprache das Tanzen gelehrt – und die ganze Bouillabaisse mit einem satanischen Kichern serviert. Von einem seiner Bücher hat er innerhalb des ersten Jahres nach Erscheinen 16 (sechzehn) Exemplare verkauft. Von einem andern 0 (null).

      Seine Frau, mit der er recht glöcklich gewesen sein soll, nachdem sie sich geheurattet hatten, und sie mit ihm soll auch glicklich gewesen sein, sagte ihm also eines Tages seine Frau: Joyce, ich möchte Dir was sacken, aber werde nicht onglöcklich deswegen ond uuläädig.

      Nur zu und phuetigott, meine lippe Anna Livia Plurabelle, sagte James, im vierten Stock der Rue du-chat-qui-pêche, Paris 6e, die letzten fünf Gramm Butter des Monats September mit dem Buttermesser zerkleinernd, während der Kanorenvugel songte u. der Kanunenoffen brunnte. Sagen möchte ich, hätte ich gemocht, wollte ich Dir sagen Joyce: Schreib einmal ein nice book, das würden die Leute koofen.

      Lateinisch hat er gut gekonnt, griechisch auch, soll er wirklich auch gekonnt haben, frz., dt., i. auch, war Sprachlehrer in der Berlitz-School in Triest. Die Odyssee (Nr. 1, Homer) hat er sehr gut gekannt. Wer kennt sie noch? Das liest doch kaum mehr einer von uns. Liturgisches Lateinisch, das ging ihm leicht von der Hand, wie jedem gut imprägnierten Katholiken, sass tief, gurgelte aus den Tiefen herauf bei jeder unpassenden Gelegenheit. Dann Volkslieder und Schlager, alles was sich reimt und frisst, Hüt Dich schöns Blümelein James pflückt alles Joyce frisst alles botanisiert brutalisiert die seltensten Wörter. Zärtlicher Brutalnik, frisst unter dem Hag hindurch. Schnapp!

      Bildung ist kein Nachteil, wenn sie Spass macht. Er fand das lustig. Wieder einmal Ulysses lesen (Homer) parallel zu Ulysses (Joyce). Bildung wird erst frech, wenn sie mit neuer Beobachtung verknüpft ist. Steht dann auf, rebelliert. Der Spaziergänger in den Literaturen, der Spaziergänger in Dublin. Lesen, auslesen, verlesen. Lasst freundlich Bild um Bild herein, fotografiert Dublin mit seiner Netzhaut. Dann die Alchimie im Kopf, Wortmixturen. Und jetzt wir, mit dem fertigen Produkt: wieder auf die Strasse, Zurick, Paris durch seine/unsere Augen sehen, mit seinen Bildern spielen, vielleicht ein bisschen sprayen, weiter subversieren. Work in progress. Neue chemische Wortverbindungen. Komm herunter Buck Mulligan Du grässlicher Jesuit und erzähl aus der Jesuitenschule.

      Die ersten Lämpen kamen schon früh. 1906 hat er seinen Novellenband DUBLINERS zum erstenmal einem Verleger angeboten. Die Verleger hatten immer so Angst, weil die Drucker Angst hatten, ihre Druckereien könnten wegen des Drucks obszöner Worte gemassregelt werden. 1912 die erste Auflage: sofort eingestampft und verbrannt. 1917 schreibt Joyce: «Zehn Jahre meines Lebens sind hingegangen mit Korrespondenzen und Prozeduren wegen meines Novellenbandes DUBLINERS, welcher von vierzig Verlegern abgelehnt worden ist. Dreimal wurde der Text gesetzt, aber nicht gedruckt, einmal verbrannt. Ich habe mit 110 Zeitungen korrespondiert, sieben Advokaten, drei Aktien-Gesellschaften. Schliesslich wurde das Buch 1914 Wort für Wort so gesetzt, wie ich es im Jahre 1904 geschrieben hatte.» Die Mauer hatte nachgegeben, nachdem der irische Setzgrind Queergrind strangehead genügend lang auf sie eingeschlagen hatte: mit seinem Grind.

      Er war überzeugt davon, dass er ein Genie war. Das ist kein Nachteil, wenn man wirklich ein Genie ist. Sonst ist es genierlich.

      Bei der Publikation des ULYSSES stand ihm Ezra Pound bei, der kultivierte. Das Buch kam zuerst tranchenweise in einer amerikanischen Revue heraus; damit diese nicht verboten wurde (einen Buch-Verleger fand Joyce vorerst nicht), schlug Ezra Pound vor, die allerkrassesten, fettesten, schlifrigsten Stellen zu streichen: «Ich bin nicht sicher, ob das Wort URIN schon auf der ersten Seite notwendig ist. Die Präsenz der Exkremente hindert die Leser daran, Qualitäten, die anderswo zu finden sind, wahrzunehmen. Ich habe etwa zwanzig Linien gestrichen.»

      Joyce war sauer. Streicht man im Leben vielleicht den morgendlichen Stuhlgang auch, weil wegen des Stuhlgangs anderweitig vorhandene Qualitäten von den Mitmenschen übersehen werden können? Scheisst der durchschnittliche Irländer am Morgen, oder scheisst er nicht? Also scheisst er auch am Anfang des Buches. Aber Joyce gab nach, Pound war ein Freund und meinte es gut mit ihm. Ohne Pound hätte er kein Brot gehabt.

      Beim Kapitel «Die Sirenen» merkte Ezra Pound an: «Man kann auch mit weniger Emphase und weniger Details furzen … Einverstanden mit dem Furz an und für sich, aber nicht mit dem Furz als Kapitelschluss … so kann man eine Fuge nicht beenden.» Joyce hatte ihm nämlich erklärt, dass dieses Kapitel wie eine Fuge aufgebaut sei. «Der allgemeine Eindruck eines Buches hängt von der Idee ab, die sich der Leser von der geistigen Gesundheit des Autors macht», schrieb Pound. «Überscharfe Introspektion – warum nicht. Aber diese Arsch-und-Kloaken-Besessenheit! Muss das sein? Jede Obsession, jeder Tick muss sorgfältig analysiert werden vor der Niederschrift.»

      Kontrolliert war das alles allerdings schon, und wie. Frech und kontrolliert, wild und diszipliniert, aggressiv und kultiviert, gedacht und gefühlt, gespornt und gezügelt. Das Kapitel «Nausicaa» reicht dann für eine Klage. Der New Yorker Repräsentant der «Gesellschaft für die Unterdrückung des Lasters» reicht Klage ein, der Text sei «obszön (kam nicht schon im Kapitel ‹Zyklop› eine Erektion vor?), ausschweifend, lasziv, schweinisch,

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